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Projekt „DaLLî“ in der Stadt

Umweltministerium will grüne Dächer gegen Insektensterben

Die hängenden Gärten von Babylon sind das unerreichbare Vorbild: Im Rahmen des Projekts "DaLLi" will das Bundesumweltministerium für mehr grüne Dächer in Deutschland sorgen. Flachdächer sollen als Bienenweiden dienen. Naturschützer sind begeistert, Architektur-Experten reagieren mit Skepsis.

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Das Bundesumweltministerium fördert mit einem neuen Projekt die extensive Dachbegrünung im urbanen Raum mit regionalen Wildpflanzen. Foto: Daniel Jeschke

„Derzeit werden extensive Dachbegrünungen meist mit artenarmen Pflanzenmischungen aus gebietsfremden Arten und Zuchtsorten ausgeführt“, kritisiert eine Pressemitteilung des Berliner Umweltministeriums. „Jetzt ist im Bundesprogramm Biologische Vielfalt ein neues Projekt gestartet, das Verfahren für die artenreiche Begrünung von Dächern mit gebietseigenen, blütenreichen Wildpflanzen weiterentwickelt.“

In den Städten gibt es oft eine große Konkurrenz um knappe Flächen.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD)

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zeigt sich optimistisch: „In den Städten gibt es oft eine große Konkurrenz um knappe Flächen. Für den Schutz der Insekten sind grüne Dächer eine Chance. Dabei kommt es darauf an, Gründächer so zu gestalten, dass sie auch Nahrungs- und Nistmöglichkeiten für Insekten bieten.“ An sechs Modelldächern im nordwestdeutschen Tiefland wird die Begrünung mit Wildpflanzen weiterentwickelt.

Experten aus Baden sind skeptisch oder begeistert

Die Reaktionen von Experten aus Baden bewegen sich zwischen Skepsis und Begeisterung. Das hängt vor allem mit deren Beruf zusammen. Der Biologe Martin Klatt aus Bühl ist Referent für Arten- und Biotopschutz beim baden-württembergischen Landesverband des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). „Grüne Dächer machen Sinn“, stellt er klipp und klar fest. „Das Potenzial der Dachflächen ist riesig und wird bislang viel zu wenig genutzt. Viele neue kommunale Bebauungspläne schreiben aber inzwischen eine Dachbegrünung vor.“

Klatt bevorzugt wegen des geringeren Aufwands extensiv begrünte Dächer. Für intensiv begrünte Dächer seien hohe Bodenaufbauten auf den Flachdächern notwendig, die zu statischen Problemen führen könnten. Der Biologe gibt sich realistisch: Wegen der deutlich höheren Kosten sei dies nur schwer zu vermitteln. „Natürlich könnten Gehölze auf intensiv begrünten Dächern die CO2-Bilanz verbessern“, meint Klatt. Man solle sich aber eher für das Machbare in Form von extensiv begrünten Dächern entscheiden.

Es gibt ein kompliziertes Geflecht zwischen heimischen Insekten und heimischen Pflanzen
Martin Klatt vom Nabu Baden-Württemberg

In dieser Hinsicht hat Klatt klare Vorstellungen, die sich mit denen des Bundesumweltministeriums decken. Er plädiert für heimische Wildpflanzen, die an die hiesigen Standorte angepasst sind. Klatt betont, dass die grünen Dächer keine reinen „Eye-Catcher“ seien, sondern die Biodiversität steigern sollen.

„Es gibt ein kompliziertes Geflecht zwischen heimischen Insekten und heimischen Pflanzen“, berichtet er. „Durch begrünte Dächer mit einheimischen Wildpflanzen wirken wir dem Insektensterben entgegen. Aus diesem Grund dürfen keinesfalls Gartenpflanzen oder Exoten auf den Dächern Verwendung finden.“

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Gutes Beispiel: Der Kindergarten Regenbogen im Baden-Badener Stadtteil Steinbach entstand nach Plänen von Hansulrich Benz. Auf dem Dach blüht der Klatschmohn. Foto: Ulrich Coenen

Grundsätzlich sind begrünte Dächer kein architektonisches Stilmittel
Urban Knapp vom Bund Deutscher Architekten

Urban Knapp ist Vorsitzender der Kreisgruppe Baden-Baden/Rastatt/Ortenaukreis des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Er sieht die Sache differenzierter. „Grundsätzlich sind begrünte Dächer kein architektonisches Stilmittel, außer man macht es zu einem Leitmotiv“, meint Knapp. „Man kennt ähnliches von Fassadenbegrünungen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass dies zu einer bedeutenden Tendenz in der Architektur werden wird.“

Ein grünes Dach kühlt

Im Hinblick auf den sehr großen Bestand an Flachdächern sieht Knapp aber durchaus Möglichkeiten. Die Dachbegrünung biete bauphysikalische Vorteile. „Ein begrüntes Dach ist in jeder Beziehung besser geschützt als ein Folien- oder ein Bitumendach“, stellt er fest. Damit meint Knapp nicht nur mechanische Beschädigungen, die auch durch Kies verhindert werden können. „Unter einem Bitumendach entwickeln sich deutlich höhere Temperaturen als über einem grünen Dach“, erklärt der BDA-Kreisvorsitzende.

Aus Sicht von Knapp macht es für einen Architekten Sinn, das Dach als fünfte Fassade zu betrachten und zu gestalten. Im Hinblick auf begrünte Dächer verweist er auf niederländische Beispiele. Dort gebe es Hotels mit Dachterrassen und intensiv begrünten Dachgärten mit hoher Aufenthaltsqualität.

Speziell in Bezug auf die Insektenvielfalt hält der BDA-Kreisvorsitzende Gründächer aber für wenig bedeutend. „Es gibt gute Argumente für Gründächer“, räumt er ein. „Das Thema aber an der Insektenvielfalt aufzuhängen, ist kurzsichtig. Die Ursachen für das Insektensterben liegen woanders.“

Knapp verweist auf die intensive Landwirtschaft, insbesondere am Oberrhein, die in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen habe. Der sei auch der letzte Grünstreifen zum Opfer gefallen.

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Blick über die Dächer von Baden-Baden: Die Altstadt ist nach Ansicht des Architekturtheorie-Professor Peter Stephan ein wichtiges Beispiel das gegen eine bedenkenlose Begrünung von Dächern in Innenstädten spricht. Foto: Ulrich Coenen

Es ist absurd, Dächer in eine Art Wiesenlandschaft zu verwandeln.
Peter Stephan, Professor für Architekturtheorie

Peter Stephan ist Professor für Architekturtheorie an der Fachhochschule Potsdam. Die Begeisterung des Offenburger Wissenschaftlers für das neue Projekt hält sich in Grenzen. „Tier- und Umweltschutz sind fraglos erstrebenswerte Ziele“, stellt er fest. „Es ist aber absurd, Dächer in eine Art Wiesenlandschaft zu verwandeln. Dachbegrünung ist - ebenso wie Solarzellen - an sich kein architektonisches Element und schon gar kein Bestandteil der Stadtarchitektur. Sie ist besonders dort inakzeptabel, wo die Dachlandschaft einer Innenstadt oder eines baulichen Ensembles gestört wird.“

Der aus Mittelbaden stammende Architekturtheoretiker nennt regionale Beispiele für seine ablehnende Haltung, und zwar die Baden-Badener Altstadt und die Stuttgarter Weißenhofsiedlung. „Wenn muss Begrünung bewusst zu einem gestalterischen Konzept entwickelt werden und die Architektur muss darauf angelegt sein – wie etwa bei den Hängenden Gärten in Babylon, bei Orangerien und Botanischen Gärten, in den Innenhöfen der Frankfurter Commerzbank, bei Terrassenhäusern, am Auswärtigen Amt in Berlin oder an Fassaden wie beim Erweiterungsbau des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe von Michael Schrölkamp, der nicht von ungefähr in einer Parklandschaft steht“, konstatiert Stephan.

Völlig absurd seien die Dachbegrünungspläne für die Kathedrale Notre-Dame in Paris. Hinnehmbar sind für Peter Stephan hingegen „Dachwiesen“ in ökologischen Stadtteilen wie im Freiburger Vauban-Gelände. „Eine Alternative wäre, in weitflächigen Grünanlagen bestimmte Teile nicht zu mähen, wie dies beispielsweise in vielen Landschaftsgärten (Park Sanssouci in Potsdam, Park an der Ilm in Weimar) schon praktiziert wird“, sagt der Offenburger Hochschullehrer.

Die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe ist ein frühes Beispiel für modernen Wohnungsbau. Sie erfüllt die Forderung der Weimarer Verfassung nach einer „gesunden“ Architektur, die die katastrophalen hygienischen Wohnbedingungen des 19. Jahrhunderts ablöst.
Die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe ist ein frühes Beispiel für modernen Wohnungsbau. Sie erfüllt die Forderung der Weimarer Verfassung nach einer „gesunden“ Architektur, die die katastrophalen hygienischen Wohnbedingungen des 19. Jahrhunderts ablöst. Foto: Ulrich Coenen

Begrünte Flachdächer sind auch ein Thema des Bauhandwerks. Der Bruchsaler Heiko Kistenberger ist Obermeister der Dachdecker-Innung Karlsruhe. Er sieht die Initiative aus Berlin positiv. „Begrünte Flachdächer sind gut für Umwelt und Insekten, bieten einen guten Oberflächenschutz des Daches und eine gute Gebäudedämmung. Im Gegensatz zu einem Flachdach ohne Bepflanzung kann das im Gebäudeinneren schon einige Grad im Hinblick auf Wärme oder Kälte ausmachen“.

Üblich sind, so Kistenberger, extensiv begrünte Flachdächer. Die Bauhöhe beträgt fünf bis 15 Zentimeter in Form von Substrat. Der Aufwand für ein Intensivbegrünung ist deutlich höher. Je nachdem, welche Pflanzen auf dem Dachgarten geplant sind, beträgt die Bauhöhe beachtliche 30 bis 120 Zentimeter. „Damit ist ein sehr hohes Gewicht verbunden, das entsprechende Ansprüche an das Tragwerk des Gebäudes stellt“, berichtete der Innungs-Obermeister. „Außerdem benötigen Bäume und Sträucher viel Pflege.“

Heute erhält fast jeder Neubau mit Flachdach eine extensive Begrünung
Heiko Kistenberger, Obermeister der Dachdecker-Innung Karlsruhe

Solche Dachgärten sind nach Auskunft von Kistenberger eher selten. Bei Tiefgaragen, über denen Gärten oder Spielplätze angelegt werden, kommen sie zum Einsatz. „Heute erhält fast jeder Neubau mit Flachdach eine extensive Begrünung“, berichtet Kistenberger. Er sieht Vorteile gegenüber der früher üblichen fünf bis sechs Zentimeter starken Kiesschicht auf dem Dach, die sehr schnell vermoost und unansehnlich wird.

Probleme gibt es nach den Worten von Kistenberger allerdings bei Dachreparaturen. Dann müsse das Substrat zunächst aufwendig auf Seite geschafft werden, bevor der Dachdecker mit der Fehlersuche beginnen könne. Beim Kies ist das einfacher. Kistenberger empfiehlt den Bauherren deshalb hochwertige Bahnen aus Bitumen oder Folien mit einer langen Lebenserwartung.

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