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Wahl war einstimmig

Doppelte Premiere: Ines Härtel wird neue Richterin am Bundesverfassungsgericht

Ines Härtel aus Frankfurt (Oder) wird neue Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Bundesrat wählte die 48 Jahre alte Juraprofessorin am Freitag einstimmig. Das führt zu einer doppelten Premiere am höchsten deutschen Gericht.

Ines Härtel, 48-jährige Rechtsprofessorin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), wurde vom Bundesrat zur neuen Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt.
Ines Härtel, 48-jährige Rechtsprofessorin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), wurde vom Bundesrat zur neuen Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt. Foto: Lisa Müller/ Die Hoffotografen GmbH/Privat/dpa

Ines Härtel aus Frankfurt (Oder) wird neue Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Bundesrat wählte die 48 Jahre alte Juraprofessorin am Freitag einstimmig.

Lange hatte die SPD einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für den aus dem Amt scheidenden Verfassungsrichter Johannes Masing gesucht. Nach dem Willen der ostdeutschen Ministerpräsidenten musste es eine Person mit ostdeutscher Biografie sein. Fündig wurde man am Ende nach in Frankfurt (Oder).

Doppelte Premiere am Bundesverfassungsgericht: Zum ersten Mal seit seiner Gründung am 28. September 1951 hat das höchste deutsche Gericht mit neun Frauen und sieben Männern mehr Richterinnen als Richter. Und zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung Deutschlands vor 30 Jahren wird eine in der DDR geborene Juristin mit ostdeutscher Biografie Hüterin des Grundgesetzes.

Wahl ans Bundesverfassungsgericht erfolgte einstimmig im Bundesrat

Am Freitag wählte der Bundesrat einstimmig auf Vorschlag der SPD die 48-jährige Juraprofessorin Ines Härtel aus Frankfurt (Oder) zur neuen Richterin im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, sie tritt die Nachfolge von Johannes Masing an, dessen zwölfjährige Amtszeit eigentlich schon am 1. April abgelaufen war. Ihr Amt tritt Härtel mit der Überreichung der Ernennungsurkunde durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an.

Die 1972 in Staßfurt in Sachsen-Anhalt geborene Härtel hat seit 2014 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungs-, Europa-, Umwelt-, Agrar- und Ernährungswirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) inne und leitet zudem die Forschungsstelle für Digitalrecht an der renommierten Universität in der deutsch-polnischen Grenzstadt.

Auch im Europarecht ist sie zu Hause: 2005 habilitierte sie zu dem Thema „Europäische Rechtsetzung“. Und Richtererfahrung hat sie auch: Von 2017 bis 2019 war sie Richterin im Nebenamt am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.

Promotion über "Düngung im Agrar- und Umweltrecht"

Die Wahl Härtels in der letzten Sitzung der Länderkammer vor der parlamentarischen Sommerpause kam überraschend, erst am Mittwoch hatten sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der SPD unter Federführung des Bremer Bürgermeisters Andreas Bovenschulte nach monatelangen kontroversen Diskussionen auf die 48-jährige Professorin geeinigt, die im niedersächsischen Göttingen studiert und über „Düngung im Agrar- und Umweltrecht“ promoviert hatte.

Am Ende gab nicht vorrangig ihr Geschlecht den Ausschlag, sondern ihre Herkunft. Denn die ostdeutschen Landesverbände, angeführt vom brandenburgischen Ministerpräsidenten und derzeitigen Präsidenten des Bundesrats, Dietmar Woidke, pochten darauf, dass es im Jahre 30 nach der Wiedervereinigung überfällig sei, jemanden mit einer ostdeutscher Herkunft an das höchste deutsche Gericht zu berufen.

Dies sei schlicht eine Frage der Gerechtigkeit. Dieser Forderung schlossen sich auch seine CDU-Kollegen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, Michael Kretschmer und Reiner Haseloff, an.

Anderer Kandidat aus Ostdeutschland scheitert

Woidke präsentierte auch einen passenden Kandidaten: Jes Möller, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, zuvor Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, geboren 1961 in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern.

Möller hatte sich in der DDR im kirchlichen Widerstand gegen das SED-Regime engagiert und war von der Stasi überwacht worden, er durfte in der DDR nicht studieren und wurde kurzzeitig verhaftet. 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der SPD in der DDR und zog als Abgeordneter in die im März 1990 frei gewählte Volkskammer an, nach der Wiedervereinigung studierte er Jura, 2001 wurde er zum Richter auf Lebenszeit ernannt.

Doch für seinen Kandidaten fand Woidke keine Mehrheit bei seinen Parteifreunden im Westen. Kritiker warfen Möller vor, ihm fehle es an Erfahrung an einem Berufungsgericht wie an wissenschaftlicher Reputation.

Auch Kandidaten aus Rheinland-Pfalz und Berlin

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, favorisierte ihrerseits den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, Lars Brocker. Und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller plädierte für Martin Eifert, Professor für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität und ausgewiesener Experte für Medien- und Internetrecht.

Sein wissenschaftliches Profil machte ihn zum idealen Kandidaten für die Nachfolge Masings, der im Ersten Senat für die wichtigen Bereiche Digitalisierung, Internet- und Medienrecht sowie Datenschutz zuständig war und zuletzt das wegweisende Urteil zum BND-Gesetz verfasst hatte. Doch Eifert hatte einen Makel – er war ein Westdeutscher und daher für den Brandenburger Woidke nicht akzeptabel.

Mitglied im Digitalbeirat des Landes Brandenburg

So blockierten sich die drei Kandidaten gegenseitig. Die Fronten waren verhärtet. Ein Kompromisskandidat oder eine Alternativkandidatin musste gefunden werden. Man fand sie schließlich ganz im Osten Deutschlands.

Wie aus SPD-Kreisen verlautete, soll es die selber aus Frankfurt (Oder) stammende Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, gewesen sein, die Härtels Namen ins Spiel brachte. Und auch Woidke konnte gesichtswahrend zustimmen, er kannte Härtel aus ihrer Zeit als Mitglied des Digitalbeirats des Landes Brandenburg.

Ostdeutsche Lebenserfahrung muss in die Beurteilung von Rechtsfragen eingehen.
Dietmar Woidke, SPD, Ministerpräsident von Brandenburg

Entsprechend zufrieden zeigte sich Woidke nach der Nominierung. Das sei eine „ausgezeichnete Wahl“, sagte er. Er freue sich, „dass erstmals eine Juristin ostdeutscher Herkunft, in Ostdeutschland lebend und hier arbeitend am höchsten deutschen Gericht Recht sprechen wird.“

Das sei gerade im 30. Jahr der Deutschen Einheit von großer Bedeutung. „Ostdeutsche Lebenserfahrung muss neben der juristischen Expertise auch an diesem Gericht in die Beurteilung von Rechtsfragen eingehen.“

Ines Härtel ist gegen Totalüberwachung wie in China

Als Nachfolgerin Masings hat es Härtel in den kommenden Jahren mit dem Megathema Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrechte und Datenschutz zu tun, nahezu alles, was im weitesten Sinne mit Digitalisierung zu tun hat, wird auf ihrem Schreibtisch landen, unter anderem das Netzwerkdurchsuchungsgesetz, mit dem der Staat die Hasskommentare und die Hetze in den sozialen Medien bekämpfen will.

Das Thema ist nicht neu für sie. In einem Aufsatz zum Thema „Digitalisierung im Lichte des Verfassungsrechts“ lehnte sie vor einem Jahr eine Totalüberwachung wie in China ab. Auch für die digitale Neugestaltung der Welt müssten Menschenwürde, Grundrechtsgeltung und Humanität an erster Stelle stehen. Das liest sich im Nachhinein fast wie eine Bewerbungsschrift.

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