An der Theke werden tiefe Freundschaften geschlossen, Beziehungen in die Wege geleitet und die große Politik wird zu später Stunde neu gedacht. Zu dieser romantisierenden Wahrheit in Kneipen gibt es auch ein ehrliches Gegenstück: Ohne die Theke geht nichts. Rosemarie Leclerc steht hinter der dunkelbraunen und mit Ziegelsteinen verzierten Theke in ihrer Musikkneipe in Spöck.
Hier, im Adler, kennen sie alle nur als Rosie. Sieben Tage in der Woche ist sie hier, die ersten Gäste kommen mit Türöffnung um 17 Uhr. „Viele meiner Stammgäste haben eine Sehnsucht“, sagt Rosie.
Von manchen kennt sie nur die Spitznamen
Seit Wochen hat sie den Adler wegen der Corona-Krise geschlossen. Die Getränke könnten ihre Stammgäste auch alleine daheim konsumieren, die Gesellschaft erleben sie nur im Adler. Vom jungen Taekwando-Sportler bis zum Rentner, vom Alleinstehenden bis zum Familienvater: „Manche kommen seit 30 Jahren.“
Rosie führt den Adler seit neun Jahren. „Mir fehlt das gerade alles, einfach das Dasein“, sagt sie. Menschen erzählen an der Theke ihre Geschichten, Rosie hört gerne zu, manchmal gibt sie einen Rat. „Brauner“, „Knolli“, „Wurm“ – „manchmal weiß ich gar nicht, wie sie richtig heißen“.
"Der Adler ist mein Herzblut"
An den Osterfeiertagen würde Rosie besonders gerne öffnen, so wie an Heiligabend ab 21 Uhr. „Da kommen die, die wirklich alleine sind“, sagt sie. „Es geht nicht um Sauferei. Man sitzt zwei Stunden zusammen und spricht von früher, über dieses und jenes.“
Rosie verbringt aber weiter jeden Tag an der Adlerstraße in Spöck. Hammer, Lappen und Eimer stehen auf den Tischen. Die Kneipe wird renoviert, was bei fast durchgehendem Betrieb sonst undenkbar wäre. „Der Adler ist mein Herzblut. Da steckt alles drin, was ich habe – nicht finanziell gesehen.“
Keine Ausnahme für Stammgäste
Die Theke ist abgeschliffen, die Wand frisch gestrichen. Irgendwann werden sich die Menschen hier wieder treffen. Nach den Ortsfesten oder wenn gute Bands im Adler auftreten, drängen sich auf den 90 Quadratmetern auch mal 120 Gäste.
Die ersten haben schon zugesagt für die Nach-Corona-Party, die Rosie geplant hat. Bis dahin renoviert sie. Sonst nichts. Auch wenn einer der Stammgäste an der Hintertür der Kneipe klopft. Ein gemeinsames Bier im Biergarten geht doch? „Da bin ich eisenhart“, sagt Rosie und schüttelt den Kopf. „Ich will ja auch, dass es bald weiter geht.“
Ältere Alleinstehende trifft es besonders
Während für manche Menschen die Kneipe der gesellschaftliche Fixpunkt ist, müssen andere auf ihren gewohnten Gottesdienst verzichten. „Ich habe Sorge um Menschen, die abgeschirmt und alleine sind“, sagt der Bruchsaler Dekan Lukas Glocker.
Für manche ältere allein stehende Menschen sei der Sonntagsgottesdienst auch eine Motivation, sich aufzuraffen, hübsch zu machen, raus zu gehen. „Der Bedarf und die Sehnsucht der Menschen ist riesig“, sagt Glocker.
„Wir können Hilfe anbieten“, sagt er. Mancherorts gibt es Videoübertragungen der Gottesdienste im Internet. Eine 86-Jährige hat sich zuletzt bei Glocker gemeldet. „Sie findet die spirituellen Impulse ganz toll und verfolgt sie auf dem Tablet.“ Er weiß aber auch, dass reine Übertragungen ihre Grenzen haben. „Manche sind angenervt von digitalen Impulsen.“
Für die Osterzeit rät er zu gemeinsamen Gebeten der Hausgemeinschaften. Auch Palmzweige könne man selbst binden und sogar selbst segnen. „Beim Segnen geht es darum, einen Bezug zu Gott herzustellen.“ Das sei natürlich auch Laien möglich.
Messe im eigenen Wohnzimmer? "Nie wieder"
Glocker hat in seinem Wohnzimmer auch schon eine eigene Messe gefeiert. „Das mache ich nie wieder“, sagt er und lacht. Er habe dabei zwar an alle Menschen gedacht, doch zur Messe gehöre einfach eine reale Gemeinschaft. „Das hat sich dann blöd und falsch angefühlt.“
Doch von „halblegalen“ Zusammenkünften, etwa beim Osterfeuer, rät er dringend ab. „Wenn ich Trost suche und von Corona gefunden werde, hilft es nichts.“ Glocker betont, es brauche in dieser Zeit eine höhere Aufmerksamkeit für die Nachbarschaft: „Dass man Leute mal anruft: Wie geht es dir? Kann ich was tun?“
Psychologin rät: Positiven Ersatz suchen
Noch sind es wenige, die in ihrer Not selbst zum Hörer greifen und die „Corona-Hotline“ in Karlsruhe wählen. Dort hören sie die Stimme von Cordula Sailer und anderen psychologisch geschulten Fachkräften. „Die Persönlichkeiten der Menschen werden in der Krise sichtbar, sagt Sailer. Das gelte auch für soziale und optimistische Menschen. „Und wer alleine war, merkt das jetzt verstärkt.“
Sailer hört als Leiterin des Bereichs Beratung bei der Stadt Karlsruhe, was die Menschen derzeit beschäftigt. Es geht um Angst vor dem Coronavirus, Probleme auf engem Raum mit Mitbewohnern, um Einsamkeit. Ängste können in Feiertagen verstärkt werden, sagt Sailer. „Weil der Job in diesen Tagen wegfällt.“ Auch soziale Kontakte fallen derzeit weg. „Wichtig ist es, sich einen positiven Ersatz zu suchen.“
Fernsehen ist keine gute Alternative
Es brauche eine Struktur im Tag. „Sich etwas vorzunehmen, ist wichtig. Das kann Sport und eine anschließende Belohnung sein.“ Kontakt könne man auch beim Gespräch auf dem Balkon mit dem Nachbarn oder per Telefon mit Freunden und Familie suchen. Die meisten Menschen würden viel fernsehen. „Zugleich geben sie an, dass sie das am wenigsten glücklich macht.“
Die Psychologin rät zu Aktivität. „Wer vorbelastet ist mit Ängsten, Depression oder Suchtverhalten, braucht unsere Aufmerksamkeit.“ Man solle pro-aktiv auf Mitmenschen zugehen. Und sie will Betroffenen auch Zweifel und mögliche Scham nehmen: „Meine Leute sind vorbereitet auf so ein Thema. Die Menschen sind herzlich willkommen, bei uns anzurufen?