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Hilfe für Türkei und Syrien

Erdbeben: Warum Katastrophen-Experten von Sachspenden dringend abraten

Vereine und Initiativen wie die von Online-Star Saliha Özcan sammeln in Deutschland tonnenweise private Hilfspakete für die Erdbebengebiete. Experten sehen das kritisch und raten von Sachspenden ab. Aus ziemlich plausiblen Gründen.

Gut gemeint: Online-Unternehmerin Saliha Özcan aus Waghäusel will mehrere ihrer Sally-Trucks mit privaten Sachspenden in die Türkei schicken. Katastrophen-Experten sehen das kritisch.
Gut gemeint: Online-Unternehmerin Saliha Özcan aus Waghäusel will mehrere ihrer Sally-Trucks mit privaten Sachspenden in die Türkei schicken. Katastrophen-Experten sehen das kritisch. Foto: Sallys Welt

Saliha Özcan wurde mit leicht verdaulichen Backvideos überaus erfolgreich. Aus traurigem Anlass gibt es auf ihrem Youtube-Kanal „Sallys Welt“ nun schwere Kost.

Mit emotionalen Worten ruft die Unternehmerin ihre zwei Millionen Abonnenten zu Sachspenden für die Erdbebengebiete in der Türkei und Syrien auf. Der Plan: Trucks aus dem „Sally“-Fuhrpark sollen Pakete von privaten Spendern tonnenweise in das betroffene Gebiet transportieren. Die Hilfsaktion werde zusammen mit dem türkischen Konsulat koordiniert.

In einem Video gibt die 34-jährige Unternehmerin mit teils tränenerstickter Stimme eine Anleitung, wie man „SOS Pakete“ richtig packt. Sie empfiehlt drei verschiedene Pakete, die von außen deutlich beschriftet werden: ein „Care-Paket“ (etwa Zelt, Schlafsack, Thermobekleidung), ein „Lebensmittel-Paket“ (Tee, Mehl, Speiseöl) sowie ein Hygiene-Paket (Seife, Masken, Tampons und ähnliches).

Sachspenden sind keine effiziente Art zu helfen.
Andreas Kling, Katastrophenschutz-Experte

Der Katastrophenschutz-Experte Andreas Kling hat das Video gesehen. Er attestiert: „Sally macht vieles richtig.“ Man merke, dass sie sich auch schon bei der Flut im Ahrtal engagiert habe, lobt der Berater für Bevölkerungsschutz aus Weingarten.

Die privaten Pakete haben nur einen Haken. „Sachspenden sind keine effiziente Art zu helfen“, sagt Kling. Egal wie gut sortiert: Waren, die in Deutschland gekauft und dann in ein entferntes Gebiet transportiert werden, bedeuten immer einen finanziellen und personellen Reibungsverlust.

Kling hat ja Verständnis. Er sieht auch psychologische Gründe, warum manche Menschen lieber Sachen als Geld spenden. „Man hat dann auch das Gefühl, selbst mitanzupacken.“

Nüchtern betrachtet, spreche jetzt aber alles für eine Überweisung an die Erdbebenhilfe einer seriösen Hilfsorganisation – erkennbar am Spendensiegel.

Sachspenden landen auf dem Friedhof der Kuscheltiere

Noch deutlicher wird Oliver Müller, Leiter der Hilfsorganisation Caritas International mit Sitz in Freiburg. „Die Idee von Sachspenden ist zwar sehr gut gemeint, aber ich kann davon nur abraten. Die sinnvollste und schnellste Hilfe sind Geldspenden.“

Gerade in der Türkei sei es sehr gut möglich, die notwendigen Hilfsgüter – Lebensmittel, Decken, Verbandsmaterial – auf den lokalen Märkten zu kaufen. Müller: „Jetzt auf eigene Faust mit Autos und Lkw Hilfsgüter in die Region zu bringen, dauert viel länger, sorgt auf den Wegen ins Katastrophengebiet für Chaos und bindet dann vor Ort viele Kräfte, die die Spenden sortieren und verteilen müssen.“

Gut gemeinte, aber nicht immer benötigte Sachspenden landen zuweilen an Orten, für die Helferkreise eine sarkastische Bezeichnung haben: Friedhof der Kuscheltiere.

Den Experten zufolge haben Geldspenden mehrere entscheidende Vorteile: „Durch die Vor-Ort-Beschaffung wird die regionale beziehungsweise die lokale Wirtschaft gestützt.

Zudem sind die regional erhältlichen Produkte näher an den Lebensgewohnheiten der betroffenen Menschen“, erläutert Katastrophenschutz-Berater Kling. Auch könnten Privatpersonen nicht immer einschätzen, ob ein Hilfsgut tatsächlich geeignet sei. „Ein Campingzelt vom Discounter ist beispielsweise ungeeignet.“

Bei vergangenen Spendenaktionen hat sich zudem das Thema Kleiderspenden als schwierig erwiesen. „Leider nutzten zu viele Menschen solche Aktionen, um unbrauchbare Bekleidung loszuwerden“, erläutert Kling.

Die teils großen Mengen aussortierter Textilien verstopften dann regelrecht die Logistikwege. Das sei wohl auch der Grund, warum der türkische Zoll derzeit die Einfuhr gebrauchter Bekleidung untersage. Unabhängig davon sei zu bedenken, dass gerade Bekleidung in der Türkei viel günstiger eingekauft werden kann als in Deutschland.

Zentrale Sammelstelle für Sachspenden-Aktionen

Auch Saliha Özcan will Geld geben. Ihr Unternehmen werde 15 Prozent bestimmter Einnahmen an eine Hilfsorganisation überweisen. Der Fokus ihres emotionalen Aufrufs sind aber klar die Sachspenden. „Denn die Menschen dort können direkt mit Geld eigentlich nichts anfangen“, sagt sie im Video.

Bei den Experten der Caritas heißt es indes: Gelder direkt an bedürftige Menschen zu verteilen, sei unter Umständen sinnvoll.

„Solche Hilfen erlauben es den Betroffenen, sich autonom und zielgerichtet mit den Gütern einzudecken, die tatsächlich in der Situation gebraucht werden. Die Menschen werden dadurch nicht zu Objekten, sondern können nach ihrem Willen handeln.“

Der Aufruf von „Sallys Welt“ ist nur eine von vielen Sachspenden-Aktionen. Viele türkische Kulturinitiativen, Moscheevereine und Verbände türkischstämmiger Menschen haben eigene Sammlungen ins Leben gerufen. In den Moscheen der Türkisch Islamischen Union (Ditib) wurde einer Mitteilung zufolge vor den Freitagsgebeten aber auch die Bedeutung von Geldspenden betont.

In der Not zählt jede Hilfe.
Saliha „Sally“ Özcan, Unternehmerin

Auf Nachfrage dieser Redaktion sagt Saliha Özcan: „Geldspenden sind natürlich das Allerwichtigste. Aber in der Not zählt jede Hilfe.“ Mit ihrem Unternehmen wolle sie auch einen persönlichen Beitrag leisten. Özcan hat Freunde und Bekannte, deren Familien von der Katastrophe betroffen sind, eine Schwägerin stammt aus der Erdbebenregion.

Mehr als sieben der firmeneigenen Lkw stehen für ihre Hilfsaktion bereit, zudem weitere Fahrzeuge eines Logistik-Partners, berichtet die Waghäuselerin. Der erste Laster soll an diesem Wochenende vom „Sally“-Lager in Sulz am Neckar in Richtung Türkei fahren.

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