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Aus Karlsruhe auf den Tisch

Lebensmittelproduktion in der Stadt Karlsruhe: Spannungsverhältnis zur Natur

Wie Lebensmittel vor der eigenen Haustür produziert werden, dafür interessieren sich in Corona-Zeiten besonders viele Menschen. Die heimische Landwirtschaft wird stärker geschätzt. Mancher erinnert sich dabei auch, dass Ackerbau und Viehzucht häufig in einem Spannungsverhältnis zur Natur stehen.

Ein Stück vom Paradies: Auf Streuobstwiesen in Grötzingen blüht es dank Eiko Wagenhoff, Thomas Hauenstein und Ute Schmidt-Rohr (von links) über viele Wochen. Insekten werden satt und vermehren sich, auch Boden und Grundwasser profitieren.
Ein Stück vom Paradies: Auf Streuobstwiesen in Grötzingen blüht es dank Eiko Wagenhoff, Thomas Hauenstein und Ute Schmidt-Rohr (von links) über viele Wochen. Insekten werden satt und vermehren sich, auch Boden und Grundwasser profitieren. Foto: jodo

Zu viel Nitrat im Boden und im Grundwasser, dem Reservoir für Trinkwasser: Das ist ein altes Problem. Im waldreichen Karlsruhe ist die Lage in dieser Hinsicht günstig, das Thema aber trotzdem ein Dauerbrenner. Um Insekten, die im Anbau unverzichtbaren Bestäuber, steht es in der Großstadt und ihrem Einzugsbereich wie fast überall hingegen schlecht.

Artenvielfalt im Land ist im freien Fall

Im Naturkundemuseum am Friedrichsplatz beobachten Experten die Entwicklung kritisch. „Artenvielfalt im freien Fall“ attestiert der renommierte Insektenkundler des wissenschaftlichen Museums, Robert Trusch, der auch Naturschutzbeauftragte des städtischen Amtes für Umwelt und Arbeitsschutz ist.

„Die neuen landwirtschaftlichen Methoden und die Energiewende stellen den Natur- und Artenschutz vor neue Herausforderungen“, mahnen Trusch und Kollegen im „Naturmagazin“ in einem Artikel über den flächendeckenden Rückgang von Schmetterlingen im Land. Präzisionslandwirtschaft könne den Pestizideinsatz verringern. Doch werde Fläche noch „akkurater“ bewirtschaftet.

Ungewollter Dünger aus der Luft

„Dadurch verschwinden letzte Kleinstlebensräume aus der Landschaft“, warnt Trusch. Ammoniak und Stickoxide aus der Luft düngen und verschlechtern die Lage zusätzlich.

An Karlsruhes nördlicher Stadtgrenze, beim Grötzinger Gewann Werrabronn, bei Hagsfeld und am Pfinzentlastungskanal, beginnt einer von landesweit sieben kritischen Bereichen, in denen zu viel Nitrat im Boden ist. Das zeigt die aktuelle Übersicht des Landesministeriums für ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Der zentrale Nitratinformationsdienst im Landwirtschaftlichen Technologiezentrum (LTZ) Augustenberg in der Nesslerstraße liefert Landwirten die relevanten Werte.

Streuobst ist Trumpf

Streuobst ist mit Blick auf Boden und Blüten ein doppelter Trumpf. Die blühenden Obstbäume, vor allem aber die blütenreichen Wiesen rund um die naturbelassenen Stämme bieten Insekten Nahrung, Schutz und Lebensraum.

Dieses menschliche Handeln wirkt sich ausnahmsweise rundum gut auf die Natur aus.
Ute Schmidt-Rohr

Wird sachgerecht gemäht und das Grün abtransportiert, verringert das überschüssige Nährstoffe im Boden. Engagierte Privatleute wie Eiko Wagenhoff, Ute Schmidt-Rohr und Thomas Hauenstein machen es vor. Sie pflegen idyllisch wirkende Grundstücke in freier Flur und werben für ihr Hobby.

„Dieses menschliche Handeln wirkt sich ausnahmsweise rundum gut auf die Natur aus“, sagt Ute Schmidt-Rohr. Wagenhoff experimentiert mit Kirschen, Pfirsich- und Birnensorten. Hauenstein lässt Bäume stehen, bis sie umfallen und Eidechsen im Wurzelwerk einziehen.

Das gemeinsame Ziel ist, andere interessierte Städter, vor allem Familien, für diese Welt zu begeistern. „Nur so hat Streuobst eine Zukunft“, sagt Wagenhoff.

Sieben Millionen Streuobstbäume gibt es Schätzungen zufolge noch im Land – nur etwas mehr als ein Drittel der 19 Millionen Bäume, auf denen noch um das Jahr 1965 jährlich Streuobst in Baden-Württemberg reifte. Die Zahl schrumpft weiter, pro Jahr gehen um die 100.000 Bäume ersatzlos verloren.

Blühstreifen: ein bunter Trend auch in Karlsruhe

Ein auffallend bunter Trend stemmt sich inzwischen ebenfalls dem Insektensterben entgegen. Gezielt angelegte Blühstreifen sind immer häufiger zu entdecken. Mal bedecken sie den Straßenrand wie an der Linkenheimer Landstraße nahe dem Verlagshaus der Badischen Neuesten Nachrichten, blühende Flecken wachsen auf dem Deckel der Südtangente bei Beiertheim und Bulach, auf Ackerland in Grötzingen oder in Karlsruhes Nachbargemeinden.

In Karlsbad sät Werner Schöpfle sogar jetzt noch Blühstreifen neu ein. Er plant, dabei auch einen Bauernhof-Kindergarten einzubeziehen, als Teil des Patenschaftsprogramms „BW blüht auf“ .

Brotgetreide für die Städter

An dem Programm beteiligt sich auch der Grötzinger Landwirt Matthias Götz. Er verkauft auf Wochenmärkten in der Stadt liefert Eier aus Freiland- und Bodenhaltung von kooperierenden Erzeugern oder liefert sie an Karlsruher Cafés. Daneben betreibt er Ackerbau, erzeugt Brot- und Futtergetreide, Mais als Stärkelieferant für Saucen und Körnermais.

Götz setzt aber auch auf Naturschutz und hat inzwischen – auch infolge gewachsenen Interesses in der Corona-Zeit – so viele Blühpaten, dass er überlegt, 2021 die Einsaatfläche für 30 regional heimische Arten zu vergrößern.

Jedes Zuviel belastet das Trinkwasser

Werden auf der Ackerkrume Insekten satt, läuft es auch unterhalb der Furchen gut. Unsichtbar für Spaziergänger geht es dort um das Lebensmittel Nummer eins, das Trinkwasser. Stimmt die Balance auf dem Feld nicht, leidet es. Angemessene Düngung versorgt angebaute Pflanzen mit Nährstoffen und erhält die Bodenfruchtbarkeit. Doch was zu viel ist, sickert ins Grundwasser.

Das Problem: Belastungen treten meist erst nach 15 bis 30 Jahren zutage. Grötzingens Nachbargemeinde Weingarten etwa schrammte um 1995 haarscharf am damaligen Nitratgrenzwert vorbei.

Trinkwasser
Dem Trinkwasser auf der Spur: Beim Wasserwerk im Hardtwald analysieren Rolf Wilsser (links) und Matthias Maier eine Probe. Täglich einen Meter fließt das Lebensmittel Nummer eins im Untergrund der Großstadt. Foto: jodo

Heute bilden Computermodelle das Einzugsgebiet ab, aus dem das Trinkwasser für die Karlsruher kommt. „Jeder Tropfen aus dem Wasserhahn ist einmal in dem Gebiet versickert“, erklärt Matthias Maier, Leiter der Karlsruher Wasserwerke und Vizepräsident der Europäischen Brunnengesellschaft.

Eine Störung ist lange unterwegs.
Matthias Maier, Leiter der Karlsruher Wasserwerke

Einen Meter fließt das Wasser unter Karlsruhe pro Tag, 365 Meter also in einem Jahr - plus teils jahrelangem Aufenthalt im reinigenden Kiesbett des Rheingrabens.

„Eine Störung ist lange unterwegs, bis sie im Wasserwerk ankommt“, sagt Maier. Im Ackerboden sei das Geschehen nicht ungestört zu messen. Qualitätsproben holen Stadtwerke-Fachleute wie Rolf Wilsser daher aus Testbrunnen im Schöpfkreis der Wasserwerke.

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