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Keine Entspannung in Sicht

Selbst Schmerzmittel und Antibiotika fehlen: Waldbronner Apotheker fordert Spahn zum Praktikum

Selbst gängige Arzneimittel wie Antibiotika und Blutdruck senkende Mittel fehlen. Apotheker in Ettlingen und Umgebung schlagen Alarm, viele Patienten sind verunsichert. Niemand weiß, wann die Lieferengpässe vorbei sind.

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Wird das Rezept eingelöst oder ist das Medikament nicht verfügbar? Diese bange Frage stellen sich viele Patienten. Viele Arzneien sind nicht lieferbar. Foto: Bentz

Apotheker schlagen Alarm - Patienten sind sauer. Seit Monaten gibt es Lieferengpässe in Apotheken in Ettlingen und Umgebung - auch bei gängigen Medikamenten. Produziert wird vorwiegend in Fernost. Der Ausfall von Produktionsstätten durch das Coranavirus droht die Situation weiter zu verschärfen.

Das Bild ist überall das gleiche: Ein Rezept wandert über den Tresen, der Apotheker blickt in den Computer und schüttelt dann bedauernd den Kopf: „Tut uns leid, haben wir nicht“. Was Vergleichbares vielleicht? Wieder Blick in den PC, eiliges Tippen auf der Tastatur, dann neuerliches Kopfschütteln: “Nein, leider nicht in der Wirkstoffkombination.“ Die fast schon verzweifelte Nachfrage „bis wann rechnen Sie denn mit einer Lieferung?“ zieht prompt die Antwort nach sich: „Kann ich nicht sagen“.

Es fehlen Antibiotika und Blutdruck senkende Mittel

Solche Szenen spielen sich derzeit in praktisch allen Apotheken im Land ab - auch in Ettlingen und Umgebung. „Wir haben seit Monaten Lieferengpässe“ erzählt Ulf König, Betreiber der Ettlinger Schlossapotheke. Und zwar bei Blutdruck senkenden Mitteln, Antibiotika, Antidepressiva. „Für die Patienten ist das sehr unbefriedigend.“ Wohl seien viele bereit, auf ein anderes Medikament mit der gleichen Zusammensetzung umzusteigen, aber oftmals sei auch dieses nicht verfügbar.

Chronisch Kranke wollen gerne "ihre Arznei"

Hinzu komme, dass etwa chronisch Kranke auf „ihre Arznei“ fixiert seien und sich sorgen, der Ersatz sei womöglich „weniger gut verträglich“. König führt die Knappheit vor allem auf die geltenden Rabattverträge zurück: Krankenkassen schreiben jedes Jahr Wirkstoffe aus, und nur die günstigsten Anbieter erhalten den Zuschlag. Unternehmen, die hier neben runter fallen, steigen oftmals aus der Produktion aus, da alles andere unwirtschaftlich wäre.

Produziert wird auch im chinesischen Wuhan

Konsequenz: Für den ausgeschriebenen Wirkstoff bleiben nur noch sehr wenige Hersteller übrig. Produzenten sitzen häufig in Asien, auch im vom Coronavirus beeinträchtigen Wuhan, was die Situation seit kurzem noch verschärft. Die Herstellung fällt dort aus (Quarantäne/Zwangsferien) und das wirkt sich auf den Arzneimittelmarkt in Deutschland und anderswo aus.

Patienten müssen "kräftig aufzahlen"

Gerald Geiger von der Ettlinger Albtalapotheke beklagt Engpässe vor allem bei Antibiotika, „und das schon seit Monaten“. Für seine Mitarbeiter bedeute es „immensen Mehraufwand, ständig zu recherchieren, wo denn wer noch ein paar Packungen im Sortiment hat“.

Dann müssen sie unter Umständen kräftig aufzahlen

Und Patienten hätten den Nachteil, wenn beispielsweise statt günstiger Nachahmerpräparate (Generika) nur noch das deutlich teurere Original erhältlich sei. „Dann müssen sie unter Umständen kräftig aufzahlen“.

Apotheken sind abhängig vom billigen Ausland

Als „einfach grauenhaft“ bezeichnet Peter Sarbacher von der Schwarzwaldapotheke in Waldbronn die derzeitige Situation und sagt weiter: „Herr Spahn darf gerne mal einen Tag in meiner Apotheke Dienst machen und die Diskussion mit den Leuten führen“. Es fehle an allem: den gängigsten Antibiotika, Antidepressiva, Standardmitteln gegen zu hohen Blutdruck, Schmerztabletten.

Wir haben Planwirtschaft im Gesundheitswesen
Peter Sarbacher, Apotheker

Schuld aus seiner Sicht: „Die Planwirtschaft im Gesundheitswesen und die Geiz-ist-geil-Mentalität“. Sarbacher, seit 38 Jahren selbständiger Apotheker , erinnert sich an andere Zeiten: Früher einmal habe Deutschlands pharmazeutische Industrie als „Apotheke der Welt“ gegolten. Heute sei man immer stärker vom billigen Ausland abhängig.

Viele Rücksprachen mit Ärzten notwendig

„Wir müssen unseren Patienten viel erklären und nicht jeder hat Verständnis“, berichtet Silke Groth von der Ettlinger Goetheapotheke. Zudem würden mehr Rücksprachen mit den veordnenden Ärzten erforderlich.

Hinzu komme: Wenn etwa im Bereich der Generika das günstigste Mittel absolut nicht lieferbar sei, müsse die Apotheke auf dem Rezept eines gesetzlich Versicherten vermerken, dass nur eine etwas teurere Alternative verfügbar sei. „Dann zahlen das die Kassen auch, wenn wir aber den entsprechenden Aufdruck vergessen, droht uns der Regress.“

Landesapothekerverband kritisiert Preiskampf in Deutschland

Für den Landesapothekerverband Baden-Württemberg liegen die Gründe für die derzeitige Misere, von der niemand weiß, wann sie vorbei ist, auf der Hand: „Die Versorgungsengpässe sind die Konsequenz aus einem globalen Markt und einem in Deutschland existierenden Preiskampf“, sagt Pressesprecher Frank Eickmann. Er kritisiert die „Zentralisierung der Arzneimittelproduktion in Fernost“.

Dort würden zwar Wirkstoffe preiswert hergestellt. Komme es aber zu einem Ausfall von Produktionsanlagen oder anderen Problemen wie Verunreinigungen, entstünden „weltweit schnell Engpässe“. Eickmann verweist außerdem darauf, dass es Großhändler („völlig legal“) gibt, die palettenweise Arzneien aufkauften und sie nicht etwa an hiesige Apotheken lieferten, sondern exportierten. Nach Kanada beispielsweise, „wo sie deutlich höhere Preise erzielen als bei uns“.

Zentrale Meldepflicht als Lösung?

Eine Lösung aus seiner Sicht wäre zum einen eine zentrale Meldepflicht der Arzneimittelhersteller, um auf Engpässe frühzeitig reagieren zu können, zum anderen ein Exportverbot von erkennbar knappen Medikamenten. Die sollten dem „nationalen Markt vorbehalten bleiben“.

Damit befinde man sich in Übereinstimmung mit Richtlinien der EU, die besagen, dass für die Gesunderhaltung seiner Bürgerinnen und Bürger der jeweilige Mitgliedstaat verantwortlich sei. Wenig Hoffnung hat Eickmann, dass der deutsche Markt für Hersteller in absehbarer Zeit wieder attraktiv sein könnte: Dafür brauche es einen Paradigmenwechsel und „den kann ich nicht erkennen“.

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