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Gewalt gegen Frauen nimmt zu

"Nach vier Wochen kennt der Vater den Aufenthaltsort": Frauenhäuser haben mehr Probleme als nur Platzmangel

Bundesweit fehlen Tausende Plätze in Schutzhäusern für Frauen, die Gewalt erlitten haben. Doch auch Bürokratie und Rechtsprechung machen Frauenhäusern die Arbeit schwer. Derweil steigt die Gewalt gegen Frauen in der Region. Ein Besuch in Pforzheim.

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Beitragsbild_Frauenhaus Foto: None

Zweimal am Tag rufen im Pforzheimer Frauenhaus Menschen an, die nicht mehr weiter wissen. In den seltensten Fällen kann Leiterin Tanja Göldner sie bei sich aufnehmen. "Wir sind fast immer voll", erzählt sie, das ist auch momentan der Fall. Elf Zimmer gibt es im Pforzheimer Frauenhaus, in jedem kann eine Frau mit ihren Kindern unterkommen. Alle haben zuvor physische oder psychische Gewalt erfahren, meistens von ihren Partnern, manchmal auch von Vätern oder anderen Personen im Haushalt.

Frauen müssen oft lange nach einem freien Platz suchen

Eine dieser Frauen ist Valeria (Name geändert) aus der Ukraine. Fünf Frauenhäuser musste Valeria anrufen, bis sie Schutz fand. Ihr Mann hatte sie bedroht, wollte sie mit einem ihrer Kinder zurückschicken, das andere aber in Deutschland behalten. Valeria hatte Glück: In Pforzheim nahm man sie auf, mit ihren beiden Töchtern wohnt sie nun seit vier Monaten im Frauenhaus.

Ein bezugsfertiges Zimmer.
Ein bezugsfertiges Zimmer. Foto: Frauenhaus Pforzheim

Sie geht in den Deutsch-Übungstreff, spricht die Sprache schon gut, durfte aber unter ihrem gewalttätigen Ehemann nie einen Kurs abschließen. Nun möchte sie Nageldesignerin werden. "Oder Frisörin, das wäre mein Traum, aber die Ausbildung dauert so lange", sagt die 42-Jährige.

Ein anderer Traum geht dafür bald in Erfüllung: Im Dezember ziehen Mutter und Töchter aus dem Frauenhaus aus und in eine eigene Wohnung. Frauenhaus-Leiterin Göldner freut sich mit Valeria – auch weil sie weiß, dass das freiwerdende Zimmer dringend benötigt wird. Das baden-württembergische Sozialministerium beziffert die Zahl der fehlenden Plätze im Land auf 633. Expertinnen kritisieren diese Berechnung und meinen, es wären Tausende fehlende Plätze.

Liste freier Plätze ist im Südwesten nicht öffentlich

Pforzheimer Frauenhaus
Pforzheimer Frauenhaus Foto: Weller

Für hilfesuchende Frauen ist es egal, ob Hunderte oder Tausende Plätze fehlen. Oft muss Tanja Göldner Anfragen ans Pforzheimer Frauenhaus ablehnen und anderswo ein freies Bett suchen. Auf einer Internetseite, die nur für Frauenhausmitarbeiter zugänglich ist, kann sie verfügbare Plätze im ganzen Land einsehen. Öffentlich ist diese Liste nicht – anders als etwa in Nordrhein-Westfalen, wo bedrohte Frauen ganz einfach selbst herausfinden können, in welcher Stadt sie Schutz finden können .

Die meisten Bewohnerinnen des Pforzheimer Frauenhauses kommen nicht aus der Stadt oder dem Enzkreis, sondern von weiter weg. Um sich in ihrem neuen Zuhause sicher zu fühlen und auch vor die Tür gehen zu können, retten sich Frauen meist in Schutzhäuser abseits der eigenen Heimat. Der Großteil der Bewohnerinnen hat außerdem einen Migrationshintergrund, rund ein Drittel ist Deutsch. "Oft lernen Frauen aus anderen Kulturen nach einigen Jahren in Deutschland, dass sie hier Rechte haben und es einen Weg aus der Gewalt gibt," erklärt Göldner.



Frauenhaus-Mitarbeiterin Elke Leuschner kann kaum durch Pforzheim laufen, ohne erkannt zu werden. Seit 19 Jahren arbeitet die Sozialpädagogin mit Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. "In der Stadt begegnen mir diejenigen, die es geschafft haben", sagt Leuschner. Zu ihrem Job gehört es, sich Erzählungen schlimmer Schicksale anzuhören. Vor allem aber blickt sie mit den Klientinnen nach vorne. "Ich mache den Frauen klar, dass sie ab jetzt Herrin über ihr Leben sind", erklärt Leuschner. "Aber auch, dass sie jetzt die Verantwortung haben, eigene Entscheidungen zu treffen."

Pforzheimer Frauenhaus
Pforzheimer Frauenhaus Foto: Weller

Ein sicheres, neues Leben könnten sich vor allem kinderlose Frauen aufbauen. Für Mütter ist es viel schwieriger, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und zum Beispiel den Kontakt zum gewalttätigen Ex-Partner abzubrechen. "Sobald es gemeinsame Kinder gibt, braucht man die Unterstützung des Jugendamts", sagt Leuschner. Denn: Das Umgangsrecht des Vaters mit den eigenen Kindern stehe oft über dem Gewaltschutz der Frau.

So finden Väter heraus, in welcher Stadt sich die Frauen aufhalten

Wenn Frauen sich mit ihren Kindern in ein Frauenhaus retten, rufen die Väter oft erst einmal die Polizei: "Die hat meine Kinder entführt", heißt es dann. Mit einem Antrag beim Amtsgericht könne der Vater sein Umgangsrecht durchsetzen – und weil die Frauen in der Gemeinde des Frauenhauses gemeldet sind, geht der Fall oft an das entsprechende Amtsgericht vor Ort. "Nach vier Wochen kennt der Vater so den Aufenthaltsort", sagt Frauenhaus-Leiterin Tanja Göldner.

Umso wichtiger ist es, dass die genaue Adresse des Frauenhauses geheim bleibt. Frauen, die neu einziehen, werden vom Team an einem öffentlichen Treffpunkt abgeholt – "und wir schauen dann schon genau in den Rückspiegel, ob uns nicht jemand hinterherfährt", sagt Göldner. Das größte Sicherheitsproblem seien aber moderne Handys. Göldner empfiehlt den Bewohnerinnen, die Ortungsfunktion zu deaktivieren und sich eine neue Prepaid-SIM-Karte zu kaufen. Komplett sicher könne man sich aber nie sein, dass ein Ex-Partner das Gerät nicht auf irgendeine Weise orten kann.

Kinderraum im Pforzheimer Frauenhaus
Kinderraum im Pforzheimer Frauenhaus Foto: Weller

Göldner und ihren Kolleginnen steht bald die arbeitsintensivste Zeit des Jahres bevor: Nach Weihnachten bekommt das Frauenhaus besonders viele Anfragen. "Viele Paare probieren es über die Feiertage noch einmal miteinander, merken dann aber, dass es nicht klappt." Das Frauenhaus-Team ist rund um die Uhr und auch am Wochenende zu erreichen. "Die Rufbereitschaft drängt die Arbeit natürlich ein wenig ins Privatleben", erzählt Sozialarbeiterin Leuschner. Normalerweise könne sie daheim aber gut abschalten: "Ich laufe durch die Bürotür wie durch eine Dusche und lasse die Geschichten hier."

Aufgenommen wird nur, wer das bürokratische Prozedere durchläuft

Kommt doch ein Anruf, steht für die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen erst einmal viel Bürokratie an. Schon beim ersten Telefonat müssen sie mit potenziellen Bewohnerinnen einen langen Erfassungsbogen durchgehen: Staatsangehörigkeit, Aufenthaltstitel, Arbeits- und Vermögensverhältnisse müssen geklärt und notiert werden. Die Plätze im Frauenhaus werden von der Stadt Pforzheim und dem Enzkreis über Tagessätze finanziert. Kompliziert wird es zum Beispiel bei Flüchtlingen, die einer anderen Gemeinde zugewiesen wurden, von dort aber wegen Gewalterfahrungen fliehen mussten.

Pforzheimer Frauenhaus
Pforzheimer Frauenhaus Foto: Weller

Manchmal bleibt das Frauenhaus dann sogar auf den Kosten sitzen. 7,40 Euro werden pro Tag und Person für die Unterkunft fällig, dazu kommen noch Kosten für die Betreuung. Maximal ein Jahr lang übernimmt das Jobcenter diese Beträge für Frauen, die Anspruch auf Hartz IV haben. Wer vor dem Einzug gearbeitet oder studiert hat, muss unter Umständen selbst zahlen.

Körperverletzungen nehmen genauso zu wie psychische Gewalt

Berichteten Klientinnen früher noch häufig von Schlägen und anderer handfester Gewalt, so erzählen sie heute mindestens ebenso oft von psychischer Gewalt. Frauen werden eingesperrt, bedroht, angeschrien. Manchmal verbietet der Partner jeden Kontakt mit der Außenwelt oder bestimmt, mit wem die Frau Umgang haben darf und mit wem nicht.

Die Polizei Karlsruhe hat steigende Fallzahlen bei häuslicher Gewalt gegen Frauen im Stadt- und Landkreis Karlsruhe festgestellt. So stieg etwa die Zahl der weiblichen Opfer von Straftaten gegen die persönliche Freiheit von 225 im Jahr 2014 auf 361 im Jahr 2018. Sowohl die Zahl der Opfer schwerer als auch leichter Körperverletzungen nahm zu. Genauso sieht es bei Bedrohungen und Freiheitsberaubungen aus.



In einem Zimmer des Pforzheimer Frauenhauses sitzt eine 63-Jährige mit ihrer 35-jährigen Tochter und dem vier Monate alten Enkel. Der Ehemann und Familienvater war jahrzehntelang gewalttätig, die 35-Jährige kennt gar kein Leben ohne Angst. Es war der Sohn der 63-Jährigen, der – ebenfalls als Kind misshandelt – schließlich die Plätze im Frauenhaus organisierte.

"Gottseidank gibt es solche sicheren Orte und so liebe Menschen, die uns helfen", sagt die 63-Jährige, die wenige Wochen nach ihrem Einzug im Frauenhaus noch sichtlich mit ihrer Geschichte zu kämpfen hat. "Man glaubt es ja immer nicht, dass es Menschen wirklich trifft." Als einziger in der kleinen Familie hat zumindest der Enkel ein Lächeln im Gesicht. Das Frauenhaus kann der erste Schritt für eine Zukunft des Kindes sein, die gewaltfreier ist als die seiner Mutter und seiner Oma.

Aktionstag

Am Montag, 25. November, ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Von 14 bis 16 Uhr können sich Interessierte im Jubez am Karlsruher Kronenplatz informieren und beraten lassen .

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