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Stücke Karlsruher Geschichte

Der Rossebändiger aus dem Kriegsschutt

Elegant schwingt er die Peitsche, zu der sein Pferd kraftvoll springt: Ein so genannter Rossebändiger zeigt sich auf dem Relief, das beim Abriss des alten Stadionwalls im Karlsruher Wildpark zum Vorschein gekommen ist. Dieser und andere Funde erzählen die Geschichte der Karlsruher in der Zwischenkriegszeit.

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Stein gewordene StadtGeschichte: Matthias Burkard, Reinhold Podundtke, Martin Wenz und Folke Damminger (von links) begutachten das Rossebändiger-Relief, das in der Zwischenkriegszeit irgendwo in Karlsruhe ein Gebäude zierte. Foto: Jörg Donecker

Elegant schwingt er die Peitsche, zu der sein Pferd kraftvoll springt: Ein so genannter Rossebändiger zeigt sich auf dem Relief, das beim Abriss des alten Stadionwalls im Karlsruher Wildpark zum Vorschein gekommen ist.

Der junge nackte Mann aus dem Kriegsschutt hat schon ein paar Jährchen mehr auf dem steinernen Buckel als sein „Kollege“, der von Emil Sutor Ende der 50er Jahre geschaffene „Nackte Mann“, der die KSC-Fans am Stadioneingang begrüßt. Das Rossebändiger-Relief stammt wohl aus der Zwischenkriegszeit, schätzt Martin Wenz, Experte für Bau- und Kunstdenkmäler im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Von dort ist auch Folke Damminger, zuständig für Archäologische Denkmalpflege, zu den „Ausgrabungen“ im Karlsruher Stadionwall gekommen.

Archäologen und Kunsthistoriker besuchen die Wildpark-Baustelle

Reinhold Podundtke von der städtischen Denkmalschutzbehörde und Matthias Burkard von der Höheren Denkmalschutzbehörde im Regierungspräsidium Karlsruhe haben beim Abriss des mit Schutt und Trümmern aus dem Zweiten Weltkrieg errichteten Stadionwalls ebenfalls ein Auge auf die Bruchstücke der Karlsruher Geschichte, die zwischen Erdbrocken, Backsteinen und Kampfmitteln zum Vorschein kommen.

Interessante Funde werden aussortiert, bevor das ungleichmäßig grobe Material des alten Nordwalls geschreddert, gesiebt und verdichtet zur Grundlage für das neue Wildparkstadion aufgeschichtet wird.

Die meisten Fundstücke sind deutlich kleiner als der Rossebändiger: Eine Wasserflasche aus Steinzeug, um die Jahrhundertwende in Massenproduktion hergestellt, ein löchriger Stahlhelm und sogar Teile einer Landkarte, die unter anderem Hauenstein in der Pfalz, Pforzheim und Stuttgart und Teile Frankreichs zeigt.

Fundstücke aus anderen Zeiten: Neben vielen Bodenfliesen fanden die Arbeiter im Stadionwall auch einen Stahlhelm und eine größere Landkarte der Region.
Fundstücke aus anderen Zeiten: Neben vielen Bodenfliesen fanden die Arbeiter im Stadionwall auch einen Stahlhelm und eine größere Landkarte der Region. Foto: Jörg Donecker

Vielleicht hing sie einst in einer Karlsruher Schule? Außerdem unzählige Bodenfliesen, wie sie noch heute in vielen Karlsruher Altbauwohnungen zu finden sind – in denen, die nicht durch Kriegsbomben zerstört oder mittlerweile kernsaniert wurden.

Rossebändiger als Motiv schon im antiken Griechenland bekannt

Der Rossebändiger sticht da mit seiner Kantenlänge von gut zwei Metern und zwischen anderthalb und zwei Tonnen Gewicht schon allein durch seine Größe heraus. „Das Motiv deutet auf eine Schule, vielleicht auch eine Sportstätte hin“, überlegt Wenz laut, während er das Relief betrachtet. Teil des alten Karlsruher „Phönix“-Stadions sei der Stein aber wohl nicht.

Auch wenn der Karlsruher Fund kunsthistorisch eher unbedeutend ist: Das Motiv vom Rossebändiger war schon in der griechischen Antike bekannt als Symbol der Macht des Menschen über die Natur. „Man kennt solche Reliefs als fortlaufende Darstellungen an Tempeln aus dem 5. Jahrhundert vor Christus“, erklärt Wenz, „aber die waren eher nur halb so groß in einem Fries eingefasst.“

Der Rossebändiger aus dem Karlsruher Erdwall im Stil des modernistischen Klassizismus weise mit seinen weichen Linien schon auf den Jugendstil hin, den Künstler könne man aber noch nicht benennen. Auf jeden Fall müsse das Relief von einem öffentlichen Gebäude in Karlsruhe stammen, sind sich die Experten sicher. „Vielleicht erinnert sich ja ein alter Karlsruher?“, fragt Damminger hoffnungsvoll. „Ein schöner Impuls, dass dieses Relief die Tragödie des Krieges so lange überdauert hat“, meint Burkard philosophisch.

Backsteine aus Frankreich und eine kultige Cremedose

Backsteine liegen ebenfalls im Bauschutt. Rote aus Deutschland und gelbe aus dem tönernen Erdreich Nordfrankreichs: Wahrscheinlich waren sie einst Teil der Reparationszahlungen, die Frankreich nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1871 zu zahlen hatte.

Auf einem Haufen liegt ungefähr eine Baggerschaufel voll Metall: Die Ausbeute etwa eines Tages, erklärt Benjamin Pfahler vom Ingenieurbüro Roth und Partner, das die Bauoberleitung über den Wallabriss hat. „Das hier ist alles Schrott“, sagt Pfahler.

Begehrte Sammlerstücke sind Cremedosen der Kultmarke Nivea aus der Vorkriegszeit.
Begehrte Sammlerstücke sind solche Cremedosen der Kultmarke Nivea aus der Vorkriegszeit. Foto: Jörg Donecker

Zwischen Fenstergriffen und Bettfedern liegen auch Gewichte für eine alte Waage und Reste eines Kerzenhalters. „Das würde ich aber auf gar keinen Fall wegwerfen!“ greift Wenz ein. Eine zur Hälfte vom Rost zerfressene Cremedose der Kultmarke Nivea kommt zum Vorschein. „Die Vorkriegs-Nivea wird heiß gehandelt“, sagt Wenz – und tatsächlich findet man im Internet ähnliche Dosen zu Liebhaberpreisen ab 25 Euro. „Man könnte einen ganzen Flohmarkt aufmachen mit diesen Sachen hier“, findet Wenz.

Zunächst einmal kommen die Fundstücke aber wohl ins Zentrale Fundarchiv des Archäologischen Landesmuseums in Rastatt, erklärt Damminger. „Vielleicht lässt sich damit auch mal eine Ausstellung in Karlsruhe realisieren.“

Woher stammt die alte Landkarte?

Und noch eine Entdeckung machen die Archäologie- und Kunstexperten zwischen der noch gefrorenen Erde: Ein Bruchstück einer Druckplatte, das zu der zuvor gefundenen Landkarte passt. „Es gab doch auch einen Verlag in Karlsruhe!“, fällt Wenz ein. Stammt sie also doch nicht aus einer Schule, sondern aus den Beständen des G. Braun Buchverlags?

Viele der aus dem Schutt auferstandenen Gegenstände werden ihr Geheimnis wohl für immer bewahren. Doch was sie offenbaren, erzählt Geschichten aus dem Leben der Karlsruher in der Zeit zwischen den Weltkriegen.

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