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Strenge Corona-Regeln

Besuche in Karlsruher Pflegeheimen sind bei Demenz-Patienten besonders schwierig

Die Lockerung des Besuchsverbots in Pflegeheimen hilft dementen Bewohnern und ihren Angehörigen nur bedingt. Hinter Plexiglas fällt die Erinnerung besonders schwer. Betroffene in Karlsruhe bezweifeln zudem die Sinnhaftigkeit der Isolierung.

Kontakt hinter Glas: So sieht der Besuch im Pflegeheim in Corona-Zeiten für die meisten derzeit aus. Im Seniorenzentrum St. Franziskus besucht Ingeborg Busch (links) die 97-jährige Beatrix Kuschel. Für demente Menschen ist diese Art des Besuchs oft keine große Hilfe - in der ungewohnten Situation erkennen manche ihre Angehörigen nicht.
Kontakt hinter Glas: So sieht der Besuch im Pflegeheim in Corona-Zeiten für die meisten derzeit aus. Im Seniorenzentrum St. Franziskus besucht Ingeborg Busch (links) die 97-jährige Beatrix Kuschel. Für demente Menschen ist diese Art des Besuchs oft keine große Hilfe - in der ungewohnten Situation erkennen manche ihre Angehörigen nicht. Foto: jodo

Der Kontakt zu ihrer dementen Mutter ist Christiane Rösch sehr wichtig. Doch obwohl Besuche in Pflegeheimen per Verfügung des Landes seit dem 18. Mai wieder erlaubt sind, muss Rösch auf einen Termin warten. Währenddessen erfährt sie von den Pflegekräften, dass sich die Demenz verschlimmert hat. Die Sorge um ihre Mutter wächst, und mit ihr das Bedürfnis, sie endlich wieder besuchen zu können.

Bei schwerer Demenz sind Telefonat und Videochat kaum möglich

„Seit neun Wochen habe ich keinen persönlichen Kontakt zu meiner Mutter“, erklärt Rösch gegenüber den BNN. Telefonieren oder Skypen sei wegen der Schwere der Erkrankung nicht möglich. „Ich frage mich: Baut meine Mutter durch die Demenz so stark ab, oder hat es damit zu tun, dass ich nicht mehr komme?“ sagt Rösch. „Ich möchte einfach gerne hin und nach ihr sehen, ich bin ihre einzige Tochter.“

Bei dem Karlsruher Heim, in dem ihre Mutter seit Juni 2019 wohnt, habe man sie zunächst abgewimmelt, ihr gesagt, dass ein Besuch nicht möglich sei. Erst nach mehreren Telefonaten bekommt sie schließlich einen Termin.

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„Wir versuchen, die Kommunikation so gut es geht zu ermöglichen“, erklärt Martin Michel, Vorsitzender der Evangelischen Stadtmission, die Träger des Heims ist. Doch man befinde sich noch immer in einer Pandemie und müsse auf die Sicherheit aller Beteiligten achten.

Viel Mehrarbeit für Pflegepersonal durch Besuche unter Corona-Auflagen

Eine demente Person müsse je nach Schwere der Erkrankung von einer Pflegekraft begleitet werden, auch ohne Corona. Jetzt müsse das Personal noch weitere Aufgaben erledigen, etwa die Besucherdaten erfassen und während des Besuchs auf die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln achten.

Damit sei man schnell bei einer zusätzlichen Stunde Arbeit, die durch den Personalschlüssel der Pflegekassen aber nicht abgedeckt sei. „Wir sind verpflichtet, Besuche zuzulassen und fördern das auch“, so Michel.

„Aber natürlich nur im Rahmen unserer personellen Ressourcen, die durch die Maßnahmen verstärkt gebunden sind.“ Es sei „kein böser Wille“, wenn Besuche nicht sofort ermöglicht würden. „Aber die Kassen bezahlen uns kein zusätzliches Personal.“

Die Erinnerung an einen Menschen wiederzufinden, der durch eine Plexiglasscheibe getrennt ist, ist schwieriger.
Hans-Gerd Köhler, Geschäftsführer Caritas-Verband Karlsruhe

Viele Heime mussten sich erst auf die neue Situation einstellen und die Besuchsabläufe im Sinne des Infektionsschutzes sicher gestalten, etwa mit Plexiglas-Scheiben zwischen Besucher und Bewohner. Unter anderem im Friedensheim in der Redtenbachstraße gelten festgelegte Besuchszeiten. Termine müssen vorab vereinbart werden, spontanes Vorbeikommen sei nicht möglich, berichtet eine Angehörige.

„Die Erinnerung an einen Menschen wiederzufinden, der durch eine Plexiglasscheibe vom Bewohner getrennt ist, ist ungleich schwieriger als sonst“, sagt Hans-Gerd Köhler, Geschäftsführer des Caritas-Verbands Karlsruhe.

Demente Bewohner bleiben nicht immer vor der Scheibe sitzen

Wie so ein Besuch bei einer dementen Person ablaufen kann, beschreibt Michael Kaul, der das Seniorenzentrum St. Franziskus leitet: „Demente Bewohner bleiben nicht unbedingt an der Scheibe sitzen, sie laufen oft herum.

Die Pflegekraft geht dann mit dem Bewohner mit, und der Angehörige mit ausreichend Sicherheitsabstand auch.“ Eine Angehörige habe kürzlich ihren Besuch abgebrochen. „Die Mutter ist es gewohnt, dass sie von ihrer Tochter umarmt wird. In der Situation mit der Plexiglasscheibe hat sie sie einfach nicht erkannt.“

Einen Demenzkranken kann man ganz schwer auf dem Zimmer isolieren, der wird Ihnen verrückt.
Michael Kaul, Leiter Seniorenzentrum St. Franziskus

Ab der kommenden Woche wolle man einen baulich abgeschlossenen Garten für Besuche freigeben, damit Bewohner und Angehörige sich dort – in Begleitung einer Pflegekraft und unter Einhaltung des Mindestabstands – gemeinsam bewegen können.

Die Sicherheit der Bewohner und Mitarbeiter gehe vor, betont Kaul. Denn auch das Tragen von Mundschutz sei bei dementen Personen oft nicht umsetzbar. Und: „Einen Demenzkranken kann man ganz schwer auf dem Zimmer isolieren, der wird Ihnen verrückt.“

Schweres Leben für Bewohner und Angehörige, bis Impfstoff entwickelt ist

Bis es einen Impfstoff gegen Covid-19 gibt, werde sich das Leben der Pflegeheimbewohner nicht ändern, befürchtet Birgit Schuster. Sie hat ihre Mutter im St.-Franziskus-Heim schon besucht. „Die Mitarbeiter im Pflegeheim tun schon alles, was sie können, aber die Situation ist auch jetzt noch nicht schön für die Bewohner“, findet sie.

„Es ist doch eine Absurdität zu sagen, wir schützen die Alten, indem wir sie einsperren. Das ist doch kein wirklicher Schutz.“ Eine bessere Lösung seien regelmäßige Tests bei Bewohnern und Pflegekräften – doch das sei nur möglich, wenn die Krankenkassen es auch bezahlten.

Elli Kobela von der Demenz-Initiative Karlsruhe, die Betroffene und Angehörige berät, sieht die strenge Isolation der Heimbewohner ebenfalls als problematisch an. „Gerade für Menschen, die ihre Situation noch einigermaßen reflektieren können, ist es schwierig“, sagt sie.

Bei einer Frau hätten Eltern nach dem Besuch vor dem Balkon des Heimes gefragt, warum ihre Tochter keine Zeit mehr hat, hineinzukommen. „Manchmal ist es dann besser, nur einen Brief zu schreiben und zu erklären, dass man gerade nicht kommen kann, aber trotzdem an die Person denkt.“

Wenn Berührung die letzte verbleibende Kommunikationsmethode ist

Andererseits sei es vielleicht auch nicht so tragisch, sich ganz kurz zu umarmen, wenn man danach sofort wieder Abstand halte, insbesondere beim Sprechen. „Manche demente Menschen kann man nur noch erreichen, indem man sie berührt.“ Andere würden ihre Angehörigen nur beim gemeinsamen Spaziergang erkennen.

Christiane Rösch hat ihre Mutter inzwischen besuchen können. „Es hat sehr gut geklappt“, erzählt sie. Nach Hände- und Schuhdesinfektion habe sie ihre Mutter durch die Plexiglasscheibe sehen können. „Es ist ein bisschen komisch, dass die Pflegerin dabei bleibt, aber so ist es halt.“

Jetzt, wo sie ihre Mutter gesehen habe, sei sie sehr erleichtert. „Ich war auf Schlimmeres vorbereitet. Richtig erkannt hat sie mich nicht, aber das war vielleicht einfach die Tagesform.“

In einer früheren Version dieses Textes war dem Beitragsbild eine falsche Bildunterschrift zugeordnet. Im Text war fälschlicherweise die Rede davon, dass Birgit Schusters Mutter dement sei. Dies ist nicht der Fall. Text und Bildunterschrift wurden entsprechend korrigiert.

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