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Gaggenaus Bürgermeister verrät:

Diese Tiere bremsen Bauvorhaben im Murgtal

Wenn geschützte Eidechsen, Fledermäuse oder Käfer auf ihrem Grundstück auftauchen, schwillt vielen Bauherren der Kamm. Ausgleichsmaßnahmen zum Naturschutz kosten Zeit und Geld. Gaggenaus Bürgermeister Michael Pfeiffer kann davon ein Lied singen. Naturschützer Stefan Eisenbarth gehen die Auflagen dagegen nicht weit genug. Die BNN stellen einige tierische Baubremser vor.

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Sensibler Bereich: An der Gaggenauer Murgkaskade will die Stadt ein Wasserkraftwerk errichten lassen. Die Realisierung scheiterte bislang auch am Naturschutz. Foto: Bracht

Wenn geschützte Eidechsen, Fledermäuse oder Käfer auf ihrem Grundstück auftauchen, schwillt vielen Bauherren der Kamm. Ausgleichsmaßnahmen zum Naturschutz kosten Zeit und Geld. Gaggenaus Bürgermeister Michael Pfeiffer kann davon ein Lied singen. Naturschützer Stefan Eisenbarth gehen die Auflagen dagegen nicht weit genug.

BNN-Redakteur Dominic Körner hat sich mit dem Gaggenauer Bürgermeister Michael Pfeiffer über das Spannungsfeld zwischen Bauplanung und Naturschutz unterhalten – und über dessen schwieriges Verhältnis zum Wiesenknopf-Ameisenbläuling.

Herr Pfeiffer, bei anderer Gelegenheit haben Sie mir erzählt, dass Ihnen der Wiesenknopf-Ameisenbläuling immer wieder begegnet. Wirklich begeistert klangen Sie dabei aber nicht…

Pfeiffer : Das stimmt. Es handelt sich um einen Schmetterling, der in unserer Region häufig vorkommt und streng geschützt ist. Er ist auf eine bestimmte Pflanze angewiesen, den Großen Wiesenknopf: Er ernährt sich von seinem Nektar, schläft, balzt und paart sich auf ihm.

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Anspruchsvoller Schmetterling: Der Dunkle Ameisenbläuling kann ohne den Wiesenknopf nicht überleben. Foto: Stadt Achern

Außerdem lässt er die Rotgelbe Knotenameise seine Larven in ihren Bau tragen und dort ausbrüten. Er kann also nur dort leben, wo er beides findet – den Wiesenknopf und diese Ameisenart. Das macht den Ausgleich sehr kompliziert.

Das heißt: Wenn die Stadt ein neues Baugebiet in seinem Lebensraum ausweisen will, muss sie eine Ersatzfläche für ihn schaffen?

Pfeiffer : Wir müssen ein Grundstück finden, das diese Voraussetzungen erfüllt, es erwerben und einen Landwirt mit der fachgerechten Pflege beauftragen. Er muss die Wiese so mähen, dass sich das Tier dort wohlfühlt. Und die Naturschutzbehörde prüft, ob eine Ausgleichsmaßnahme geeignet ist. Selbst geschützte Pflanzen muss man umsetzen und an ihrem neuen Standort für ideale Bedingungen sorgen.

Macht Sie das als Baubürgermeister nicht manchmal wahnsinnig?

Pfeiffer : Der Naturschutz ist sinnvoll, keine Frage. Und wir können froh sein, in einer wunderschönen, artenreichen Landschaft zu leben. Aber gerade das schränkt unsere baulichen Entwicklungsmöglichkeiten stark ein.

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Klare Haltung: Gaggenaus Bürgermeister Michael Pfeiffer. Foto: pr

Bestimmte Arten kommen im Murgtal häufig vor. Da stellt sich mir die Frage: Kann man bei ihnen nicht großzügiger sein? Und muss ich jede einzelne Eidechse schützen? Zumal ich mich bei manchen Ausgleichmaßnahmen frage, ob sie wirklich sinnvoll sind.

Zum Beispiel?

Pfeiffer: Beim Neubau des Schillerstegs vor einigen Jahren wurde an einer Straßenkreuzung ein Steinhaufen für Eidechsen aufgeschüttet. Wer weiß, wie viele Tiere dort überfahren werden.

Häufig kommt es vor, dass Naturschutzauflagen Bauprojekte erheblich verzögern. Haben Sie das auch schon erlebt?

Pfeiffer: Ich erinnere mich aus meiner vorherigen Tätigkeit an den Bau eines Hochwasser-Rückhaltebeckens in einem Naturschutzgebiet bei Steinbach. Die Planung hatte 1988 begonnen. Gebaut wurde es allerdings erst 2007– und deutlich kleiner als ursprünglich angedacht. Ein Eingriff in ein Schutzgebiet ist natürlich ein schwieriges Thema. Damals waren es die Helm-Azurjungfer, eine Libellenart, und das Braunkehlchen, die das Vorhaben bremsten.

Hatten Sie auch schon solche Fälle in Gaggenau?

Pfeiffer: Nehmen Sie die Wasserkraft-Anlage an der Murgkaskade: Die ersten Pläne gab es 1999, umgesetzt wurden sie bis heute nicht. Das liegt auch am Naturschutz. Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass die Fische in der Murg nicht durch die Turbinen getötet werden oder bei den Bauarbeiten Schaden nehmen. Deshalb müssen sie mittels Elektro-Befischung gefangen und für diese Zeit umgesetzt werden.

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Beim Elektrofischen wird mit einem Elektro-Fanggerät Strom durch das Wasser geleitet. So lassen sich die Fische leichter einfangen. Foto: Runge

Auch das Murgvorland ist als FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat-Gebiet, die Redaktion) ein sensibler Bereich. Der Verein Kindgenau will dort ein Beachvolleyball-Feld errichten lassen. Zunächst hatte das Wasserwirtschaftsamt das Vorhaben abgelehnt. Nun gibt es eine Zusage, aber die Naturschutzbehörde hat Bedenken wegen der FFH-Mähwiese im Uferbereich. Auch sie steht unter Schutz. Dabei sieht die Realität anders aus: Dort gehen ohnehin schon viele Hundehalter mit ihren Tieren Gassi.

Der Naturschutz bei Bauprojekten ist nicht nur ein Zeitfaktor. Mitunter geht er auch ins Geld…

Pfeiffer: Das ist richtig. Als der Radweg an der Murg beim Eisenwerk gebaut werden sollte, wurde dort eine einzige Eidechse gefunden. Man ging dann davon aus, dass dort mehrere Exemplare leben. Die Arbeiten mussten verlegt werden und es entstanden Mehrkosten von mehreren 100.000 Euro.

Fragt man sich da manchmal, ob das Vorhaben überhaupt den Aufwand wert ist?

Pfeiffer: Gerade die Entwicklung von Baugebieten im städtischen Randbereich ist schwierig: Falter, Fledermäuse, Reptilien oder Amphibien sind dabei eigentlich immer ein Thema. Manche Projekte muss man anpassen, von anderen Abstand nehmen.

Tiersche Bremser: Sie machen Bauherren das Leben schwer

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Juchtenkäfer Foto: dpa

Juchtenkäfer

Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist ohnehin umstritten – und dann kam auch noch der Juchtenkäfer: Der Winzling hauste in Bäumen, die für das Vorhaben gefällt wurden. Plötzlich Baustopp: Erst, nachdem die Bahn die Naturschutzauflagen erfüllt hatte, wurde das Fällverbot wieder aufgehoben.

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Hufeisennase Foto: dpa

Hufeisennase

Die Fledermaus war 2007 für den dreimonatigen Baustopp an der Dresdner Waldschlößchenbrücke verantwortlich. 2013 wurde die Brücke dann unter Auflagen eröffnet: Das Verwaltungsgericht bestimmte, das Autos während der Flugzeit der Hufeisennase maximal 30 Kilometer pro Stunde fahren dürfen.

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Mauereidechse Foto: dpa

Mauereidechse

Wieder Stuttgart 21: Der geplante Abstellbahnhof in Untertürkheim gerät ins Wanken. Auf dem vorgesehenen Areal leben 4.000 der rund 140.000 streng geschützten Mauereidechsen Stuttgarts. Sie müssten vor dem Bau umgesiedelt werden. Dafür fehlt im dicht bebauten Stuttgart allerdings die Fläche.

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Großtrappe Foto: dpa

Großtrappe

Der Riesen-Vogel steht unter Schutz. Das musste auch die Deutsche Bahn feststellen, als sie in den 90er Jahren eine ICE-Strecke durch das Havelländische Luch bauen wollte. Mehrfach kam es zu Verzögerungen, ehe sie für satte 23 Millionen D-Mark einen Schutzwall entlang der Gleise bauen musste.

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Hirschkäfer Foto: dpa

Hirschkäfer

Auch der Frankfurter Flughafen hatte tierische Probleme. Um eine neue Flughafen-Halle zu realisieren, mussten 2005 zunächst 50 Baumstämme ausgegraben und mitsamt der Hirschkäferbrut versetzt werden. Erst danach durfte der Wald gerodet werden. Dadurch verzögerte sich der Bau.

Gernsbacher Umweltschützer kritisiert Kommunen

Stefan Eisenbarth ist einer der bekanntesten Naturschützer im Murgtal. Der Gernsbacher sieht die Auflagen für Bauprojekte kritisch – weil sie ihm nicht weit genug gehen und „oft nicht eingehalten werden.“ Seine Beobachtung: „Viele Menschen nehmen es mit dem Naturschutz nicht so genau.“

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Großer Einsatz: Der Gernsbacher Naturschützer Stefan Eisenbarth Foto: BNN

Jagdrevier wird nicht berücksichtigt

Dass Bauherren dazu verpflichtet werden, Ausgleichsmaßnahmen für geschützte Arten zu schaffen, begrüßt Eisenbarth. Allerdings werde nur die Fortpflanzungsstätte der Tiere berücksichtigt, nicht aber deren Jagdhabitat. Außerdem zweifelt der Naturschützer an der Eignung vieler Ersatz-Lebensräume.

Eidechsen benötigen Reviere

So wurden Eidechsen vom Pfleiderer-Areal in einen Reisighaufen am Panoramaweg umgesiedelt. „Allerdings hat man vorher nicht untersucht, ob dort bereits Eidechsen vorkommen“, kritisiert Eisenbarth. Weil die Tiere ihren Lebensraum untereinander in Reviere abgrenzen, sei die vorgesehene Fläche für sie möglicherweise überhaupt nicht ausreichend.

Das ist eine Ausgleichsmaßnahme, die niemals funktionieren wird.
Stefan Eisenbarth über die Obstbaum-Pflege durch Bauherren in Hilpertsau

Mit Bauchschmerzen sieht Eisenbarth auch die Entwicklung des Baugebiets „Eben I“ in Hilpertsau. Dort ignorierten viele Bauherren die festgelegten Naturschutzauflagen, unter anderem bei der Beleuchtung ihrer Grundstücke.

Städte in der Pflicht

Die Einhaltung der Spielregeln werde nicht kontrolliert, so Eisenbarth: „Der Stadt ist das egal.“ Für das Baugebiet „Eben II“ sei nun vorgesehen, dass die Bewohner zur Pflege von Obstbäumen verpflichtet werden. „Das ist eine Ausgleichsmaßnahme, die niemals funktionieren wird“, sagt Eisenbarth.

Ist das Bürgermeister-Gehalt ein Problem?

Viele Gemeinden gingen das Risiko bewusst ein, dass die Auflagen verletzt werden. „Man sollte darüber nachdenken, Bürgermeister nicht entsprechend der Einwohnerzahl ihrer Kommune zu bezahlen“, regt Eisenbarth an. Denn: Mehr Baugebiete bedeuten mehr Einwohner.

Stefan Eisenbarth fordert Entsiegelung von Flächen

Ohnehin sei der praktizierte Ausgleich oft zweifelhaft. Nach seiner Auffassung müsste etwa für jedes neue Baugrundstück eine versiegelte Fläche wieder der Natur zugeführt, also entsiegelt, werden. Eisenbarth erinnert an den „Riesen-Flächenverbrauch“ in Baden-Württemberg: „Irgendwann muss man sagen: Stopp – bis hier hin und nicht weiter.“

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