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Konflikt mit Russland

Gebürtiger Ukrainer aus Zeutern: „Es muss eine rote Linie in der deutschen Außenpolitik geben“

Der Ukrainer Artem Yemchenko floh 2017 mit seiner Familie nach Deutschland. Inzwischen wohnt er in Zeutern. Im Interview spricht er über die Konflikte mit Russland in seiner Heimat.

Mann mit Stirnglatze und rotem Pulli sitzt lächelnd auf Stuhl
Artem Yemchenko in seiner Wohnung in Zeutern gemeinsam mit seiner Frau und den zwei Söhnen. Die Familie floh 2017 nach Deutschland. Foto: David Heger

Seit vier Jahren lebt der gebürtige Ukrainer Artem Yemchenko gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Zeutern.

Groß geworden ist er in der ukrainischen Stadt Donezk unweit der russischen Grenze, wo er sich als Teil der jüdischen Minderheit gemeinsam mit seiner Familie für die Demokratisierung und europäische Integration der Ukraine engagierte.

Als 2014 Bedrohungen und Anfeindungen zunahmen, begann für die Familie eine bewegte Zeit. 2017 entschied er sich zur Flucht nach Deutschland.

Im Gespräch mit unserem Mitarbeiter David Heger blickt das Mitglied der Gesellschaft „Ukrainer in Karlsruhe“ mit Sorge auf den Konflikt in seiner Heimat.

Aktuell droht der Ukraine eine weitere Eskalation mit Russland. Fürchten Sie einen Krieg?
Yemchenko

Wir haben 2014 eine ähnliche Situation erlebt. Seitdem läuft der Krieg in der Ukraine, und zwar als verdeckter Krieg. In der Ukraine – etwa auf der Krim oder in meiner Heimatstadt Donezk – sind heute schon Truppen und Milizen, die von Russland unterstützt werden. Die Ukraine ist in erster Linie Druckmittel für Putin – es geht ihm eher darum, unser Land verdeckt zu destabilisieren als direkt anzugreifen. Ich glaube nicht, dass wir in diesem Jahr einen offenen Krieg erleben werden. Trotzdem bereiten sich die Ukrainer gerade auf alles vor: Welche Folgen ein russischer Einmarsch haben würde, möchte ich mir nicht vorstellen.

Wann waren Sie das letzte Mal in der Ukraine? Wie haben Sie die Lage erlebt und was berichten Familie und Bekannte?
Yemchenko

Ich war 2017 zum letzten Mal in der Heimat, meine Söhne im letzten Sommer. Seitdem halten wir über das Internet den Kontakt. Unsere Freunde sind sich einig, dass keine größere Invasion geplant ist. Aber sie fürchten, ihre Demokratie und Freiheit zu verlieren und bereiten sich für ein Kriegs-Szenario vor. Viele kaufen sich Waffen. Unsere Bekannten besuchen Erste-Hilfe-Kurse und Zivilschutz-Schulungen. Die Ukrainer sind angespannt. „Ich habe keine Angst. Wir werden uns verteidigen“, sagte mir meine Schwiegermutter bei unserem letzten Gespräch. So wie sie denken viele Ukrainer.

Die Konflikte in der Region bestehen teils seit vielen Jahren, bereits im vergangenen Jahr hat Russland Truppen an der Grenze zur Ukraine stationiert. Warum eskaliert die Situation gerade jetzt?
Yemchenko

Das ist eine politische Frage. Für Russland sind die Bedingungen günstig wie nie, um Druck auszuüben. In Belarus ist Lukaschenko seit den Protesten im Land abhängig von Russland. In den USA muss der neue Präsident und in Deutschland die neue Bundesregierung ihre Linie im Konflikt erst noch finden.

Die Bundesregierung hat sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und muss für diese Linie derzeit Kritik einstecken. Der ukrainische Botschafter hat an die Bundesrepublik appelliert, eine führende Rolle in der EU einzunehmen. Welches Handeln der Bundesregierung erhoffen Sie sich?
Yemchenko

Auch, wenn ich mir wünschen würde, dass die USA und Deutschland jetzt zur Unterstützung Truppen in die Ukraine schicken, kann ich die deutsche Zurückhaltung verstehen. Deutschland braucht Russland als wirtschaftlichen Partner und ist etwa auf Gaslieferungen angewiesen. Aber es muss eine rote Linie in der deutschen Außenpolitik geben: Eine Invasion lässt sich nicht mit Diplomatie abwehren. Im Falle eines russischen Angriffs sollte Deutschland gemeinsam mit den Nato-Staaten deshalb alles tun, um die Ukraine als eine der wenigen Demokratien in den post-sowjetischen Staaten zu unterstützen.

Worauf hoffen Sie bei Ihrem nächsten Besuch in der Ukraine?
Yemchenko

Wegen Corona muss der Besuch wohl noch ein bisschen warten. Ich hoffe, dass bis dahin Gespräche zwischen Russland und dem Westen stattgefunden haben und es Frieden gibt. Ich freue mich darauf, kleine Veränderungen wahrzunehmen, auf die Entwicklung der ukrainischen Sprache, die seit Ende der Sowjetunion von immer mehr Menschen ganz alltäglich gesprochen wird. Ich bin gespannt auf neue Gesichter in der ukrainischen Politik – hoffentlich pro-demokratische. Und natürlich auf die Küche!

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