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Hans Hopf

Interview mit Psychotherapeut: „Viele Verschickungskinder wurden traumatisiert“

Ein bis drei Millionen Kinder wurden zwischen den 50er- bis 90er-Jahren bei Kuraufenthalten misshandelt, so eine Schätzung. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Hans Hopf erklärt im Interview, wie Betroffene auch nach Jahrzehnten noch an den Erlebnissen mit Pleiden.

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Als Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche wurde Hans Hopf mit vielen Traumata konfrontiert. Das Ausmaß bei Verschickungskindern hält er für gravierend. Foto: pr
Ein bis drei Millionen Kinder wurden zwischen den 50er- bis 90er-Jahren bei Kuraufenthalten misshandelt, so eine Schätzung. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Hans Hopf erklärt im Interview, wie Betroffene auch nach Jahrzehnten noch unter dem Erlebten leiden.

Was haben die schlimmen Erfahrungen bei den betroffenen Verschickungskindern ausgelöst?

Hopf: Es geht um seelische Verletzungen, sogenannte Traumata. Diese können durch unvorhersehbare Ereignisse – Unfälle oder Naturkatastrophen – ausgelöst werden oder auch durch aktives Handeln: Gewalt, Folter, Missbrauch. Diese Traumata sind für den Menschen bedeutender. Viele Verschickungskinder sollten aufgepäppelt werden, wurden aber traumatisiert.

Was bedeutet das für ihr heutiges Leben?

Hopf: Wenn ein Kind zu wenig geschützt wurde, kann sich das ins Gehirn eingraben. Der Körper vergisst nichts. Das kann später die verschiedensten Symptome erzeugen: Reizbarkeit, aggressives Verhalten, Gewalt, Depression. In seltenen Fällen werden Opfer später selbst zu Tätern. Neben den Misshandlungen gibt es Fälle, in denen Eltern ihren Kindern nicht geglaubt haben. Das zerstört den Rest an Vertrauen. Die Kinder erleben Hilflosigkeit. Wenn sie im späteren Leben auch nur etwas Annäherndes erfahren, wird das Trauma ausgelöst.

Es klingt unfassbar, dass Eltern ihren Kindern das nicht geglaubt haben.

Hopf: Das ist gar nicht so selten, gerade bei Missbrauch und Misshandlungen außerhalb der eigenen Familie. Eltern schieben es dann auf die Fantasie der Kleinen, weil es unvorstellbar ist. Eltern wollen das nicht wahr haben, es passt nicht in das heile Weltbild.

Lassen sich die Erlebnisse für die betroffenen Verschickungskinder restlos aufarbeiten?

Hopf: Restlos niemals, die Erinnerung wird immer bleiben. Alte Ängste können beispielsweise im Traum auftauchen. Manche Menschen haben eine unglaubliche psychische Widerstandskraft, die müssen das vielleicht gar nicht aufarbeiten. Aber bei den meisten Menschen machen sich Traumata vor allem in zwei Phasen bemerkbar: in der Pubertät und im Alter.

Warum gerade dann?

Hopf: Wir haben in diesen Phasen wenig Widerstandskraft. Deswegen wäre eine Frage an Betroffene: Ging es dir in der Pubertät schlecht? Das kommt später wieder. Viele Depressionen im Alter sind unverarbeitete Traumata. Dann sind Menschen zu schwach, um das Erlebte beiseite zu schieben.

Was bedeuten solche Erlebnisse der Verschickungskinder später für die Erziehung der eigenen Kinder?

Hopf: Eltern müssen schauen, dass sie möglichst stabil sind. Traumata können über Generationen weitergegeben werden – wir wissen nicht, ob durch Beziehung oder Gene. Eine israelische Kollegin hat von Kindern berichtet, die nichts vom Holocaust wussten, aber davon geträumt haben.

Wie können Verschickungskinder ihre Erlebnisse aufarbeiten?

Hopf: Wenn jemand Glück hat und einen Partner findet, der einen versteht, reicht das in milden Fällen schon. Es ist durchaus möglich, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Das ist die beste Form der Psychotherapie. Sonst wird man über eine psychotherapeutische Behandlung nicht herumkommen. Mit der kann man Traumata bewältigen.

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