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Kundgebung in Karlsruhe

Essen aus dem Müll geholt: Verurteilte Studentinnen demonstrieren vor Bundesverfassungsgericht

Caroline K. und Franziska S. sind Studentinnen – und Straftäterinnen. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hat sie wegen Diebstahls zu Arbeitsstunden und einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Ihr Vergehen: Sie haben weggeworfene Nahrungsmittel aus den Mülltonnen eines Supermarkts genommen. Gegen ihre Verurteilung wollen sie sich nun am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wehren.

Ein Mitarbeiter eines Supermarktes bringt Obst zu einem Abfallcontainer.
Ein Mitarbeiter eines Supermarktes bringt Obst zu einem Abfallcontainer. Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Zählt noch als Eigentum, was jemand bewusst weggeschmissen hat? Und ist es Diebstahl, wenn man sich am Müll anderer bedient? Mit solchen Fragen muss sich vielleicht bald das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Zwei Studentinnen aus Bayern reichen am Freitag Verfassungsbeschwerde ein, weil sie sich zu Unrecht verurteilt sehen.

Ursprünglich 2.400 Euro Strafe veranschlagt

Caroline K. und Franziska S. haben an einem Juniabend 2018 Obst, Gemüse und Joghurt aus den Müllcontainern eines Edeka-Marktes in Olching bei München genommen. Eine Polizeistreife erwischte die beiden, sie wurden durchsucht und mussten die Lebensmittel zurückwerfen. Einige Wochen später fanden sie sich in einem Ermittlungsverfahren wieder. Zunächst habe die Staatsanwaltschaft ihnen einen besonders schweren Fall des Diebstahls vorgeworfen, schreiben die beiden auf ihrer Internetseite . Insgesamt 2.400 Euro Strafe hätten sie zahlen sollen.

Die Studentinnen reichten Einspruch gegen den Strafbefehl ein und starteten eine Online-Petition. Der anberaumte Termin vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck wurde mehrmals verschoben. Die Staatsanwaltschaft rückte von ihrer ursprünglichen Position ab und bat an, den Prozess gegen eine Auflage von jeweils acht Sozialstunden einzustellen. Doch da hatte sich längst eine große Protestbewegung gebildet. Und aus dem Verfahren gegen zwei bayerische Studentinnen war eine Grundsatzdebatte über die Rechtslage in Deutschland entstanden.

Andere Verfahren wurden eingestellt

Denn auch Abfall zählt hierzulande noch als Eigentum desjenigen, der ihn weggeworfen hat – jedenfalls bis zur Abholung der Mülltonnen. Ob das Wegwerfen hingegen schon als Aufgabe des Eigentums gewertet werden könnte, ist umstritten. Darüber hinaus kommt als Vorwurf in Einzelfällen zudem Hausfriedensbruch infrage – etwa, wenn Containerer über Zäune klettern, um an Mülltonnen zu gelangen.

Mehrere Staatsanwaltschaften haben in der Vergangenheit Verfahren eingestellt, weil kein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Taten bestand. Das Aachener Landgericht stellte 2013 ein Verfahren gegen zwei junge Containerer wegen Geringfügigkeit ein und hob damit das Urteil des Dürener Amtsgerichts auf. Im März dieses Jahres wurden zwei Männer am Amtsgericht Hannover in einem ähnlichen Fall freigesprochen.

Nun soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden

Bahnt sich also ein Paradigmenwechsel an? Nicht in Bayern, so scheint es: Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck wertete die Tat von Caroline K. und Franziska S. als Diebstahl und verurteilte sie zu je acht Stunden Hilfsarbeit bei der örtlichen Tafel. Außerdem bekamen sie eine Geldstrafe von 225 Euro auf Bewährung. Sie gingen in Revision, doch das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigte Anfang Oktober das Urteil.

Weil sich die beiden trotz der geringen Strafen nicht mit dem Urteil zufriedengeben wollen, reichen sie nun Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. "Containern ist kein Diebstahl", findet Boris Burghardt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Studentinnen bei ihrer Klage unterstützt. "Wer verhindert, dass Lebensmittel verschwendet werden, tut nichts Verwerfliches."

Justizminister und Bundesrat wollten Rechtslage nicht ändern

In der Politik hat sich diese Ansicht noch nicht durchgesetzt. Der Hamburger Justizsenator Till Steffen hatte im Mai eine Gesetzesänderung gefordert, damit Containern straffrei wird. Er scheiterte mit dem Vorschlag aber bei einem Justizministertreffen der Länder – nach eigenen Angaben wegen der CDU-geführten Ministerien, wie die Tagesschau berichtete.

Der Bundesrat lehnte Anfang Oktober außerdem einen Vorstoß zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ab: Laut Antrag dreier Länder hätte der Handel verpflichtet werden sollen, Nahrungsmittel zu spenden, statt sie wegzuschmeißen. In Frankreich gibt es ein ähnliches Gesetz, demzufolge große Supermärkte übrig gebliebenes Essen nicht wegwerfen dürfen.

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Die verurteilten Diebinnen Caroline K. und Franziska S. hätten sich gewünscht, dass auch ihr Gerichtsverfahren ein Zeichen gegen das Wegwerfen von Nahrung setzt. Stattdessen seien sie nun ernüchtert, schreiben sie auf ihrem Blog: "Wir möchten uns mit dieser Antwort nicht zufriedengeben, denn wir sind weiterhin der Meinung, dass wir niemandem geschadet haben." Es sei absurd, dass "in Zeiten der Klimakrise der Schutz unserer Lebensgrundlage hintenangestellt wird".

Demo in Karlsruhe geplant

Unterstützt werden die Studentinnen von mehr als 150.000 Menschen, die ihre Petition unterschrieben haben und sich für die Entkriminalisierung des Containerns aussprechen. Und von zahlreichen Aktivisten, die in verschiedenen Städten und bei den Gerichtsterminen immer wieder für ihre Freisprechung demonstriert haben.

Eine ähnliche Veranstaltung ist nun auch in Karlsruhe geplant: Am Freitag, 8. November, wollen die beiden ihre Beschwerde am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. Um elf Uhr soll die Kundgebung gegen Lebensmittelverschwendung mit Reden von K. und S. im Schlossgarten starten.

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