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NS-Akten

Nazis pöbelten in Gernsbach im Bürgerausschuss

Gernsbach war eine Hochburg der Nationalsozialisten. Davon zeugen tausende Seiten NS-Akten, die Stadtarchivar Wolfgang Froese seit Monaten auswertet. Eine dreiteilige Serie beleuchtet den Nationalsozialismus in der Papiermacherstadt: dieses Mal die Rolle der NSDAP in der Kommunalpolitik.

Gebäude mit Geschichte: Im Alten Rathaus tagte zur NS-Zeit der Gemeinderat. Bürgermeister Georg Menges bot den Nazis die Stirn.
Gebäude mit Geschichte: Im Alten Rathaus tagte zur NS-Zeit der Gemeinderat. Bürgermeister Georg Menges bot den Nazis die Stirn. Foto: abw

Gernsbach war eine Hochburg der Nationalsozialisten. Davon zeugen tausende Seiten NS-Akten, die Stadtarchivar Wolfgang Froese seit Monaten auswertet. BNN-Redakteur Dominic Körner hat einen Blick ins Archiv geworfen und berichtet in einer dreiteiligen Serie über den Nationalsozialismus in der Papiermacherstadt. Heute Teil 1: Die Rolle der NSDAP in der Kommunalpolitik.

Einen schweren Stand hatten die Nationalsozialisten in Gernsbach wahrlich nicht. Bereits 1930 besetzte die NSDAP vier von zehn Sitzen im Gemeinderat und war damit die stärkste Fraktion. „Zur damaligen Zeit war das sehr ungewöhnlich“, erklärt Stadtarchivar Wolfgang Froese, „das protestantische Bürgertum war für den Nationalsozialismus empfänglich.“

Diskurs zwischen Bürgern

Der Diskurs zwischen Mitte und Rechts ist nicht immer von Freundlichkeit geprägt. So sorgt im Sommer 1931 der Verweis des Gemeindevertreters Merz aus einer Bürgerausschuss-Sitzung für Zündstoff. Der NSDAP-Mann wird vom damaligen Bürgermeister Georg Menges (Demokratische Partei) nach einem Zwischenruf aus dem Sitzungssaal geworfen.

Protest gegen Bürgermeister

Der Ausruf „Natürlich die Zentrumspartei!“ berechtige Menges nicht zum Verweis, kritisiert die NSDAP in ihrem Gemeinderatsantrag vom 10. Juni. Darin heißt es: „Ergänzend fügen wir hinzu, dass Herr Bürgermeister Menges in einer eines Bürgermeisters unwürdigen maßlosen Erregung und großem Stimmaufwand unseren Gv. Merz mit hinausfliegen drohte.“ Gegen Menges Verhalten lege man Protest ein und beantrage, dem Einspruch des Verordneten Merz gegen seine Ausweisung stattzugeben.

Es ist eine unbestreitbare Tatsache.

Tags darauf folgt die Antwort aus dem Rathaus – und sie fällt kühl aus: Nicht eine Partei, nur der Gemaßregelte selbst sei berechtigt, gegen seine Behandlung Beschwerde einzulegen, schreibt Menges an die NSDAP. Deren Auftreten ist ihm ein Dorn im Auge: „Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass erst seit Ihre Partei im Bürgerausschuss vertreten ist, der Verlauf der Versammlungen gestört wird, obwohl auch früher schon die Ansichten und Meinungen oft sehr stark auseinandergingen.“

Verschandelung von Gernsbach

Wenige Wochen später wendet sich die Gernsbacher NSDAP mit der Bitte an das Badische Bezirksamt, man möge der „Verschandelung des Stadtbildes durch jüdische Reklameschilder“ Einhalt gebieten: „Wir machen darauf aufmerksam, dass in Gernsbach durch die unten namentlich aufgeführten jüdischen Geschäfte ein Reklameunfug betrieben wird, der keine Berechtigung hat und das Stadtbild (…) verschandelt.“

Nur jüdische Geschäftsleute gelistet

So habe die Firma Leopold Dreyfuss Manufakturwaren neben zwei Schildern an der Hausfassade ein weiteres auf dem Dach angebracht. Hinzu kämen „fünf Reklamefahnen, die bis weit über die Straße hängen“. Auch die Firmen Gebrüder Baer und Emil Nachmann (Kaufhäuser) werden beim Bezirksamt angeschwärzt. Nicht-jüdische Geschäftsleute finden sich in der Auflistung dagegen nicht.

Das tägliche Brot wegnehmen.

Wiederholt verlangt die Partei, Frauen in der Stadtverwaltung zu entlassen und „durch arbeitslose Kaufleute zu ersetzen.“ Diese hatten sich zuvor mit einem Schreiben an die NSDAP gewandt, wonach weibliche Angestellte den erwerbslosen männlichen Kaufleuten „das tägliche Brot wegnehmen“.

Neue Besetzung

Ferner fordert die Ortsgruppe in ihrem Gemeinderatsantrag vom 19. Dezember 1930 die Besetzung eines Bürgermeister-Stellvertreters durch einen Nationalsozialisten. Auch möge der Bürgermeister in Anbetracht der finanziellen Notlage von Stadt und Land „freiwillig auf die Hälfte eines Grundgehaltes zugunsten der Stadt verzichten.“

Kommentar
Kommentar Foto: N/A

Lehrreich

Wolfgang Froese, das wird bei einem Besuch im Stadtarchiv rasch deutlich, hat einen ruhigen Arbeitsplatz. Hektische Betriebsamkeit herrscht dort mitnichten. Und das ist gut so, denn Froese leistet mit der Auswertung der Gernsbacher NS-Akten eine wertvolle Fleißarbeit, die Konzentration, Sorgfalt und Akribie erfordert.

Seit Monaten brütet der studierte Historiker über Briefen, Anträgen und Protokollen – feine Mosaiksteinchen, die zusammengesetzt das Bild einer nationalsozialistischen Festung ergeben. Als sich andere Gemeinden noch gegen die Nazis sträubten, wurde ihrer Sache in Gernsbach bereits der Boden bereitet. Aus diesem dunklen Kapitel Stadtgeschichte erwächst die Verantwortung für die Gegenwart, es besser zu machen. Es bietet der heutigen und künftigen Generation die Chance, ihre Lehren aus der unrühmlichen Vergangenheit zu ziehen.

Wer die nationalsozialistischen Ergüsse aus dem Stadtarchiv liest, muss ungläubig mit dem Kopf schütteln. Die dort gelagerten Akten zeugen von der Perfidie, mit der die Nationalsozialisten gegen Minderheiten und Andersdenkende vorgingen – und auch davon, welch zweifelhafte Diskussionskultur mit ihnen Einzug in die kommunalen Gremien hielt. An dieser Stelle sind die Parallelen zur bundespolitischen Aktualität und der Auseinandersetzung mit einem wiedererstarkten Rechtspopulismus kaum übersehbar.

Die Stadt Gernsbach wird ihrer historischen Verantwortung gerecht, indem sie die Aufarbeitung ihrer schwierigen Geschichte durch eine transparente Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Man darf gespannt sein, welche neuen Erkenntnisse über die NS-Zeit in der Papiermacherstadt die weitere Recherche liefert. In jedem Fall sollte die eigene Vergangenheit eine Mahnung sein: Wehret den Anfängen.                                                                            Dominic Körner

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