
Annemarie D. ist entsetzt. „So was habe ich noch nicht gesehen, die Wohnung ist total vermüllt und verdreckt.“ Ihr sei total schlecht geworden, als sie dort hineinging. Die Vermieterin zeigt Handybilder: Tote Insekten baumeln an der vergilbten Decke. Essensreste liegen verstreut am Herd. Das Bad voller Fäkalien, und an der Ecke bis unter die Decke aufgetürmte Pizzaschachteln. „Gut 300“, schätzt Annemarie D..
Die 50 Quadratmeter Wohnung gleicht einer einzigen Müllhalde. „Der Mann war krank“, sagt die Vermieterin und schüttelt den Kopf. Jahrelanger, alter Staub hat sich über ein Gerät gestülpt. „Man sieht gar nicht mehr, dass das ein Telefon gewesen sein soll“, sagt die Bruchsalerin ungläubig.
Was ihr aktuell die Sprache verschlägt, passiert täglich zig-mal in unserer Gesellschaft. Verwahrlosung von kranken, einsamen Menschen. Mitten unter uns. Vor kurzem erst sorgte ein ähnlicher Messie-Fall in Bretten für Furore.
Dort wurde die Wohnung nach dem Tod des Mieters vom Nachlassgericht versiegelt, bis sich ein Erbe findet. Solange darf die Vermieterin nicht rein. In Bruchsal macht die Vermieterin, die wir hier Annemarie D. nennen (der richtige Name ist der Redaktion bekannt), auf ihre Misere aufmerksam.
Notarzt kann nur noch den Tod feststellen
Sie wohnt in der Nähe des Bruchsaler Bahnhofs und hat in ihrem Haus auch Wohnungen vermietet. Als sie neulich abends von einem Fest nach Hause kam, standen Polizei, Rettungswagen, Notarztwagen und dann auch die Kripo bei ihr auf dem Hof. In der Wohnung über ihr fand man den Mieter. Leblos am Boden.
Eine Schwester des Toten hatte Alarm geschlagen, weil sich der Bruder nicht gemeldet hatte. Diese wollte ihn an einen Arzttermin am andern Tag erinnern. Einen Schlüssel zur Wohnung hatte sie nicht. Daher wurde die Scheibe an der Tür eingeschlagen, um ins Innere zu gelangen, wo der 47-Jährige aufgefunden wurde. Er soll eines natürlichen Todes gestorben sein, sagt Annemarie D.. Die Wohnung wurde daher nicht versiegelt.
Die Vermieterin ist die Leidtragende.Tanja Kistner
Fachanwältin für Erbrecht
Doch jetzt geht das Dilemma für die Vermieterin los. Plötzlich fällt eine Miete weg. Das Geld dafür bekam der Mieter vom SGB II-Jobcenter des Landkreises Karlsruhe. Mit dem Tod endete das Mietverhältnis. Das Jobcenter steht nicht mehr in der Zahlungspflicht. „Die Folgekosten, etwa die Räumung der Wohnung können vom Jobcenter nicht übernommen werden“, teilt Geschäftsführer Rolf Martin auf Anfrage mit.
Kosten bleiben an der Vermieterin hängen
Dazu fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Er befürchtet, dass die Kosten an der Vermieterin „hängen bleiben“. Bei der Stadt und im Landratsamt Karlsruhe gibt es keine Zuständigkeiten, wie die Recherche ergab. „Vermieterrisiko“ heißt es allgemein. „Die Vermieterin ist die Leidtragende“, befürchtet auch Tanja Kistner, Bruchsaler Fachanwältin für Erbrecht.
Annemarie D. selbst rechnet mit etwa 20 000 Euro, für die sie aufkommen muss. Zumal, die Mutter und die Schwestern des Toten das Erbe ausgeschlagen haben. Ein entsprechender Brief mit diesem Inhalt flatterte Annemarie D. recht bald nach dem Tode ihres Mieters ins Haus. Wie ist die Rechtslage dann in solch einem Fall?
„Ganz schön schwierig“, weiß die Fachanwältin, um deren Hilfe Annemarie D. gebeten hat. Die Lage spitzte sich in den zurückliegenden Hitzetagen noch zu. Aus der mit Müll, Dreck und Ungeziefer übersäten Wohnung strömten unangenehme Gerüche. „Meine anderen Mieter haben sich schon über den Gestank im Treppenhaus beschwert“, erzählt Annemarie D..
Bevor diese dann ihrerseits die Miete mindern, musste schnell reagiert werden, so Anwältin Kistner, „um noch mehr Schaden von der Vermieterin abzuwenden“. Der Zustand der Wohnung sei so für die Besitzerin nicht tragbar, so die Anwältin Kistner, die einräumt, dass eine praktische Lösung hermusste.
Entrümpler kommen und räumen aus
Der korrekte Weg wäre eigentlich gewesen, eine Nachlasspflegschaft beim Amtsgericht oder Nachlassgericht zu beantragen, um doch noch Erben zu finden, die für den Schaden aufkommen. Das sei hier aber nicht zu erwarten, bekundet Tanja Kistner. Inzwischen waren bei Annemarie D. die Entrümpler im Haus und haben die Messie-Wohnung über ihr leer geräumt. Aufgefundene Dokumente hat die Bruchsalerin eingelagert. Annemarie D. hat den Zustand vorher fotografiert.
Jetzt muss sie die Wohnung grundlegend reinigen lassen, um sie bald wieder vermieten zu können. Immerhin: Für die eingeschlagene Scheibe kann die Anwältin für Annemarie D. Schadensersatz einfordern.