Skip to main content

Alltagskultur

Die letzten Telefonhäuschen verschwinden aus Karlsruhe – und niemand weint ihnen nach

Telefonhäuschen sind in Karlsruhe wie überall eine aussterbende Gattung. Weil ihr Betrieb oft nicht mehr rentabel ist, baut die Telekom die einst Stadtbild prägenden Zellen sukzessive ab. Weder hat die Telekom genaue Informationen über die noch vorhandene Anzahl in Karlsruhe, noch weiß man bei der Stadtverwaltung, wie viele öffentlichen Telefone hier existieren.

Telefonzelle in der Stephanienstrasse
Telefonzelle in der Stephanienstrasse Foto: Jörg Donecker

Telefonhäuschen sind in Karlsruhe eine aussterbende Spezies. Aus Gründen der fehlenden Rentabilität baut sie die Telekom schon seit Jahren ab. Wer ein Smartphone hat, braucht die Häuschen mit dem Kabeltelefon nun mal nicht mehr. Und wie sich zeigt: Viel Herzblut verbinden die Stadt Karlsruhe und sogar die Telekom mit den Häuschen auch nicht. Denn beide wissen nicht einmal genau, wie viele Telefonzellen es in Karlsruhe überhaupt noch gibt.

Es ist, als öffnete man eine Pforte in die Vergangenheit: Nur unter Aufbietung von reichlich Muskelkraft lässt sich die Telefonzelle in der Stephanienstraße aufwuchten. Die Atemluft hat etwas Gruftiges, der magentafarbene Hörer ruht seitlich in der Gabel, doch auf dem Boden strafen zwei frische Zigarettenkippen mit Lippenstift-Rand die Mutmaßung Lügen, dass hier schon seit Wochen niemand mehr gewesen sein kann.

Das Telefonhäuschen nahe der Einmündung Seminarstraße mit der Standortnummer 72 11 95 76 22 56 ist eine Rarität. Die Existenzberechtigung des Stadtmöbels ist relativ: In Deutschland kommen laut Bundesnetzagentur statistisch derzeit 1,6 SIM-Karten für Mobiltelefone oder Tablets auf jeden Einwohner.

Für Fern- und Nahgespräche einen stationären öffentlichen Fernsprecher aufzusuchen, ist mithin kaum erforderlich. Das gilt für die dachlosen Stelen, erst recht für die wenigen verbliebenen quaderförmigen Zellen mit weithin sichtbarem „T“. Dennoch nähert sich in diesem Moment eine ältere Dame dem Häuschen. „Doch, doch“, sagt sie, „ein Handy besitze ich schon.“ Nur spiele dessen Akku gerade verrückt. Da ist es für sie ein Segen, dass auch heute noch öffentliche Fernsprecher existieren, wie die Frau zu verstehen gibt. Spricht’s und zieht die Tür hinter sich zu.

Telefonzellen und die „Grenzen der Wirtschaftlichkeit”

Schleichend sterben in Karlsruhe die Zellen. Einst waren sie leuchtend gelb, dann tarnten sie sich in Metallic-Silber und wurden weniger. Die Stadtverwaltung erkennt in dem Farbenwechsel keinen Fortschritt. Aus stadtgestalterischen Aspekten lege man keinen Wert auf die Magenta-Zellen, erklärt Rathaussprecher Mathias Tröndle.

Weder aus Menschenliebe noch aus Nostalgie-Gründen lässt die Telekom hier und dort Telefonhäuschen stehen. Es gibt eine Grenze der Wirtschaftlichkeit. „Wenn sie erreicht ist, gehen wir auf die Stadt zu und besprechen, ob das Telefon entfernt wird“, sagt Katja Werz von der Telekom. Sobald der monatliche Umsatz über einen längeren Zeitraum auf unter 50 Euro sinkt, stellt sich die Frage nach der Rentabilität. Denn Betriebskosten, Standmiete und Reinigung fallen ungeachtet des Umsatzes weiter an.

Die Kundschaft hat die Entwicklung des Telefonzellen-Netzes also selbst in der Hand. Doch eine Grundversorgung mit öffentlich zugänglicher Telefonie gewährleiste man auf jeden Fall, beschwichtigt das Unternehmen.

Ein Kompromiss ist das sogenannte Basistelefon. Es besteht aus einer schmucklosen Stele und einem Tastenapparat. Ecke Rhein- und Geibelstraße lässt sich eines besichtigen. Gezahlt werden kann per Telefonkarte oder Kreditkarte. Nach Erkenntnissen der Telekom schützt das bargeldlose Bezahlen vor Vandalismus. Allein dort, wo die Kundschaft auch auf Münzen als Zahlungsmittel zurückgreifen kann, ist im Übrigen eine komplett anonyme Kommunikation möglich.

Produktdesigner entspannt

An der Hochschule für Gestaltung beobachtet der Architekt und Produktdesigner Volker Albus schon seit Jahren die Entwicklung an der Fernsprechfront Das leise Verschwinden der traditionellen Zellen kommentiert der Professor eher pragmatisch: „Das schafft Platz.“ Im Übrigen sei es ein elementares Merkmal von Alltagskultur, dass sie dem permanentem Wandel unterliege. Telefonzellen schaffen ihm zufolge grundsätzlich „kein soziales Miteinander“. Und ein Handy habe heutzutage jeder in der Tasche.

Distanziert äußert sich auch der ebenfalls an der HfG tätige Produktdesigner Stefan Legner über die aussterbende Spezies der Telefonzelle: „Absurderweise kennt die aktuelle Büro-Einrichtungswelle offenbar den Bedarf der von der Telefonzelle angebotenen räumlichen Isolation“, hat der Experte festgestellt. Die Folge seien „zweifelhafte Wiedergänger“ für den Betrieb mit Laptop oder Handy. Sie werden als Inseln etwa für Großraumbüros offeriert.

Zahl der Zellen unbekannt

Es ist ein mittleres Mysterium: Niemand weiß so genau, wo überall im Stadtgebiet noch Telefonhäuschen stehen. „Wir halten keine regionalen Daten mehr vor“, teilt Telekom-Sprecherin Lena Raschke auf Anfrage mit. Und auch das Rathaus muss die Waffen strecken. „Wir haben keine Statistik“, sagt Rathaussprecher Mathias Tröndle mit einem Schulterzucken. Bis 2016 hatte das zuständige Stadtplanungsamt Tröndle zufolge noch einen Ansprechpartner bei dem Telekommunikations-Anbieter. Jetzt nicht mehr.



Viel Herzblut verbindet die Stadtverwaltung offensichtlich nicht mit dem Thema. Die heute weiter als die eigentlichen Telefonzellen verbreiteten Fernsprech-Stelen bewertet man im Rathaus nicht als ästhetischen Zugewinn, wie der Rathaussprecher durch die Blume zu verstehen gibt. Die früheren gelb leuchtenden und stadtbild-prägenden Häuschen seien hingegen in Ordnung gewesen. Mitunter wurden sie wie in der Waldstadt und in Hagsfeld zu Bücherschränken umfunktioniert.

Robust äußert sich auch die Telekom in Richtung Stadt: „Nur mal angenommen, die Kommunen wären selbst für Unterhalt und Betrieb von öffentlichen Telefonen zuständig, dann hätten sie die allermeisten schon längst flächendeckend abgeschafft“, glaubt Sprecherin Lena Raschke.

nach oben Zurück zum Seitenanfang