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Prominenter Besuch

Ubstadter Schüler bekommen Geschichtsstunde von Joachim Gauck

Er hat Geschichte selbst geprägt - und kann lebendig davon erzählen. Joachim Gauck beeindruckte in Ubstadt-Weiher mit seiner Haltung zum Ukraine-Krieg.

Alfred-Delp-Tag Joachim Gauck
Beeindruckender Zeitzeuge: Joachim Gauck legte vor Hunderten Schülern in Ubstadt-Weiher ein beeindruckendes Bekenntnis zur Demokratie ab. Dort gedachte man dem Widerstandskämpfer Alfred Delp. Foto: Martin Heintzen

Es herrscht Vorfreude und bei manchen auch Anspannung: „Joachim Gauck kann schon ein Vorbild für uns sein, denke ich.“ Ein Zehntklässler des Alfred-Delp-Schulzentrums in Ubstadt freut sich auf den prominenten Gast.

Er und seine Mitschüler der älteren Klassen haben sich in der Turnhalle eingefunden. Der Alt-Bundespräsident und DDR-Bürgerrechtler ist an diesem Mittwoch in Ubstadt zu Gast. Als der 82-Jährige zu reden beginnt, herrscht vollkommene Stille.

Was folgt ist eine spannende Geschichtsstunde von einem, der Geschichte selbst geprägt hat. Das macht Eindruck, auch bei den Jungen, von denen viele erst durch den Gemeinschaftskundeunterricht so richtig erfahren haben, wer da heute zu ihnen spricht. Und dieser Redner, einst Jugendpfarrer in der DDR, dann Bürgerrechtler, findet den richtigen Ton.

Alfred Delp und Joachim Gauck sind in Diktaturen aufgewachsen

Denn der Namensgeber der Schule, Alfred Delp, der als Widerständler im Kreisauer Kreis den Nationalsozialisten mutig die Stirn geboten und dafür ermordet wurde, gab dem Auftritt Gaucks einen würdigen Anlass.

Und irgendwie haben sie doch einiges gemeinsam, die beiden Priester Delp und Gauck. Aufgewachsen in Diktaturen, sich gegen die Übermacht und die eigene Ohnmacht sträubend.

Als bedeutenden Menschen der Freiheitsgeschichte beschreibt Gauck denn auch Pater Delp. „Das geht an mein Herz. Ich bin mitten unter Ihnen“, ruft er den Schülern und Gästen zu. Als Gauck jung war, trugen seine Mitschüler in der DDR das blaue Hemd der FDJ.

Wer es, wie etwa Gauck oder auch seine Kinder, nicht trug, hatte schlechte Chancen, in diesem Staat was zu werden. „Aus so einer Welt komme ich.“

„Ihr Schüler dürft Freiheit noch anders sehen“, gestand er ihnen zu. Freiheit von Bevormundung der Eltern, frei sein so lange zu daddeln wie man will oder die Musik laut zu drehen. Schulleiter Jörg Weber hatte eingangs Gauck selbst zitiert. „Die Freiheit des Erwachsenen ist Verantwortung.“ „Der erwachsene Teil der Freiheit ist glückshaltiger“, versprach der Alt-Bundespräsident den Jungen.

Und dann schwenkte er um auf die aktuelle Politik, und spätestens als er mal eben in freier Rede den Ukraine-Krieg historisch einordnete, hatte er alle in seinen Bann gezogen. Die Erwachsenen mutmaßlich noch mehr als die Jugend. Wer, wenn nicht der im Schatten des Sowjetreichs aufgewachsene Gauck, könnte die russischen Befindlichkeiten besser einordnen.

Der einstige KGB-Agent Putin halte an der über Jahrzehnte eingeübten Untertanen-Gesellschaft fest, nutzt diese diktatorisch zum Machterhalt aus. „Er ist vom Wahn besessen, die alte Größe Russlands wieder herzustellen.“ Auch unter vielen Russen herrsche das Gefühl, dass ihre Nation ein geborenes Imperium ist. „Es gab noch nie ein Russland pur. Es gab immer schon ein Russland plus.“

Dass Gauck dabei so eindeutig und zugleich messerscharf argumentiert, überrascht dann aber doch manchen in der Ubstadter Turnhalle. Beim russischen Angriffskrieg auf den demokratischen Nachbarn gebe es kein Vertun. In der Frage der Schuld gebe es ausnahmsweise nur schwarz und weiß.

Dass wir den Ukrainern helfen, ist total wichtig. Ob uns das als Christen gefällt oder nicht.
Joachim Gauck, Alt-Bundespräsident und Bürgerrechtler

„Tun wir genug, um dem überfallenen Land zu helfen?“, fragte er fast rhetorisch. Nur die Gefahr eines neuen Weltkriegs hindere den Westen daran, die Ukrainer mit allen Mitteln zu unterstützen. „Dass wir helfen, ist total wichtig. Ob uns das als Christen gefällt oder nicht.“

Sein Plädoyer nicht nur an die Jugend: „Wir müssen aufwachen aus dem Schlaf der Sicherheit und des Wohlstandes.“ Wenn Bürger nur noch Kunden seien, sei die Demokratie in Gefahr. Sein Plädoyer: Für eine kämpferische Toleranz, in der auch gestritten wird.

Die Jugend möge die Demokratie als „Raum der Möglichkeiten begreife, in dem ich vorkomme mit allem, was ich kann und mag“. Nicht als Egoismus, sondern in Bezug aufeinander. Die Christen sagten Nächstenliebe dazu, die Politiker Solidarität.

Für diese Haltung erhielt der glaubwürdige Redner am Ende viel Applaus von der Schulgemeinschaft. Auch viele Gäste zeigten sich von Gaucks Rede beeindruckt. Dabei war der einstige Jugendpfarrer nicht der einzige prominente Gast an der Schule. Auch Ignatz Bubis und Helmut Kohl sprachen schon anlässlich des Alfred-Delp-Tages.

„Für unsere Neunt- und Zehntklässler ist solch eine Begegnung eine extrem wichtige und gute Erfahrung“, glaubt Schulleiter Weber. Gauck sei ein glaubwürdiger und nahbarer Mensch, von dessen Erfahrungsschatz die jungen Menschen profitieren könnten. Am Mittwochabend sollte der Alt-Bundespräsident dann noch einmal bei den Schlossgesprächen in Bruchsal auftreten.

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