Von Christiane Viehweg
„Mein Vater hat meine Mutter und meinen Bruder umgebracht.“ Das sagte der Elfjährige zweimal zu Nachbarn, die sich um den schwer verletzten Jungen kümmerten, der mit klaffenden Halsverletzungen am Straßenrand saß.
Sein Vater, ein damals 60-jähriger Diplom-Ingenieur, hatte sich an jenem 25. Mai vergangenen Jahres selbst umbringen wollen, damit seine Familie unbeschwert leben könne. Das ließ er seine Verteidigerin Angela Maeß vor dem Schwurgericht in Karlsruhe erklären. Stattdessen aber erstach er seine 38-jährige Ehefrau und den acht Jahre alten Sohn. Der Elfjährige konnte dem Rasenden entkommen. Er hatte das Kind für tot gehalten.
Doppelmordgeständnis: Was am Tag der Tat geschah
Am Freitag musste sich der inzwischen 61-Jährige vor dem Schwurgericht in Karlsruhe unter dem Vorsitzenden Richter Leonhard Schmidt wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes verantworten. Wie Staatsanwältin Christine Roschinski in der Anklage ausführte, hatte der Angeklagte am Morgen des Tattages den Entschluss gefasst, Ehefrau und Söhne zu töten und dann Selbstmord zu begehen. Er verabreichte Frau und Kindern Beruhigungsmittel. Als die Frau schlief, fesselte er sie an Händen und Füßen und würgte sie.
Sie erwachte, rief um Hilfe. Das rief den älteren Sohn auf den Plan. Er flehte den Vater an, aufzuhören. Der griff sich daraufhin ein langes Küchenmesser, stach die Frau in Hals und Brust. Der Sohn versuchte zu fliehen, stürzte, woraufhin auch er Stiche in den Hals bekam. Dem Jüngeren, der hinzukam, versetzte der Vater tödliche Stiche in den Hals. Inzwischen hatte sich der Ältere aufgerappelt, versuchte aus der Haustür zu flüchten, wurde aber eingeholt und zurück gerissen.
Als der Junge blutüberströmt zusammenbrach, glaubte der Vater, er sei tot. Er legte sich ins Bett, trank einen Cocktail aus Beruhigungs- und Schlafmitteln zusammen mit einer halben Flasche Whisky und kam erst im Krankenhaus wieder zu sich. „Leider“, zitierte ihn seine Anwältin. Ihr Mandant wolle keine Angaben machen, sagte sie. Daher gebe sie für ihn eine ausführliche Stellungnahme ab.
Psychische Probleme in der Familie
Der Angeklagte könne sich nicht vorstellen, mit seiner Schuld so weiter zu leben. Er komme sich vor, wie „ein lebender Toter“. Die Tat sei ihm unerklärlich. Seine Ehe sei intakt gewesen, die Söhne sein ganzes Glück. Die Finanzlage mehr als befriedigend. Man habe sorgenfrei leben können. Die Firma florierte, es gab Barvermögen und Immobilien.
Anfang 2019 erkrankte der Mann an einer Wundrose, fühlte sich kraftlos, antriebslos, hatte Schlafstörungen und litt unter peinigenden Katastrophenfantasien. Medikamente hatten nicht die erwünschte Wirkung. Er fühlte sich in einem „Verfallsprozess“.
In seiner Familie seien psychische Probleme häufig, die mit „bipolaren Störungen“ umschrieben wurden, so Maeß. Er war bisher davon verschont geblieben. Auch ein „Geistheiler“ brachte keine Erleichterung. Was ihn zur Tat getrieben hatte, was letztlich der Auslöser war, könne er sich nicht erklären.
Sohn finanziell abgesichert
Mit größter Sorgfalt hatte er indes finanziell für seinen Sohn über seinen Rechtsanwalt gesorgt. Nachbarn hatten den Elfjährigen an der Straße gefunden. Er hatte es geschafft, über den hohen Zaun zu klettern und um Hilfe zu rufen. Eine Ärztin aus der Nachbarschaft, die zufällig vorbeikam, versorgte ihn notdürftig zusammen mit einem Feuerwehrmann und hilfsbereiten Nachbarn, die Verbandszeug und Decken herbeischafften. Mit einem Hubschrauber wurde der Junge ins Krankenhaus geflogen.
Der Prozess wird am 4. März um 9 Uhr fortgesetzt.