Eigentlich hätte es das Feuer gar nicht gebraucht: Denn die Hitze der Sommersonne am strahlend blauen Himmel hat den Ehrenhof des Bruchsaler Schlosses am Sonntag ohnehin in eine für Schneemänner lebensfeindliche Umgebung verwandelt. Doch gerade noch steckt die meterhohe Schneemann-Skulptur auf dem Marktplatz fröhlich grinsend eine übergroße Sommertagsbrezel in die Höhe – bis sie unter dem Jubel von 4.000 Kindern, Eltern und Schaulustigen rauchend in Flammen aufgeht.
„Schtrih, Schtra, Schtroh“, stimmen die Zuschauer gemeinsam an und liefern die Erklärung für den Trubel gleich in der nächsten Liedzeile mit: „Der Summerdag isch do.“ „Es ist ein Fest von Kindern für Kinder“, erklärt Karola Vettermann, die Präsidentin des Sommertagszugs, die Idee hinter der Traditionsveranstaltung.
Zum ersten Mal nach zwei Jahren der Pandemie-Pause kann der Brauch wieder gemeinsam begangen werden. „Wir verabschieden heute den Winter und heißen den Sommer gleich willkommen“, freut sich Vettermann in ihrer Ansprache am Schloss. Den Frühling – mit Blick auf das Wetter habe man den ganz offensichtlich „einfach übersprungen“.
Fest mit hundertjähriger Tradition
Der Bruchsaler Sommertagszug blickt auf eine über hundertjährige Tradition. Der feierlichen Verbrennung des Schneemanns – Sinnbild für die Vertreibung von Väterchen Frost – voraus geht der gemeinsame Zug durch die Innenstadt unter den Augen hunderter Bruchsaler am Straßenrand:
In diesem Jahr auf einer verkürzten Route von der Stirumschule in die Fußgängerzone, vorbei an Friedrich- und Schönbornplatz Richtung Schloss – wegen der Baustelle in der Friedrichstraße mit Umweg über die gesperrte Kaiserstraße und B3. Ganz vorneweg: Marco, Matz und Jason, drei Schüler der Konrad-Adenauer-Schule, die den Zug mit Schild und historischer Standarte anführen – für die Drei eine echte Premiere: „Es ist unser erster Umzug“, erklären die Grundschüler. „Ein bisschen aufgeregt sind wir schon.“
27 Gruppen beim Umzug
27 Gruppen mit 1.000 Kindergarten- und Grundschulkindern folgen den Dreien – mal singend, mal aufmerksam staunend und stets farbenfroh etwa als Bienen, Frösche oder Erdbeeren verkleidet. Gleich zu Beginn: Eine Gruppe kleiner Brezelbäcker aus dem Kinderhaus St. Raphael. „Die Vorfreude war groß“, berichtet Kita-Leiterin Christian Simon, die die Gruppe durch die Menge dirigiert.
Denn nach zwei Jahren der Corona-Pause sei dieser Sommertagszug für viele Kinder der erste in ihrem Leben. Warum ausgerechnet die Brezelbäcker an der Spitze laufen? „Die Brezel ist ein Symbol für die Unendlichkeit“, erklärt Karola Vettermann die traditionelle Bedeutung des Gebäcks mit der in sich geschlossenen Form, die Sinnbild für die immer wiederkehrende Folge der Jahreszeiten ist. Durchaus endlich ist dagegen die Lebenszeit der Hefeteig-Brezeln, die entlang der Strecke zu haben sind – und schon vor Umzugsbeginn ausverkauft sind.
Den Brauch weitergeben – auch darum geht es an diesem Tag in Bruchsal. „Der Sommertagszug ist eine große Traditionsveranstaltung mit viel Herzblut“, freut sich die Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick (parteilos) und würdigt den Zug als Ort der „friedlichen Begegnung“ – über alle Grenzen von Alter und Herkunft hinweg: „Hier gehört dazu, wer mitläuft“, so Petzold-Schick und hebt die Bedeutung des Fests für die Kleinen hervor: „So bleibt Bruchsal jung.“
Teilnehmer sind aus der Übung
Ein wenig aus der Routine gekommen scheinen die Umzugsteilnehmer beim ersten Zug nach der Pandemie jedoch – zumindest, wenn es nach Rainer Rapp, Leiter im Amt für Bildung und Sport, geht, der bei der Einweisung der Teilnehmer auf dem Schlossplatz kräftig ins Schwitzen gerät – und dem die Begeisterung dennoch ins Gesicht geschrieben steht: „Herrlich“, schwärmt er mit Blick auf den Schlossplatz, wo sich Eltern und Kinder dicht an dicht drängen.
„Ich habe mit weniger gerechnet“, sagt er – auch, weil bis vor wenigen Monaten noch fraglich war, ob der Zug wegen der Pandemie überhaupt stattfinden könne. Von Corona zeugt an diesem Tag nur einer: Einzig der Schneemann trägt Maske – zumindest so lange, bis Christoph Leier, der die Skulptur aus Stahl, Holz und Pappmaschee gemeinsam mit dem Skiclub Bruchsal gefertigt hat, sie unter Applaus abnimmt. Die Hoffnung aller hier: Dass auf das Winterende auch das Ende der Pandemie folgt.