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360 Menschen noch ohne Job

Goodyear Philippsburg ist abgewickelt

360 Menschen haben noch keinen neuen Job – erstmals werden am Monatsende die Arbeitslosen aus dem Mitte 2017 überraschend geschlossenen Goodyear-Werk in Philippsburg in der Statistik auftauchen. Von den 888 direkt von Kündigungen betroffenen Reifenbauern gingen 623 vor einem Jahr in die Transfergesellschaft über. Zusammen mit der Arbeitsagentur sorgte diese vor allem für die Ausbildung oder Weiterqualifizierung der einstigen Goodyear-Leute.

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Einst ein großer Arbeitgeber: Das Goodyear-Werk in Philippsburg ist Geschichte. Foto: Heintzen

„Dass wir mit einer Arbeitlosenquote von 2,9 Prozent quasi Vollbeschäftigung in der Region haben, kommt den Menschen natürlich zugute“, erklärt Lars Weber, der Geschäftsstellenleiter der Arbeitsagentur in Waghäusel. Aber auch insgesamt 853 Qualifizierungsmaßnahmen vom Computerkurs bis zum Sprachkurs seien eine sehr gute Quote. Zumal Goodyear viele Ungelernte und auch viele Menschen mit Migrationshintergrund, teils ohne gute Sprachkenntnisse, beschäftigte. 74 Personen befinden sich derzeit in neuen Ausbildungen etwa zum Maschinenführer oder zum Industriemechaniker. Auch die 30 Auszubildenden waren schnell vermittelt. Sorgen bereiten Weber vor allem die 70 Personen, die bisher keinerlei Qualifizierung in Anspruch genommen haben, und die etwa 109 Menschen, die kurz vor dem Ruhestand stehen und es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben.

Im Hintergrund ist viel passiert

Es ist ruhig geworden um das alte Goodyear-Werk in Philippsburg. Der mediale Wirbel nach der überraschenden Schließung ist verklungen. Dabei ist in den vergangenen zwölf Monaten viel passiert: Goodyear Philippsburg ist quasi abgewickelt, jetzt kann Bilanz gezogen werden. Und die sieht für die einstigen Reifenbauer gar nicht mal so schlecht aus, wie Lars Weber von der Arbeitagentur Waghäusel schildert. Die Transfergesellschaft Weitblick stellt demnächst ihre Arbeit ein. Bis Mitte des Jahres laufen noch Qualifizierungen aus EU-Fördermitteln.

Protest bei Goodyear
Diese Goodyear-Mitarbeiter stemmten sich 2016 gegen die Schließung des Philippsburger Reifenwerks. Vergebens. Nun verlässt auch der letzte Goodyear-Rest die Stadt. Das Logistikzentrum wird 2024 geschlossen. Foto: Daniel Streib

Azubis waren schnell vermittelt

Von den 888 unmittelbar von Kündigungen betroffenen Goodyear-Mitarbeitern landeten 623 Menschen vor einem Jahr in der Transfergesellschaft. 30 Azubis konnten bereits zuvor sehr schnell an andere Firmen vermittelt werden. Auch viele der circa 100 Menschen, die nicht direkt bei Goodyear angestellt waren, sondern etwa bei Sicherheitsdiensten oder in der Kantine, fanden ebenfalls schnell andere Jobs. 109 der 623 Menschen stehen kurz vor dem Ruhestand, nehmen eine Art Vorruhestandsregelung in Anspruch, werden aber jetzt arbeitslos. Dazu kommen weitere Personen, die ebenfalls noch keine neue Arbeit haben, so dass von den 623 insgesamt 360 tatsächlich in diesen Wochen offiziell in der Arbeitslosenstatistik auftauchen.

Ich glaube, wir haben das Optimale rausgeholt

„Ich glaube, wir haben das Optimale rausgeholt“, erklärt Weber. Die Ausgangslage war vergleichsweise komfortabel, finanziell betrachtet. 1,8 Millionen Euro kamen aus Sozialplanmitteln von Goodyear, weitere 1,7 Millionen Euro gab es von der EU – für Qualifizierung und Fortbildungen.

853 Qualifizierungen stehen zu Buche, berichtet Weber stolz. Das sind Sprachkurse, EDV-Kurse, Staplerführerscheine, Schweißen, dazu kommen individuelle Coachings, Bewerbungstrainings. Sogar Gitarrenkurse hat die EU finanziert, um Menschen, die vielleicht 30 Jahre bei Goodyear malocht haben, neue, auch persönliche Perspektiven zu bieten. „Manche müssen das Lernen erst wieder lernen“, erklärt Benjamin Gondro, der Pressesprecher der Arbeitsagentur.

74 Menschen lernen einen ganz neuen Beruf: Sie wurden zu Maschinen- und Anlagenführer weitergebildet, einige machten eine Ausbildung als Industriemechaniker, Lagerlogistiker oder Industrieelektroniker. Aber auch Ausbildungen zum Frisör oder zum Erzieher laufen. „Interessant auch“, berichtet Weber: „20 bis 30 Leute lassen sich zum Strahlenschutzwerker ausbilden, um beim Abbruch im Philippsburger Atomkraftwerk eingesetzt zu werden.“

70 Menschen haben keine Qualifizierung belegt

„70 Personen allerdings haben keinerlei Qualifizierung in Anspruch genommen“, bedauert Weber. Dabei war das Angebot breit gefächert. In kleinen Arbeitsgruppen wurde gewerkelt, man traf sich im Transfercafé in Philippsburg zum Austausch und zur gegenseitigen Motivation. Mit bis zu 15 Mitarbeitern war die von Goodyear beauftragte Transfergesellschaft Weitblick vor Ort. Zehn Arbeitsagenturen an den jeweiligen Wohnorten sind damit beschäftigt, die Goodyear-Leute wieder in Lohn und Brot zu bringen, fit für den Arbeitsmarkt zu machen. „Natürlich wollten viele der ungelernten Mitarbeiter am liebsten wieder in die Produktion und am besten mit demselben Gehalt“, berichtet Weber. Das allerdings sei schwierig. „Hier galt es, viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“

Eine besondere Liga

Die Goodyear-Abwicklung, so sind sich Weber und Gondro einig, „war schon eine besondere Liga“. 1 000 Menschen, die auf einen Schlag vor dem Nichts stehen – mit ein Grund, warum die EU hier finanziell einsprang. „Von Schockstarre, über Wut, Kampf und Lethargie haben viele Goodyear-Leute in den vergangenen Monaten seit der Schließung im Sommer 2017 ein Wechselbad der Gefühle hinter sich.“

Der finanziell üppige Sozialplan und die große Palette an Hilfen in Kombination mit einem brummenden Arbeitsmarkt haben aber sicherlich die größten Härten abgefedert, so sind sich Weber und Gondro einig.

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