Volkmar S. aus Grötzingen geht 2020 in Rente. In den 80er Jahren hat er eine Direktversicherung über 120.000 Euro abgeschlossen. Abgabenfrei hieß es damals. „Dass mich die Gesetzesänderung aus 2004 rückwirkend betrifft und ich 24.000 Euro meiner Altersvorsorge an den Staat verliere, ist schlichtweg Betrug“, sagt er.
Von Sabine Baur und Wolfgang Eisenbarth
Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe macht er am Samstag seinem Unmut Luft. Volkmar S. ist wie die 200 weiteren Teilnehmer der Kundgebung sichtlich verärgert. Organisiert wurde diese vom Verein für Direktversicherungsgeschädigte (DVG). „Erst angelockt, dann abgezockt“ steht auf den pinken Westen der Protestteilnehmer, die vor dem Bundesverfassungsgericht stehen und laut beklagen, dass Justiz und Politik sich gegenseitig die Bälle zuspielten.
Streit um Sozialabgaben: „Rechtens ist nicht immer auch gerecht“
Regionalsprecher der DVG kritisiert die Politik scharf
„Dabei war es doch die Politik, die uns zu dieser Form der privaten Altersvorsorge gedrängt hat“, ruft DVG-Regionalsprecher Michael Urschbach über sein Megafon und erntet sogleich Zustimmung. „Und so was nennt sich Rechtsstaat“, ruft eine Frau. Sie ist genau wie Werner J., der aus dem Saarland gekommen ist, erbost, dass es auf die vor 2004 geschlossenen Verträge keinen Vertrauensschutz gibt.
Seit einer Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 muss jeder gesetzlich Versicherte Sozialbeiträge abführen, wenn seine betriebliche Altersvorsorge ausbezahlt wird. Fällig wird dabei nicht nur der Arbeitnehmerbeitrag, sondern zusätzlich auch der Arbeitgeberbeitrag. Die Krankenkassen betrachten seither auch Direktversicherungen grundsätzlich als Form betrieblicher Altersvorsorge.
Mehr als sechs Millionen Versicherte sind betroffen
Bei Direktversicherungen ist die Versicherungspolice auf den Arbeitgeber ausgestellt. Meist handelt es sich dabei um Kapital-Lebensversicherungen. Wenn ihre Lebensversicherung ausbezahlt wird, müssen sie bei einem Beitragssatz zur Sozialversicherung von über 18 Prozent mit Forderungen der Krankenkassen in Höhe von mehreren Zehntausend Euro rechnen.
Über sechs Millionen Versicherte sind betroffen. Seit Jahren empört diese Praxis viele Betroffene – so auch am Samstag vor dem Bundesverfassungsgericht.
Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Rente klaut
Vielen Versicherten sei gar nicht klar, dass sie einmal Abgaben zahlen müssten, beklagt der Verein für Direktversicherungsgeschädigte. Einige Teilnehmer haben den Großteil der fälligen Doppelverbeitragung bereits abbezahlt und haben wenig Hoffnung auf eine Rückerstattung.
Demonstrant geht für seinen Sohn auf die Straße
Rolf G. ist einer von ihnen. Der 72-Jährige will trotzdem Flagge zeigen und für die künftigen Rentnergenerationen kämpfen: „Wenn sich nichts ändert, wird mein Sohn später genauso von diesem Unrecht betroffen sein.“ Juristisch ist der Widerstand gegen die Doppelverbeitragung im Grundsatz weitgehend erfolglos durch alle Instanzen gegangen und damit abgeschlossen.
Die Gerichte spielten den Ball zurück ins Feld der Politik. Die hat sich mittlerweile etwas bewegt. Im Frühjahr hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Rentner entlasten sollte.
Der Entwurf scheiterte unter anderem, weil sich SPD und CDU/CSU nicht über die Finanzierung einigen konnten. Vereine wie der DVG fordern die komplette Erstattung der mehrfach bezahlten Beiträge und beziffern die Kosten dafür auf etwa sieben bis acht Milliarden Euro.