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Pro & Kontra

Debatte um Coronavirus: Verstöße petzen oder nicht?

„Ich finde es in Ordnung, wenn die Menschen wachsam sind“ – mit diesen Worten stieß der baden-württembergische CDU-Innenminister Strobl eine Debatte darüber an, ob man Verstöße gegen die derzeit geltende Corona-Verordnung bei der Polizei melden sollte. Ein Pro & Kontra über das Petzen in der Covid-19-Krise.

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0-Pro_&_Kontra_Petzen Foto: imago images

Petzen oder nicht petzen? Das ist im Moment die Frage. „Ich finde es in Ordnung, wenn die Menschen wachsam sind“ – mit diesen Worten stieß der baden-württembergische CDU-Innenminister Strobl eine Debatte darüber an, ob man Verstöße gegen die derzeit geltende Corona-Verordnung bei der Polizei melden sollte.

Während sich die einen bei dieser Aufforderung an die Stasi-Zeit erinnert fühlen, halten die anderen eine gegenseitige Kontrolle für wichtig, um die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus so schnell wie möglich beenden zu können. Auch unsere BNN-Redakteurinnen Sibylle Kranich und Martha Steinfeld diskutieren.

Martha Steinfeld: "Petzen ist erlaubt, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht."

Petzen darf man nicht. Darin sind sich die meisten Menschen einig. Und zu Recht fühlt sich nach der Aufforderung von Thomas Strobl manch einer an eher dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. An die, in denen es zum guten Ton gehörte, Freunde, Nachbarn und Unbekannte an den Staat zu verraten, wenn sie tatsächlich oder angeblich gegen auferlegte Doktrinen verstießen.

Jeder, der schon mal einem Kind die Sache mit dem Petzen erklärt hat, weiß aber auch: Es gibt eine Ausnahme von dieser Regel. Nämlich dann, wenn das gerügte Handeln des Anderen sein eigenes oder Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet. Dass das in der gegenwärtigen Krise der Fall ist, hat inzwischen ein großer Teil der Menschen verstanden.

Mit den Ladenschließungen, den Versammlungs- und Veranstaltungsverboten, den Besuchsverboten in Pflegeheimen und den Abstandregeln schützen wir uns nicht nur vor dem Coronavirus, sondern auch und viel wichtiger noch vor einer zu schnellen Ausbreitung und der damit einhergehenden Überlastung und schließlichen Kollaps unseres Gesundheitssystems. Ein Szenario, das den Gefährdungstatbestand mehr als nur erfüllt.

Wem das jetzt noch egal ist, dem darf auf die Finger geklopft werden. Dazu muss man sich vielleicht nicht mit dem Maßband in den Park stellen um sicherzustellen, dass bei jeder Zweiergruppe der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten ist. Wer aber mit Nachbarn grillt, seine Kneipe hinter verriegelten Fenstern weiterbetreibt oder im Keller Partys feiert, dem hilft nach ein paar Wochen Corona nur noch eines: Eine Strafe, die er spürt.

Sibylle Kranich: "Corona geht vorbei. Aber wer pfeift dann die Bürger-Sheriffs zurück?“

Corona betrifft uns alle, es bedroht uns alle und es kann überhaupt keine Diskussion darüber geben, dass Regeln, die zum Schutz von uns allen aufgestellt wurden, auch von uns allen eingehalten werden. Aber dass Bürger nun als selbsternannte Corona-Spitzel die Augen aufhalten, um Regelverstöße der Polizei zu melden – das geht zu weit.

Außergewöhnliche Zeiten mögen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, aber es kann nicht sein, dass Selbstermächtigung, Spitzelei und Denunziation wieder gesellschaftsfähig gemacht werden. Corona geht vorbei und wer pfeift dann die Bürger-Sheriffs zurück?

Wie wäre es damit? Statt anonym den Nachbarn anzuschwärzen, könnte man ihn doch erst mal selbst ansprechen. Das geht auch per Telefon. Selbst an der frischen Luft kann man sich über eine Distanz von 1,50 Meter locker ohne Lautsprecher verständigen. Wollen wir wirklich zurück in Zeiten, in denen man sich vor dem Nachbarn bei der „Horch und Guck“ fürchten musste?

Corona ist gerade dabei, unsere Gesellschaft zu verändern. Es gibt schon zarte Anzeichen dafür, dass die Welt nach dem Virus eine bessere sein könnte. Im Kontaktverbot lernen wir den Wert von Gemeinschaft neu kennen. Unbekannte bieten sich gegenseitig Hilfe an und das Ansehen von Supermarktverkäuferinnen oder Altenpflegern steigt.

Aber Werte wie Solidarität, Hilfsbereitschaft und Respekt voreinander sind schüchterne Pflanzen, die nur auf dem Nährboden des Vertrauens gedeihen. Strobls Vorschlag dagegen schürt Misstrauen. In so einem Klima kann nichts Gutes wachsen.

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