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Die Frage nach dem Sinn

In Bruchsal gedenkt die Polizeifamilie der getöteten Kolleginnen und Kollegen

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben in Baden-Württemberg 84 Menschen im Polizeidienst ihr Leben gelassen. Ihnen gedachte am Sonntag in Bruchsal die Polizeifamilie. Die Ansprache hielt CDU-Innenminister Thomas Strobl.

Eine Kerze für jeden verstorbenen Polizisten: Anwärterinnen und Anwärter entzünden die Kerzen unter der Stele mit den Namen der Getöteten.
Eine Kerze für jeden verstorbenen Polizisten: Anwärterinnen und Anwärter entzünden die Kerzen unter der Stele mit den Namen der Getöteten. Foto: David Heger

Mario Keller, Reinhold Brändle und Michèle Kiesewetter – es sind die Namen von nur drei der im Dienst getöteten Polizistinnen und Polizisten aus Baden-Württemberg.

Die Liste der Namen, die am Sonntag von Polizeianwärtern in der Bruchsaler Stadtkirche „Unsere Liebe Frau“ vorgelesen wurde, ist bedeutend länger: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ließen im Bundesland 84 Menschen im Polizeidienst ihr Leben. All ihre Namen sind als Inschrift in eine Glasskulptur von Künstler Raphael Seitz graviert, die im Altarraum der Kirche Platz fand – als Andenken ebenso wie als Mahnmal.

Auch Polizisten aus Frankreich nehmen an dem Gottesdienst teil

„Die Schicksale sind nicht einfach vergessen“, erinnerte Polizeidekan Bernhard Metz im ökumenischen Gottesdienst, zu dem über 100 Uniformierte gekommen waren, darunter auch Feuerwehrangehörige aus der Region und Polizisten aus dem benachbarten Frankreich.

Die Namen der Toten erzählen Geschichten, manche sind in der Öffentlichkeit so gut wie vergessen: Reinhold Brändle steuerte 1977 auf dem Höhepunkt des Deutschen Herbstes als Personenschützer ein Begleitfahrzeug, das dem Dienstwagen von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer folgte. Ein Kommando der RAF brachte die Kolonne zum Stehen, Brändle saß noch im Auto, als er mit 60 Schüssen ermordet wurde.

Andere Namen sind eng mit der jüngeren deutschen Geschichte verbunden: Michèle Kiesewetter wurde nur 22 Jahre alt, bevor sie 2007 von Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Heilbronn erschossen wurde.

Im selben Jahr starb ihr Kollege Mario Keller. Der Polizist aus Karlsruhe leistete einen Auslandseinsatz – in Kabul sicherte er die deutsche Botschaft. Bei einem Sprengstoffanschlag am Rande der Stadt starben er und zwei weitere Beamte. Keller, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Bildungssituation in Afghanistan zu verbessern, wurde 39 Jahre alt.

CDU-Innenminister Thomas Strobl hält die Ansprache

„Sie haben ihren Dienst getan, um andere zu schützen. Das kostete sie ihr Leben“, würdigte Thomas Strobl, als Innenminister für die Polizei in Baden-Württemberg zuständig, in seiner Ansprache die Verstorbenen.

„War das alles umsonst?“, stellte der CDU-Politiker die an diesem Nachmittag vielleicht drängendste Frage. Mit Blick auf die heutige Lage in Afghanistan und die täglichen Einsätze der Polizisten könne man das fragen, räumt der Minister ein und zieht Parallelen zu einer Gestalt der griechischen Mythologie: Sisyphos, der von den Göttern die Aufgabe auferlegt bekam, einen schweren Stein einen Berg hinauf zu rollen. Sisyphos hat es nie bis nach oben geschafft, der Stein ist ihm wieder und wieder entglitten und den ganzen Weg zurück hinuntergerollt.

Der Polizeidienst – eine Sisyphosarbeit? „Wir leben in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist“, diagnostiziert Strobl. „Aber das Sinnhafte, das getan wird, bleibt in der Welt“, findet der Minister.

Auch der in Afghanistan ermordete Personenschützer Keller hat etwas hinterlassen: Nach seinem Tod trieben die Angehörigen den Aufbau einer Mädchenschule voran.

Deren Zukunft ist seit der Machtübernahme der Taliban im Land ungewiss, so Thomas Strobl – ein gerade nach oben geschobener Stein droht in diesen Tagen wieder hinunterzurollen. Was bleibt, sind 3.000 Kinder, die die Schule bislang besucht haben. Vielleicht ist der Polizeidienst also doch eine Sisyphosarbeit – denn immerhin gilt, was der französische Philosoph Albert Camus einst festhielt und woran Strobl in der Stadtkirche erinnerte: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

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