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18 Kontrollen, 1.231 Verstöße

Keine Rettungsgasse: So kämpfen sich die Helfer auf der A5 zu den Verletzten vor

Für vier Wochen ist der Führerschein weg, außerdem drohen Punkte in Flensburg und saftige Bußgelder: Trotz verschärfter Sanktionen wird oft dennoch keine Rettungsgasse gebildet. Für die Helfer ist das Stress pur. Was es heißt, sich auf der A5 zur Unfallstelle durchzukämpfen.

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Rettungsgasse dpa1 Foto: dpa

Der weiße Kleintransporter ist nicht mehr zu erkennen: Ein Sattelzug war am Stauende auf ihn aufgefahren und hatte ihn in den vorderen Lkw regelrecht reingedrückt. Der Fahrer starb, zwei weitere Personen wurden schwer verletzt. Ein Szenario, das sich am 2. Juni so auf der A5 bei Bruchsal ereignet hatte und das in ähnlicher Konstellation zur traurigen Regelmäßigkeit wird. Und genauso regelmäßig wird keine Rettungsgasse gebildet.

Mit dem 26-Tonner durch die schmale Lücke

„Da beißt du als Helfer schon mal ins Lenkrad“, findet der Bruchsaler Feuerwehrkommandant Bernd Molitor drastische Worte. Auch an diesem Tag hatten er und die Kameradinnen und Kameraden aus Forst und Bruchsal ihre liebe Not: „Wir kämpfen uns mit dem 26-Tonner mitutenlang durch die enge oder nicht vorhandene Rettungsgasse“.

Was Molitor nicht sagt: Und vorne stirbt womöglich gerade ein Mensch im Auto. Polizeihauptkommissar Jens Schmittner bestätigt das. Sein Team von der Verkehrsüberwachung hat unter anderem die Aufgabe, die Einhaltung der Rettungsgasse zu kontrollieren. Seit Ende April wurden die Strafen nochmal verschärft.

Mit Zivilstreifen auf Kontrolle

Nun muss man nicht nur 200 Euro dafür bezahlen und bekommt zwei Punkte in Flensburg, sondern muss auch noch den Führerschein für vier Wochen abgeben. An der Moral hat das freilich (noch) nicht viel geändert, wie Molitor und Schmittner feststellen: Bildet sich auf der A5 ein langer Stau nach einem Unfall, und kommt der Verkehr zum Erliegen, schlägt die Stunde für Schmittners zwei Zivilfahrzeuge.

Sie sind mit Videotechnik ausgestattet. Ein Beamter filmt zusätzlich mit einer Handkamera. Mit Blaulicht fahren sie in die Rettungsgasse ein und dokumentieren dann alle Verstöße. Sowohl Kennzeichen als auch die Fahrer werden gefilmt, außerdem das gesamte Umfeld.

100 Verstöße in einem Stau

„Bei einem längeren Stau kommen so schon mal 100 Verstöße zusammen“, berichtet Schmittner von drastischen Fällen. 100 Mal also, in denen große Feuerwehr-Laster oder selbst der kleine Notarzt-Wagen runterbremsen müssen. 100 Mal, in denen Lebensretter wertvolle Minuten verlieren können. „Ja, es gibt auch die perfekt gebildete Rettungsgasse“, räumt Schmittner ein.

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Dass seine Leute ohne Verstöße heimkommen, ist allerdings unwahrscheinlich. „Jedes Anhalten und Verlangsamen bedeutet einen Zeitverlust. Und vorne ist vielleicht ein Fahrer eingeklemmt, und sein Auto fängt an zu brennen“, beschreibt Schmittner.

300.000 Euro Bußgelder

Nein, es ist nicht der Macho hinterm Porsche-Lenker, dem man es vielleicht unterstellen würde: „Es gibt keine bestimmte Klientel, es ist alles dabei“, stellen Schmittner und seine Kollegen bei der Auswertung der Videos fest. Zwischen Mai 2019 und Mai 2020 hat die Polizei im Präsidiumsbereich Karlsruhe, also überwiegend auf der A5, insgesamt 18 Mal die Rettungsgasse kontrolliert. Dabei wurden 1.231 Verstöße gegen die Rettungsgasse festgestellt. 63 Mal kam die Behinderung von Rettungsfahrzeugen hinzu. Etwa die Hälfte aller Verstöße geht auf das Konto von Lastwagenfahrern. Rund 300.000 Euro an Bußgeldern sind geflossen.

Ob die Verschärfung der Strafen die Fahrerinnen und Fahrer zur Einsicht bringt? Schmittner hat da so seine Zweifel. Nur der Kontrolldruck und die permanente Sensibilisierung helfen, etwa wenn im Radio auf die Rettungsgasse aufmerksam gemacht wird. „Den Leuten muss klar werden: Auch sie könnten das Opfer da vorne sein.“

Lkw und Wohnmobile fahren sich regelrecht fest

„Manche sind gedankenlos, andere wissen es immer noch nicht, wieder anderen ist es egal, oder sie sind neugierig, was vorne passiert“, beschreibt Schmittner die „Motivation“.

Manchmal haben sich Lkw oder Wohnmobile so festgefahren, dass sie auf kleinster Fläche minutenlang rangieren müssen, um überhaupt etwas Platz freizugeben. Ähnliches berichtet Molitor: „Manchmal haben wir Lkw auf allen drei Spuren.“ Da hat er selbst mit seinem Kommando-Wagen, sprich einem Pkw, kaum eine Chance.

Besonders "intelligente" Fahrer hängen sich an den Rettungswagen

Höhere Strafen? „Ich bin ganz dafür. Nur wer kann es überwachen?“, sagt Molitor. „Man könnte jeden Tag drei Rettungsgassen kontrollieren.“ Dagegen nehmen sich die 18 Kontrollen der Polizei im vergangenen Jahr natürlich wenig aus. „Der Verkehr hat extrem zugenommen. Dazu kommt, dass die Leute immer mehr unter Zeitdruck stehen“, vermutet Molitor als Gründe für mangelnde Rücksicht im Stau. Ihm sind auch schon „besonders schnelle und intelligente“ Autofahrer einfach in der Rettungsgasse hinterhergefahren. Seit April wird auch diese Untat bestraft.

Und noch etwas wird zum Problem: „Wenn ich an der Einsatzstelle ankomme, bräuchte ich eigentlich erstmal eine kurze Pause.“ Mit 70 Sachen durch die Gasse zu donnern, immer auf der Hut – das ist Stress pur. „Beim tödlichen Unfall gab es Menschen im Stau, die ihre Autotür aufgemacht haben oder ausgestiegen sind“, erzählt Molitor von weiteren zusätzlichen Schwierigkeiten in der Rettungsgasse.

Das kosten Verstöße in der Rettungsgasse:

• Keine Rettungsgasse gebildet: 200 Euro, zwei Punkte in Flensburg und neuerdings ein Monat Fahrverbot

• Keine Rettungsgasse und Behinderung der Einsatzkräfte: 240 Euro, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot

• Kommt noch die Gefährdung von Einsatzkräften hinzu, wird es teurer: 280 Euro

• Passiert dabei ein Unfall: 320 Euro

Neu seit 28. April:

• Fährt man hinter den Einsatzkräften in der Rettungsasse: 240 Euro, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot (weitere Steigerungen möglich bei Behinderung, Gefährdung oder Unfall.

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