Es muss pure Todesangst gewesen sein, die der Karlsruher Werner S. (Name geändert) empfand: Ein fremder Mann hatte ihn am 28. Juli 2020 unvermittelt am Bahnhof Waghäusel ins Gleis gestoßen.
Als er sich auf den Bahnsteig retten wollte, wurde er zurückgedrängt. Nur die Tatsache, dass S. sehr schmal gebaut ist, habe ihn überleben lassen, so hieß es in der Anklage.
Eine 19 Zentimeter große Lücke zwischen einem nahezu ungebremsten Güterzug und dem Bahnsteig rettete ihm das Leben.
Opfer und mutmaßliche Täter kannten sich nicht
An diesem Dienstag stehen zwei junge Männer vor Gericht, die sich für die Tat verantworten sollen. Oberstaatsanwalt Reinhard Kollmar schilderte den möglichen Ablauf in seiner Anklage drastisch. Die beiden angeklagten Brüder sollen an jenem Sommerabend „ohne Reiseabsichten“ zum Bahnhof gekommen sein.
Dort, so die Anklage, trafen sie auf den ihnen fremden, schwerbehinderten 54-jährigen Werner S. Der wartetet auf den Zug nach Karlsruhe. Während der eine Bruder den Tatort abgesichert haben soll, soll der andere das Opfer ohne Vorwarnung und heimtückisch angegriffen und ins Gleisbett gezerrt haben.
Das Opfer wurde so unvermittelt angegriffen, dass er sich nicht wehren konnte, so schildert es der Oberstaatsanwalt.
Opfer erlitt Oberschenkel- und Handbruch
Selbst als das Opfer den Täter anbettelte, ihn wieder auf den rettenden Bahnsteig zu lassen, ließ der nicht von ihm ab. Er drückte sich in eine 19 Zentimeter große Lücke, bevor der 578 Meter lange Güterzug hinter ihm durchrauschte. Er erlitt erhebliche Verletzungen, einen Oberschenkel- und einen Handbruch.
Die beiden mutmaßlichen Täter, zwei syrische Brüder, im Alter von 26 und 23 Jahren, sitzen seit ihrer Verhaftung in unterschiedlichen Untersuchungsgefängnissen. Sie hörten sich die Anklageschrift weitgehend regungslos an und ließen über ihre Verteidiger erklären, dass sie zunächst keine Angaben dazu machen möchten.
54-jähriger Karlsruher wird als erster Zeuge aussagen
Für den ersten Prozesstag werden mehrere Zeugen erwartet. Unter anderem wird das Opfer aussagen, das seit der Tat nicht nur dauerhafte Bewegungseinschränkungen hat, sondern auch Albträume und Angststörungen.
Den beiden Brüdern wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung sowie Beihilfe dazu vor. Noch zu klären ist, ob der mutmaßliche Haupttäter, der ältere Bruder, zum Zeitpunkt der Tat unter einer krankhaften paranoiden Schizophrenie litt, damit womöglich schuldunfähig ist. Es sind vier Prozesstage angesetzt.