Sie lebten mitten unter uns. Wenn man diese Spurensuche durch den Kraichgau mit einem Satz zusammenfassen sollte, dann wäre es dieser.
„Die jüdischen Mitbürger waren mit den nichtjüdischen freundschaftlich verbunden. Sie waren ein Teil der Gesellschaft“, so erklärt es Susanne Schätzle, die diese Spurensuche für den Deutschen Alpenverein, Sektion Karlsruhe, organisiert hat. „Das wollen wir herausstellen.“
Schätzle hat sich selbst schon mit der Geschichte des Alpenvereins und auch mit dem dort einst verbreiteten Antisemitismus beschäftigt.
„Ich will begreifen, woher der Hass kommt. Ich kann nicht verstehen, wie sich Menschen über andere Menschen erheben können.“ Liselotte Kircher, Jahrgang 41, wandert heute mit durch die Bruchsaler Hügellandschaft.
Je älter ich werde, umso größer wird mein Unverständnis.Liselotte Kircher, Teilnehmerin
Hier gibt es viele jüdische Spuren, aber viele zeugen auch vom gewaltsamen Ende der allermeisten Juden durch die Nazis. Kircher hat als kleines Kind vom Krieg nicht viel mitbekommen.
Die unsicheren Nachkriegsjahre allerdings sind ihr noch sehr präsent. Dass jetzt in Europa wieder Krieg herrscht, macht sie sprachlos.
„Je älter ich werde, umso größer wird mein Unverständnis“, sagt sie, während die Gruppe sich dem jüdischen Friedhof auf dem Bruchsaler Eichelberg nähert.
Oft waren Juden nur geduldet
Von den lebendigen jüdischen Gemeinden im Kraichgau hatte zuvor Julia Walter berichtet. Sie hat selbst jüdische Wurzeln, führt Touristen durch Karlsruhe und hat sich für die Führung des Alpenvereins mit dem Kraichgau beschäftigt.
Eppingen, Bruchsal, Odenheim – „seit Jahrhunderten gab es hier jüdische Menschen“. Aber es gab auch schon Pogrome weit vor der Nazizeit.
Erst nach 1700, so berichtet es Walter, gab es einen sprunghaften Anstieg der jüdischen Bevölkerung. Doch allzu oft waren Menschen jüdischen Glaubens nur geduldet.
Man sprach noch bis 1809 von sogenannten „Schutzgeldjuden“, berichtet die Kunsthistorikerin. Erst spät durften sie überhaupt eigenes Land erwerben. Viele Berufe blieben ihnen verwehrt, ebenso öffentliche Ämter.
Umso mehr fallen später namhafte Persönlichkeiten auf, die sich trotz aller Widerstände durchsetzten. Walter erinnert etwa an Moritz Ellstätter, erster jüdischer Minister von Baden.
Auch Ludwig Marum, eines der frühesten Mordopfer der Nazis, darf in dieser Aufzählung nicht fehlen. Der Rechtsanwalt, SPD-Politiker, badische Justizminister, der in Bruchsal zur Schule ging und von den Nationalsozialisten in Kislau ermordet wurde.
Nazis schändeten die Grabplatten und benutzten sie als Bodenbelag
Und in Bruchsal darf dann auch der Name Meerapfel nicht unerwähnt bleiben. Jene erfolgreiche Tabakdynastie aus Untergrombach, die bis heute weltweit edelste Zigarren vertreibt.
„Warum kenn’ ich diesen Namen dann nicht?“, wundert sich ein Teilnehmer auf dem jüdischen Friedhof. Barbara und ihr Sohn Michael Lauber führen die Besucher durch die noch verbliebenen Gräber.
Ein Teil der Grabplatten wurde im Dritten Reich geschändet, abgebaut und als Bodenbelag für Hohlwege benutzt. „Hatten die denn kein Schamgefühl?“, entfährt es einer Teilnehmerin.
Banker Julius Bär stammt aus Heidelsheim
20 jüdische Gemeinden begruben seit dem 17. Jahrhundert auf dem Verbandsfriedhof von Obergrombach ihre Toten. Die Untergrombacher Ortsvorsteherin Barabara Lauber erinnert auch an die brennende Synagoge von Bruchsal, auf der später das Feuerwehrhaus errichtet wurde. Sie und ihr Sohn vom Heimatverein kennen sich aus mit der Symbolik.
Der Gruß von Mister Spock, von Raumschiff Enterprise, Finger, die ein V bilden, ist beispielsweise einem jüdischen Symbol entlehnt. Staunen unter den Teilnehmern, als sie dieses Symbol auf einem Grabstein entdecken.
Auch darüber, dass Julius Bär, der bekannte Banker des noch heute führenden Bankhauses in der Schweiz, aus Heidelsheim stammt. Die jüngste Bestattung war im Jahr 2011. Heller Meerapfels Grabstein ist einer von noch etwa 500 erhaltenen. Der älteste stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert.
Synagogen gab es auch in Ober- und in Untergrombach
Man verabschiedet sich beeindruckt von den Laubers. Die jüdischen Spuren führen nun weiter nach Obergrombach. Dass es heute quasi kein jüdisches Leben mehr in Bruchsal gibt, liegt vor allem an der effektiven Ausrottungsmaschinerie der Nationalsozialisten, so viel wird klar.
Denn sowohl Ober- als auch Untergrombach hatten einst eine Synagoge. Bereits 1633 lebten jüdische Familien in Obergrombach. Bis 1845 gab es in der Burggasse ein jüdisches Gotteshaus, so informiert Julia Walter ihre Besucher im historischen Ortskern des schmucken Dorfes.
Meerapfels waren angesehene Unternehmer
Noch mehr Juden gab es in Untergrombach. „Die Synagoge wurde 1938 im Zuge der Reichspogromnacht nicht angezündet, weil der Nachbar dagegen heftig protestierte, und man befürchtete, den Brand nicht unter Kontrolle halten zu können“, erzählt Walter an Ort und Stelle.
Übrig ist von der Synagoge trotzdem nichts mehr. Immerhin: Eine Synagogenstraße erinnert noch an das Bauwerk und die hier lebenden Juden.
Lebendiges Zeugnis gibt freilich am Ende der Tour das alte Tabaklager am Bahnhof. Nur weil sich die Unternehmerfamilie von Meier Meerapfel und Söhne frühzeitig ins Exil retten konnten, überlebten sie und ihre Firma bis heute.
Jeanine Meerapfel pflegt noch die Kontakte in die alte Heimat. Sie ist seit 2015 die Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin. Ihr es ein besonders Anliegen, das Andenken an ihre Familiengeschichte und das jüdische Leben zu bewahren.