Grundrente, Soli-Abschaffung, Masernimpflicht – die Sitzungswochen des Deutschen Bundestages verlangen den Abgeordneten gerade einiges an Durchhaltevermögen ab. Meldungen über Zusammenbrüche von Politkern machen die Runde. Aber wie sieht er denn aus, der Arbeitsalltag eines Abgeordneten? Die BNN haben bei Danyal Bayaz (Bündnis 90/Grüne) und Olav Gutting (CDU) nachgefragt. Sie vertreten den Wahlkreis Bruchsal/Schwetzingen in Berlin.
Von Monika Eisele70 bis 80 Stunden Arbeit in Sitzungswochen sind keine Seltenheit, sagen beide. „Die Nachtsitzungen am Donnerstag sind anstrengend, aber eben nur einmal die Woche. Deshalb gibt’s keinen Grund zu jammern. Entscheidender finde ich da, wie sehr es auch die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung betrifft, die bis frühmorgens protokollieren müssen, oder mein Team im Büro“, so Bayaz. Er sei zwar ein politischer Mensch, habe aber keine Ahnung gehabt, was auf ihn zukomme, und kein Gefühl dafür, wie sich so ein Tag konkret gestalte. „Ich war vorher in der Wirtschaft tätig und habe ebenfalls häufig mehr als 60 Stunden gearbeitet. Aber es war doch anders: vorhersehbarer, besser planbar, freie Wochenende“, so seine Erfahrung nach zwei Jahren Bundestag.
Sitzung bis Mitternacht - dann Arbeitsfrühstück
CDU-Mann Gutting ist schon seit 17 Jahren im Bundestag. Er stellt fest, dass Plenartage am Donnerstag seit einiger Zeit fast immer bis weit nach Mitternacht gehen. „Da es aber Freitagfrüh, oftmals mit einem Arbeitsfrühstück, schon weitergeht, muss man schauen, dass man wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf bekommt.“ Als Selbstständige sind beide an ein hohes Arbeitspensum gewöhnt. „Eine Sitzungswoche in Berlin ist geprägt von Team-, Fraktions-, Ausschuss- und Plenarsitzungen. Abends finden häufig Empfänge oder Panel-Diskussionen statt. Zwischendrin versuche ich Unterlagen zu lesen, E-Mails zu beantworten, Gespräche zu führen“, beschreibt Bayaz seinen Arbeitsalltag.
Richtig abschalten ist wichtig
In Themen wie etwa Organspenden oder Auslandseinsätze, die nichts mit seiner Profession als Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater zu tun haben, versucht er sich einzuarbeiten. „Richtig abschalten und durchschnaufen ist mir sehr wichtig, auch um zu reflektieren, ob wir uns mit den richtigen Sachen beschäftigen. Zweifeln und in Frage stellen, etwas Abstand vom parlamentarischen Tagesgeschäft zu bekommen, das darf nicht zu kurz kommen“, findet der Grüne.
Themen zu durchdringen, braucht Zeit
Mehr Zeit und Ruhe, um Themen zu durchdringen, wünscht sich auch Gutting. „Gerade im Finanzsektor mit seiner hohen Komplexität und wenn viele Gesetzesbeschlüsse anstehen, hat man das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben, um sich ausführlich mit den Details auseinandersetzen zu können.“ Das Arbeiten unter Fristendruck sei er jedoch aus seiner Zeit als selbstständiger Rechtsanwalt gewohnt.
Zehnerkarte fürs Fitnessstudio
Während der Sitzungswochen komme Privates oder Entspannung deutlich zu kurz oder gar nicht vor, sagen Bayaz und Gutting. Bayaz versucht sich zumindest die Sonntage frei zu halten, „was nicht immer gelingt“.
Gutting hat sich vor einem Jahr eine Zehnerkarte fürs Fitnessstudio gekauft „acht Punkte sind noch immer drauf“. Die Zeit im Wahlkreis sei da entspannter, sagt Bayaz, weniger Termine, mehr Zeit für Gespräche, den Besuch sozialer Einrichtungen oder Unternehmen. „Ich treffe Menschen, die für ein Thema oder eine Sache brennen, lasse mich inspirieren. Und hier vor der Tür haben wir mehr grüne Natur als in Berlin, das fehlt mir in langen Sitzungswochen“, sagt er.
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Einen weiteren Stressfaktor erkennen Bayaz und Gutting im Umgang. „Die Tatsache, dass aktuell sechs Fraktionen im Bundestag vertreten sind, spürt man schon. Mit dem Einzug der AfD sei auch die Atmosphäre schärfer geworden. Kollegiale Zusammenarbeit, über die Fraktionen hinweg, gestaltet sich leider immer schwieriger. Das habe ich vorher anders empfunden“, sagt Gutting.
Dass Kollegen zusammen brechen, stimme nachdenklich, so Bayaz und plädiert dafür, auch mal inne zu halten. „Menschlich habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht mit allen demokratischen Fraktionen. Dennoch ist der Ton insgesamt sehr rau, vor allem in den sozialen Medien“.