Henry erprobt seine Schwingen: Der Hyazinth-Ara aus dem Zoo Karlsruhe ist eine Handaufzucht und muss nun von seinen Zieheltern auch beim Flugtraining unterstützt werden. Dafür wird immer wieder morgens der Flur des Affenhauses zur Trainingsstrecke.
Henry hebt ab
Henry ist ein gelehriger Schüler: Aufmerksam scheint der Hyazinth-Ara Matthias Reinschmidt zuzuhören, auf dessen Hand er gerade sitzt. „Da ist der Herr Stritt“, sagt der Zoochef und dreht den Vogel in Richtung des Betriebsmeisters. Sebastian Stritt steht sechs, sieben Meter entfernt, streckt den Arm aus, lockt. Der Zoodirektor streicht Henry noch einmal über das Gefieder, dann schiebt er den Arm nach vorne und leicht nach oben. Henry nimmt die Bewegung auf, auf öffnet die Schwingen – und hebt ab.
Der junge Hyazinth-Ara ist flügge
Gut vier Monate ist es nun her, dass Papageienfan Reinschmidt sich des Aras annahm, der in Nürnberg aus dem Ei geschlüpft war. Als schwächstes von drei Küken hatte Henry in der Obhut seiner Eltern keine Überlebenschance. Versorgt vom Karlsruher Zoochef und seinem Team, ist aus dem hilflosen Küken ein neugieriger Jungvogel geworden. Abgeschlossen ist seine Entwicklung aber noch lange nicht. Nun ist der Ara flügge und muss von seinen Zieheltern zum Fliegen motiviert werden.
Streicheleinheiten
Achtmal, neunmal schlägt Henry mit den Flügeln. Das Auf und Ab hallt durch den Flur des Affenhauses. Aber nur drei Sekunden lang, dann landet der blaue Papagei mit den Krallen voraus auf Stritts Arm. Noch ein Flattern, um das Gleichgewicht zu halten, dann legt Henry die Flügel an und verbirgt seine schwarzen Schwung- und Steuerfedern wieder. Und bekommt Streicheleinheiten, spürbare wie verbale: „Ja super“, lobt Stritt und krault Henry im Nacken. „Sehr schön“, ruft Reinschmidt. Um gleich wieder zu locken: „Und jetzt zu mir, Henry!“ Der lässt sich nicht lange bitten – und heimst nach geglückter Landung die nächsten Streicheleinheiten ein.
Füttern schafft Vertrauen
Mehr Belohnung geht nicht. Mit Nüssen oder Trauben könnte man Henrys Artgenossen eine Freude machen. Henry nicht: Er ist noch die Futterspritze mit dem Spezialbrei für Jungvögel gewöhnt. Von Matthias Reinschmidt und in den vergangenen Wochen auch von Sebastian Stritt hat er diese häufig bekommen, deshalb nimmt er die beiden als positiv wahr. „Das ist die Grundlage für das Flugtraining, sonst würde er nicht zu uns kommen“, erklärt der Zoodirektor.
Noch etwas unbeholfen
Mit gut drei Monaten verlassen Hyazinth-Aras normalerweise die Nisthöhle weit oben in den Baumriesen des Regenwaldes und breiten ihre Flügel aus. Ein wenig unbeholfen sind sie dann noch und werden noch viele Wochen von ihren Eltern betreut. Auch Henry hat anfangs nicht die Hand angesteuert, sondern einfach nur seine Zielperson angeflogen, schildert Stritt. Einige Male ist Henry auch am Boden gelandet – was sich seine Artgenossen in Brasilien kaum leisten können. „Wer vor dem Jaguar landet, hebt nicht mehr ab“, gibt Reinschmidt zu bedenken. Durch Schutzprojekte konnte die Zahl der Hyazinth-Aras im Freiland von 1500 auf 6000 Tiere gesteigert werden, weiß der Papageien-Experte. „Sie gelten immer noch als vom Aussterben bedroht, aber die Prognose ist günstiger als noch vor ein paar Jahren“, sagt er.
Ein Dutzend Flüge
Zehnmal fliegt Henry, neugierig beobachtete von den Kattas, zwischen Reinschmidt und Stritt hin und her. Die beiden vergrößern ihren Anstand schrittweise – was Henry souverän meistert. Auch als die Schimpansen lautstark zanken, lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ebenfalls ein Lernprozess“, sagt Reinschmidt und krault Henrys Gefieder. Nach dem elften Flug bleibt Henry erst einmal auf Stritts Arm sitzen und muss ermuntert werden, seine anderthalb Kilo doch noch einmal durch die Luft zu tragen. „Jetzt hat er genug“, stellt Reinschmidt nach der Landung fest und beendet das Flugtraining.
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Lernen soll Henry aber weiterhin: Sebastian Stritt bringt ihn zurück ins Exotenhaus, wo er seit einer Woche sein Domizil hinter den Kulissen neben dem zweiten Karlsruher Hyazinth-Ara hat. Der 40-Jährige, der zuletzt mit den Hellroten Aras und den Gelbbrust-Aras die Voliere teilte, soll Henry beispielsweise vormachen, dass Äpfel, Trauben, Karotten und Co schmecken und satt machen. „Bisher schleckt Henry nur ein bisschen dran und spielt mit dem Futter“, schildert Stritt. Auch diesmal ist der komplette Inhalt des Napfes wieder am Boden gelandet.
Botschafter Henry
Damit sind beide Hyazinth-Aras in den nächsten Wochen für die Zoobesucher nicht zu sehen – Henrys Sozialisation hat Vorrang. Dass ständig nach ihm gefragt wird, seit die ersten Bilder des Aras im Internet waren, zeige aber, dass Henry großes Potenzial habe, findet der Zoochef. „Er kann der perfekte Botschafter für seine bedrohten Artgenossen werden“, meint er. Seit dem Tod von „Rosalinda“ ist dieser Job im Karlsruher Zoo vakant.
Neue Voliere und eine Partnerin
Im Frühjahr soll Henry in eine neue Voliere zwischen Raubtier- und Affenhaus umziehen. Und am besten dann auch bald ein junges Weibchen an seine Seite bekommen. Eine entsprechende Anfrage aus Karlsruhe hat den Zuchtbuchführer in Belgien bereits erreicht
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