
Quizfrage: Was haben ein Polizist und ein Priester gemeinsam? Einer, der diese Frage beantworten kann, lebt in Waghäusel. Im Kloster bei den fünf „Brüdern vom gemeinsamen Leben“.
Pater Stefan ist in vorösterlicher Hektik. Gerade hat er die Beichten abgenommen, dann ist Vesper, dann Abendbrot. Dann wieder Gebet. Am Karfreitag geht es so weiter: Kreuzweg, Beichten, Karfreitagsliturgie. „Dazwischen versuchen wir schon ein bisschen stiller zu sein“, sagt der Pater augenzwinkernd und eilt davon. Mit der Ruhe hat er es nicht so. Es hat geklingelt an der Klostertür.
Auf der Bank im frühlingshaften Garten, auf die man sich zum Interview gesetzt hat, bleibt eine alte grüne Polizeimütze liegen. Darin einige kleine Schwarz-Weiß-Fotos aus Pater Stefans erstem Leben. Der gebürtige Neibsheimer war nicht immer Ordensmann. Früher war er Schutzmann. Mit Leidenschaft, wie man ihm glauben kann.
Der Polizist ist dein Freund und Helfer, und Jesus ist das auch.Pater Stefan war früher Polizist
Die Gemeinsamkeit? Die Antwort kommt wie aus der Polizeipistole geschossen: „Der Polizist ist dein Freund und Helfer, und Jesus ist das auch.“ Doch warum dann der Wechsel? Der heute 67-Jährige ist mit sieben Geschwistern in einer Bauernfamilie in Neibsheim aufgewachsen. „Die drei Buben vor mir haben in der Landwirtschaft geholfen“, erzählt er.
Sein Glück war, dass die katholische Schule St. Paulusheim in Bruchsal ein Kontingent an Kindern aus ärmeren Familien aufnahm. „Nicht weil ich so fromm war“, ist er sich im Rückblick sicher. Wobei: Fromm ist Pater Stefan sehr. Das wird im Laufe der Begegnung klar.
Den Fünfer in Mathe glich der Neibsheimer Bub mit Sport und Religion aus
Er war immer der Jüngste und der Kleinste. „Mit viel Mühe habe ich die mittlere Reife geschafft“. Den Fünfer in Mathe konnte er auf der katholischen Schule durch Sport und Religion ausgleichen.Bei der Post und der Eisenbahn ist er durchgefallen. Blieb noch die Polizei. „Ich war klein und flink und habe den Sporttest bestanden.“ Bei der Mindestkörpergröße muss jemand beim 1,68-Mann ein Auge zugedrückt haben. „Gott hat es so gefügt“, sagt Pater Stefan.
Der Junge vom Dorf als Polizist in der Großstadt Stuttgart
Fünf Jahre hat der Polizist Stefan Frank vom Neibsheimer Dorf Schicht geschoben in der Großstadt Stuttgart. Es war die Zeit der Stammheimprozesse. Cannstatter Wasen, VfB Stuttgart – es war das reine Kontrastprogramm zu seiner Herkunft. Sein Glück war, dass er nach Durlach versetzt wurde, näher an zuhause. „Religiös war ich immer“, sagt er. Es folgte der Kontakt zu einem Jugendpfarrer, das Engagement bei der Landjugend, im Pfarrgemeinderat, als Lektor.

Die Initialzündung kam beim Katholikentag 1978 in Freiburg. Dort erfuhr er, dass man auch ohne Abitur Priester werden kann, als Spätberufener. „Ich war eh immer ein Spätzünder“, sagt er und lacht. „Wenn die mich nehmen, dann ist das ein Zeichen.“ Den Polizistenberuf hängt er an den Nagel, studiert, steht kurz vor der Priesterweihe. Dann nochmal eine Wende. Er hört von dem Orden „Die Brüder vom gemeinsamen Leben“ in Maria Bronnen im Schwarzwald. Kurz zusammengefasst: „Mir gefiel’s, ich bin geblieben.“ Priester wurde er dann aber doch noch.
Kein Mönch, keine Kutte, sondern Seelsorger mitten im Leben
Nein, er sei kein Mönch. Darauf legt er Wert. Er sei Seelsorger. Ohne Kutte, mitten im Leben. Rausgehen, unter den Leuten sein. Das ist sein Ding. Er wird Dorfpfarrer im Südschwarzwald und wundert sich darüber noch heute. „Das hätte ich nie gedacht.“ Er, der mit Ach und Krach den Realschulabschluss gemacht hat, steht nun als Pfarrer vor einer Gemeinde.
Heute ist er häufig mit seinen Predigten bei Radio Horeb zu hören. Seit 21 Jahren nun lebt er in Waghäusel. „Das hat Gott so gefügt“, ist er sich sicher. Der, der so an seiner Heimat hängt, kehrt wieder zurück. „Ich bin ein ganzer Badenser“, stellt er klar. Er kenne alle Dörfer hier, hat früher in Neibsheim gekickt. Familie und Freunde leben hier.
Sein Tagesablauf im Wallfahrtskloster ist strukturiert: Viermal am Tag, um 7, 12, 18 und 21 Uhr wird gebetet. Dazwischen gibt es viel zu tun: „Ich helfe, wo ich gebraucht werde.“ Das kann der Abwasch sein, der Garten, Fahrdienste zum Arzt und in der Betreuung der Gäste. Und seiner Hasen. Seine einfache Herkunft, so glaubt er, helfe ihm dabei, den Kontakt zu den Leuten draußen zu halten. Manchmal eckt er damit auch an.
Die Gespräche werden weniger, aber dafür intensiver.Pater Stefan über Beichtgespräche
Gerade kommt er aus den Beichtgesprächen. „Die Gespräche werden weniger, aber dafür intensiver“, hat er festgestellt. Er wolle die Leute weiterführen, ergründen, was passiert ist, warum. „Der Herrgott ist kein Polizist. Der will wissen, wie es Ihnen geht“, sage er den Sündern.
Ein kurzer Blick in einen der insgesamt sechs Beichtstühle hier in der Wallfahrtskirche. Dann eilt der Pater schon wieder weiter. Die Vesper hat schon angefangen. Danach Abendessen.
Seine Kollegen sitzen schon beim Essen, er unterhält sich noch mit einer jungen Familie. Die fährt oft weite Strecke, um mindestens jeden Sonntag in den Wallfahrtsort zu kommen. „Bei ihm langweilt man sich nie“, lobt der Junge den Pater. „Ach, Quatsch mit Soß’“, entgegnet der, stibitzt dem Jungen ein Stück seines gebackenen Osterhasen, lacht und ist schon wieder draußen.
Im Waghäuseler Kloster feiert man nachts um fünf die Osternacht
Vor Ostern gibt es noch viel zu tun. Bevor nachts um 5 Uhr hier feierlich im Kloster die Osternacht begangen wird und ein Ostersonntag voller weiterer Gottesdienste folgt.
Bleibt da überhaupt noch eine Minute für Besinnung? Der fromme Gottesmann stutzt, schmunzelt, winkt ab: „Wir sind hier doch immer besinnlich.“ Wenn er irgendwo Blaulicht hört, spricht der einstige Polizist immer ein Stoßgebet für seine Kollegen. Die alte Verbundenheit, sie ist noch da.
Vor drei Wochen war Pater Stefan an Corona erkrankt. Die Folgen spüre er noch immer. Alles gehe langsamer. Man fragt sich unweigerlich: Wie dieser eh schon umtriebige und gesprächige 67-Jährige wohl erst sein mag, wenn er ganz fit ist?