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Reihenhäuser statt Glamour

Untergegangener Glanz: Im FTM-Studio in Sandweier trafen sich einst Stars wie Udo Jürgens

Wo heute Reihenhäuser in Sandweier, einem Stadtteil von Baden-Baden, stehen, herrschte einst Glamour: Im FTM-Studio drehten Stars wie Caterina Valente und Harald Juhnke. Einige Sandweierer haben sie persönlich getroffen. Wie Rudi Bauer, der Udo Jürgens einst auf dem Fahrrad mitnahm.

Jungstars: Udo Jürgens, Harald Juhnke und Silvio Francesco (von links).
Jungstars: Udo Jürgens, Harald Juhnke und Silvio Francesco (von links). Foto: pr

In Sandweier durfte geträumt werden. Als Mitte des Jahres 1959 am nordöstlichen Ortsrand in Richtung Haueneberstein mit dem Bau eines Filmstudios begonnen wurde, schienen die Voraussetzungen für ein Unternehmen geschaffen, das dem damals rund 2.300 Einwohner zählenden selbstständigen Dorf vor den Toren Baden-Badens glänzende Aussichten versprach.

Klaus Überall war der Mann, der in Sandweier Großes plante. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war die berufliche Neuorientierung Überalls am 5. August 1959 folgende Notiz wert: „Klaus Überall, 34, seit 1946 in der Unterhaltungsabteilung des Südwestfunks, geistiger Vater und Regisseur zahlreicher Unterhaltungssendungen im Funk und Fernsehen, verlässt den Südwestfunk und wird Geschäftsführer einer eigenen Produktion von Fernsehfilmen und Musikaufnahmen.“

Hinter dem Engagement von Überall, der damals mit der Schlagersängerin und Schauspielerin Inge Brück verheiratet war (später dann mit Sängerin Katja Ebstein), stand ein ausgeklügelter Plan. Der innovative Fernsehmann hatte eine Marktlücke ausgemacht. Seine Überzeugung: „Mit dem noch in den Kinderschuhen steckenden TV- und Musikgeschäft lässt sich gutes Geld verdienen.“

Aufbruchstimmung und Optimismus nach dem Baubeginn 1959

Auf der Suche nach einem eigenen Studio wurde Überall in Sandweier fündig, wo inmitten von Feldern und Äckern großzügig gebaut werden konnte. Am 30. Mai 1959 war es soweit: Die FTM-Gesellschaft wurde gegründet – „F“ für Film, „T“ für Television, „M“ für Musik. Danach ging es Schlag auf Schlag.

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Am 8. Juni 1959 wurde mit dem Bau des Studios begonnen, zehn Wochen später das Richtfest gefeiert und im Oktober 1959 die erste Aufnahme im FTM-Studio produziert. Es herrschten Aufbruchstimmung und Optimismus.

Der damalige Hausmeister Adam Bornhäußer, eine Sandweierer Turnerlegende, erinnerte sich zu Lebzeiten gerne an seinen Arbeitsplatz: „Im Studio war immer etwas los. Klaus Überall war ein netter Mensch und die meisten Schauspieler und Sänger waren sehr umgänglich.“

Stars wie Peter Kraus, Caterina Valente, Harald Juhnke und Udo Jürgens drehten in Sandweier

Shows, Revuen sowie Auftragsarbeiten für den Südwestfunk und fürs ZDF gehörten zum Tagesgeschäft. Die Stars der Szene gaben sich die Klinke in die Hand: Peter Kraus, Paul Kuhn, Caterina Valente, Fred Bertelmann, Gerhard Wendland, Manuela, Rex Gildo, Vico Torriani – und Udo Jürgens.

Mit dem 2014 verstorbenen Sänger hatte der im Studio beschäftigte Rudi Bauer ein besonderes Erlebnis. „Als ich eines Morgens zur Arbeit radelte, stand der junge Udo Jürgens, den noch niemand kannte, auf der Treppe des Gasthauses Blume, wo er übernachtet hatte. Unterm Arm den Smoking, den er für Filmaufnahmen zusammen mit Harald Juhnke und Silvio Francesco benötigte. Ich habe Udo Jürgens gefragt, ob ich ihn mitnehmen soll. Er sagte gleich ja, setzte sich vorne auf die Fahrradstange und so sind wir zusammen durchs Dorf gefahren – Udo Jürgens, ich und der Smoking.“

Studio-Atmosphäre schnupperten aber nicht nur die Künstler, sondern auch einheimische Angestellte und Statisten, die zum Beispiel den Märchenstunden von Gustav Knuth und Günther Lüders lauschen durften.

In Sandweier entstanden Kinofilme wie "Der Nebelmörder"

Staraufgebot konnte indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Projekt im Sandweierer Unterdorf eine große Schwäche hatte: Es mangelte an Geld. Klaus Überall brauchte Investoren. 1964 wurde er fündig: Der Stuttgarter Journalist Waldemar Schweitzer, Herausgeber der Warentest-Zeitschrift „DM“, kaufte das Studio samt Inventar für 2,5 Millionen Mark.

Die Kinofilme „Der Nebelmörder“ und „Ein Ferienbett mit 100 PS“ entstanden. Die Hauptdarsteller im „Nebelmörder“ hießen Hansjörg Felmy und Ingmar Zeisberg und selbst die Nebenrollen waren mit Größen wie Berta Drews, Benno Hoffmann sowie Wolfgang Völz erstklassig besetzt. Der im Film zu hörende „Kellerparty-Twist“ von Mary Roos wurde als Single veröffentlicht. Im „Ferienbett“ schliefen Dietmar Schönherr und Vivi Bach.

Kurz vor dem Ende wurden Sexfilmchen im Studio gedreht

Der erhoffte Erlös stellte sich trotz der bekannten Namen aber nicht ein. Es ging zusehends abwärts. Der Lärm, ausgehend vom Ooser Flugplatz und der nahen Eisenbahnlinie, war ein weiterer Störfaktor, der den Niedergang des Studios beschleunigte und 1968 zum Verkauf führte.

Was folgte, war weit davon entfernt, wovon Überall einst geträumt hatte. Es begann die Zeit der schlüpfrigen Sexfilmchen wie „Husch, husch ins Körbchen“. Später übernahm eine Großbäckerei das Gebäude, das anschließend in einen Teppichladen umfunktioniert wurde. Baracken wurden angefügt, in denen sich wenig vertrauenerweckende Gestalten aufhielten.

Anfang 1989 dann das Ende: Die Bauten wurden dem Erdboden gleichgemacht. Sandweiers Ortsvorsteher Rudolf Hofmann brachte es auf den Punkt: „Was mit guten Absichten geplant war, passt nicht mehr in das vorhandene Wohngebiet.“

Reihenhäuser statt Staraufgebot

Vom Studio ist nichts übrig geblieben. Wo sich einst Stars und Sternchen tummelten, stehen längst Reihenhäuser. Vergessen ist „Klein-Hollywood“ bei den älteren Sandweierern aber nicht. Und die Jüngeren werden seit Kurzem an die schillernde Episode in der Ortshistorie erinnert: Gegenüber dem ehemaligen FTM-Gelände durchzieht die Straße „Am Filmstudio“ das Neubaugebiet Stöcke Nord.

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