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Meisterwerk mit Cliffhanger

Karlsruher Museum landet Gemälde-Coup - aber ein Teil des Kunstwerks fehlt

Die Kunsthalle Karlsruhe hat einen Sensationskauf abgeschlossen: Drei Teile des Gemäldes "Loth und seine Töchter" des Straßburger Renaissance-Malers Hans Baldung Grien wurden am Mittwoch enthüllt. Das Gemälde ist eines von Baldungs Spätwerken, die auf dem Kunstmarkt so gut wie nicht mehr zu haben sind.

Hans Baldung Griens „Lot und seine Töchter“ wurde mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung für Karlsruhe erworben.
Inszest wie er in der Bibel steht: Drei Fragmente von Hans Baldung Griens „Lot und seine Töchter“ wurden mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung für Karlsruhe erworben und sind nun ein Schlüsselwerk in der Landesausstellung. Foto: Kelzer

Die Kunsthalle Karlsruhe hat einen Sensationskauf abgeschlossen: Drei Teile des Gemäldes "Lot und seine Töchter" des Straßburger Renaissance-Malers Hans Baldung Grien wurden am Mittwoch enthüllt. Das Gemälde ist eines von Baldungs Spätwerken, die auf dem Kunstmarkt so gut wie nicht mehr zu haben sind.

Für krimiartige Entdeckungen und Erwerbungen scheint die Kunsthalle Karlsruhe wie geschaffen. Über 140 Jahre zog sich die Erwerbung der „Karlsruher Passion“ hin, einem Meisterwerk spätmittelalterlicher Malerei am Oberrhein, von dem gegenwärtig sieben Tafeln bekannt sind und das deshalb so heißt, weil Karlsruher Kunsthistoriker wie Detektive nach und nach herausfanden: Hoppla, da gehört doch was zusammen. Und sofort zugriffen, wenn ein passendes Angebot auf dem Kunstmarkt auftauchte.

Jetzt ist wieder ein Coup gelungen. Bei den Vorbereitungen für die Große Landesausstellung „Hans Baldung Grien. heilig | unheilig“ erklärte einer der Leihgeber des Gemäldes „Lot und seine Töchter“ plötzlich, er wolle, nein: müsse das Werk verkaufen.

Gutachter arbeiteten in Windeseile

Ein Schlag. Was, wenn der neue Besitzer sich weigern würde, das Bild nach Karlsruhe zu geben. Wäre es nicht besser, selbst zuzugreifen? Ließe sich eine solche Akquisition aber überhaupt verantworten? Immerhin handelt es sich gar nicht um ein intaktes Gemälde, sondern um drei zusammengeschobene Bruchstücke. Also mussten Gutachter her, die gleichsam in Windeseile arbeiteten und grünes Licht gaben. Was die Kunsthalle vor ein neues Problem stellte: die Finanzierung.

Fördermittel "souverän angezapft"

Sie klappte, und so hatte Pia Müller-Tamm die Direktorin des Museums, gestern ausführlich zu danken: Staatssekretärin Petra Olschowski als Vertreterin des Landes, das über die Museumsstiftung Baden-Württemberg Mittel für den Ankauf bereitstellte, einer Mäzenin, die einen offenbar nicht unerheblichen Betrag dazugegeben hat, aber nicht genannt werden möchte, und der Ernst-von Siemens-Stiftung, deren Generalsekretär Martin Hoernes den Karlsruher Kunsthistorikern bescheinigte, sie hätten die Fördermittel „souverän angezapft.“

"Forschung um der Forschung willen"

Hoernes betonte aber auch, wie gerne man die Kunsthalle seitens der Stiftung unterstütze. Könne man sich doch darauf verlassen, dass die Anträge nicht nur international relevant und sorgfältig vorbereitet seien, sondern auch zu erkennen geben, dass in der Kunsthalle „Forschung um der Forschung willen betrieben und nicht von außen zugekauft wird.“ Und was Baldung betrifft: Da sei es leicht gefallen, Gelder zur Verfügung zu stellen. Denn, so der Generalsekretär: „Wann gibt es schon ein Kunstwerk mit Cliffhanger?“

Die verlorene zweite Tochter

Gemeint ist das Geheimnis um die zweite Tochter. Das Fragment, das den Hauptteil der Neuerwerbung ausmacht, zeigt die ältere der beiden Schwestern, die ihren Vater erst betrunken machen und verführen, weil nach dem Fall Sodoms keine Männer mehr da sind, von denen sie schwanger werden können. Die ganze Geschichte kann man als alttestamentliches Propagandastück lesen: Denn die beiden inzestuös, also „in Sünde“, gezeugten Söhne werden zu den Stammvätern zweier Völker, die mit Israel verfeindet sind.

Dort, wo Hans Baldung, genannt Grien (1484 oder 1485 bis 1545), die Jüngere der beiden Frauen gemalt hat, gähnt eine leere schwarze Fläche. Dabei weiß man, wie sie aussieht. Es existiert sogar eine Schwarzweiß-Aufnahme dieser Gemäldepartie. Nur, wer das fehlende Teilstück gegenwärtig besitzt – das ist nicht bekannt.

Datierung mit Jahresringen

Was man hingegen auf jeden Fall weiß, ist, dass die drei jetzt in einer konzertierten Aktion erworbenen Fragmente zu ein und demselben Gemälde gehören. Das ergaben dendrochronologische Untersuchungen, wie Holger Jacob-Friesen bei der Präsentation des Werks berichtete. Anhand der Jahresringe lasse sich schließen, dass Baldung die kontrastreiche Szene um 1535/1540 gemalt hat, erläuterte der Leiter der Abteilung Sammlung und Wissenschaft, unter dessen Federführung die große Ausstellung über den Maler und Zeichner der Dürerzeit gerade erarbeitet wird.

Ein heikler Moment

Spannend dann Jacob-Friesens Ausführung zur Bedeutung des Werks. Der Kunsthistoriker wies darauf hin, dass sich Baldung im Gegensatz zu anderen Malern auf einen besonders heiklen Moment eingelassen habe. Während sich Dürer bei seiner am Ende des 15. Jahrhunderts gemalten Interpretation der biblischen Erzählung auf die Flucht aus Sodom konzentrierte, widmet sich Baldung dem Augenblick, in dem Lot im Begriff steht, vom Heiligen zum Unheiligen zu werden. Er setzt den Becher mit dem Wein an, sein Blick: lüstern? Oder vielleicht nur fragend, was es bedeuten soll, dass seine Tochter in kapriziöser Nacktheit vor ihm liegt?

Erotik in Kombination mit Verwerflichkeit

Es ist ein anderer Baldung als der, den man von der ein Vierteljahrhundert früher entstandenen Karlsruher „Markgrafentafel“ mit ihren frischen Farben und klaren Abgrenzungen kennt. „Lot und seine Töchter“ ist abgründig, voll knisternder Erotik, doch anders als bei den liegenden Akten eines Giorgione oder Tizian wird die Erotik nicht gefeiert, sondern kombiniert mit einem verderblichen, verwerflichen Geschehen. Das Publikum wird zum voyeuristischen Teilhaber dessen, was sich da anbahnt. Oder wie Jacob-Friesen sagt: „Der Betrachter macht sich schauend schuldig“. Bis er dazu Gelegenheit hat, wird allerdings noch einige Zeit vergehen: Das Werk muss erst noch in die Restaurierungswerkstatt, bevor es dann in der Großen Landesausstellung gezeigt wird. Michael Hübl

Die Große Landesausstellung „Hans Baldung Grien. heilig | unheilig“ wird vom 30. November bis zum 8. März in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen sein.

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