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Bürgerproteste gegen Baupläne

Nachverdichtung in Karlsruhe: Der Druck steigt

Klimaschutz, Wohnqualität, steigende Mieten wie Wohnungsknappheit, eine aufstrebende Großstadt mit starker Wirtschaftskraft: Wie passt das zusammen? Nachverdichtung ist in Karlsruhe zum Reizwort geworden. Gegen Bauprojekte, die in die Innenbereiche Karlsruher Häuserblocks drängen, regt sich immer wieder neuer Widerstand von anwohnenden Stadtbürgern.

Hier kollidieren Lebensentwürfe: Das Karlsruher Bahnhofsviertel birgt einen außergewöhnlich grünen Innenhof. Gleichzeitig ist der Standort für moderne Büroflächen sehr begehrt.
Hier kollidieren Lebensentwürfe: Das Karlsruher Bahnhofsviertel birgt einen außergewöhnlich grünen Innenhof. Gleichzeitig ist der Standort für moderne Büroflächen sehr begehrt. Foto: Jörg Donecker

Mehr Einsprüche bei Neubau

Wie viele solcher Nachverdichtungsprojekte derzeit laufen und wie oft dabei Einsprüche gegen die Bauvorhaben eingelegt werden, kann die Stadtverwaltung auf BNN-Anfrage nicht beziffern. „Nachverdichtung existiert als baurechtlicher Begriff gar nicht“, erklärt Matthias Tröndle vom Presseamt. Es sei zudem ein fließender Begriff, der manchmal nur den Anbau einer Garage beschreibe. Eine Tendenz könne man jedoch feststellen: „Die Zahl der Einsprüche bei Neubauverfahren steigt.“

Sorge um Wohnqualität

Besonders laut ist der Protest etwa in der Weststadt beim Bauprojekt Sophien-Carrée . Es geht um Bäume, Mikroklima, Luftqualität und Ruhe. „Ich habe sieben Tage Aussicht auf Lärm“, sagt Nadine Etzkorn, die an der Schillerstraße wohnt und arbeitet. Ihr Grundstück grenzt an mehreren Seiten an jenes der katholischen Kirche, wo Gemeindezentrum, Kita und eine Zufahrt zur Tiefgarage der neuen Wohnhäuserblocks neu gebaut werden sollen. Das Gemeindezentrum soll 18 Meter hoch werden – genau so hoch wie Etzkorns Dachfirst.

Die Aussicht von diesem Dachbalkon an der Hinterseite der Schillerstraße wird sich durch das Bauprojekt Sophien-Carrée verändern.
Die Aussicht von diesem Dachbalkon an der Hinterseite der Schillerstraße wird sich durch das Bauprojekt Sophien-Carrée verändern. Foto: Jörg Donecker

Im Moment kann sie noch gute Durchlüftung und die Aussicht von ihrer Dachterrasse genießen. „Ich werde morgens von zwitschernden Vögeln geweckt“, sagt sie. „In Zukunft werden stattdessen die Autos aus der Tiefgarage starten.“ Sie könne grundsätzlich verstehen, dass mehr Wohnraum gebaut werde. „Oberbürgermeister Mentrup holt wahnsinnig viel Gewerbe nach Karlsruhe. Klar, dass die Leute irgendwo wohnen müssen.“ Doch es werde enger und lauter in der Stadt, das Parken immer mehr zum Problem. „Die Stadt erstickt förmlich.“

Begehrte Flächen

Wie beim Bauprojekt Sophien-Carrée stehen in vielen Karlsruher Quartieren unterschiedliche Interessen gegenüber: Diskussionen gab und gibt es beim Franz-Rohde-Haus in der Weststadt, beim Fasanengarten in der Oststadt, in der Nähe des Kolpingplatzes, in der Waldstadt, in Daxlanden und in Durlach.

Nicht immer geht es ums reine Wohnen oder den Erhalt von Bäumen. In der Weststadt etwa will die katholische Kirche dem Bedürfnis nach Gemeindeleben und Kinderbetreuung nachkommen, beim Bahnhofplatz feierte am Mittwochabend die Nürnberger Firma Design Offices ihr zehnjähriges Bestehen und die Eröffnung des neuen Standorts in Karlsruhe.

Die Nachfrage nach flexiblen, auch über kürzere Zeiträume mietbaren Büroflächen sei sehr groß, war dort zu hören. Die zentrale Lage direkt am Hauptbahnhof der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs birgt klare Vorteile. Nachteile befürchten dagegen Anwohner , die bisher einen außergewöhnlich grünen und ruhigen Innenhof genießen.

Offener Brief an die Grünen

Oft wird bei den Bürgern die Forderung an die Kommunalpolitik laut, sich besser für ihre Belange einzusetzen. Besonders die Grünen, zu deren Kernthemen Klimaschutz und Nachhaltigkeit gehören, werden zur Verantwortung gezogen. Im Fall eines privaten Bauprojekts im Karree zwischen Sophien-, Leopold-, Viktoria- und Reinhold-Frank-Straße in der Innenstadt-West wandten sich Anwohner im August mit einem offenen Brief an die Ökopartei.

In dem Schriftstück, das den BNN vorliegt, werden die Grünen an ihr Wahlprogramm zum Karlsruher Gemeinderat erinnert: Eine klimaangepasste Stadtplanung sei unabdingbar und deshalb in einigen Quartieren die Belastungsgrenze bereits erreicht. Warum dann die Versiegelung von Flächen und das Fällen von Kleinklima fördernden Bäumen zulassen? Das wollen die Anwohner von den Grünen wissen.

Man sei mit den Anwohnern ins Gespräch gekommen, erklärt Aljoscha Löffler von den Karlsruher Grünen. Man habe sich in der Sache auch an die Stadtverwaltung gewandt und um Transparenz und Dialog beim Bauverfahren gebeten. „Konkret geht es in diesem Fall um die Frage, wie viel Tiefgarage wirklich sein muss und wie man den Baumbestand möglichst erhalten kann“, so Löffler.

Beim Bauprojekt Sophien-Carrée in der Karlsruher Weststadt schwelen Interessenkonflikte zwischen Anwohnern und Bauherren.
Beim Bauprojekt Sophien-Carrée in der Karlsruher Weststadt schwelen Interessenkonflikte zwischen Anwohnern und Bauherren. Foto: Jörg Donecker

Allerdings seien Nachverdichtungs-Themen immer ein „Spagat zwischen dem, was man gerne hätte, und dem, was rechtlich zulässig ist.“ Ein Privateigentümer dürfe das im Rahmen des Baurechts Zulässige umsetzen. Die Stadtverwaltung könne sich darüber nicht hinwegsetzen, aber Ausgleichsmaßnahmen festlegen und als Vermittler zwischen Bürgern und Bauherren auftreten. Jeder Fall müsse einzeln betrachtet werden.

Der von den Grünen jüngst beantragte „Masterplan für Waldumbau und Erhalt der Stadtbäume“ beziehe sich auf den Baumbestand der öffentlichen Flächen. „Weil man da einen direkten Hebel hat“, erklärt Fischer. Sich bei privaten Bauvorhaben für den Erhalt von Bäumen politisch einzusetzen, wäre seiner Ansicht nach „heuchlerisch, wenn es rechtlich gar nicht geht.“

KAL gegen Versiegelung

Die Karlsruher Liste (KAL) und besonders Stadtrat Lüppo Cramer zeigen bei Nachverdichtungs-Konflikten häufig Präsenz. Nun hat die KAL bei der Stadtverwaltung beantragt, den Standort für das am Karlstor geplante „Forum Recht“ nochmals zu überdenken und einen alternativen Standort zu suchen, an dem die Bodenfläche bereits versiegelt ist.

Generell müsse man den Einzelfall betrachten und im Laufe der Bauverfahren die verschiedenen Bedürfnisse im Detail besprechen, so Cramer. Etwa im Fall des Bebauungsplans beim Bahnhofplatz. „Da geht es um eine andere Nutzung, die mehr ermöglicht als bisher“, so Cramer. „Die Bürger versuchen, sich zu schützen.“ Etwa davor, dass Tiefgaragen im Bebauungsplan ausdrücklich erlaubt sein werden.

„Wir sind nicht prinzipiell gegen Nachverdichtung. Aber wir haben Probleme, wenn es noch nicht versiegelte, stark bewachsene Flächen betrifft, etwa beim Fasanengarten“, stellt Cramer klar. Man dürfe sich nicht nur auf das Pflanzen neuer Bäume konzentrieren, sondern müsse „erst mal die Bäume schützen, die da sind“.

Veränderung unaufhaltsam

Die durch Bürgerprotest angestoßenen Dialoge zeigen Wirkung: Bei vielen Nachverdichtungsprojekten wird nachgebessert. So sind beim Sophien-Carrée die Gebäudehöhen niedriger und die Zahl der zu pflanzenden Bäume größer als in der Ursprungsplanung. In der Viktoriastraße sollen geplante Geschosshöhen und die Zahl der Bäume nun nachträglich angepasst worden sein.

Verändern werden sich die Quartiere dennoch. Was die Anwohner beim Bahnhofplatz bisher nur befürchten, ist beim Bauprojekt Sophien-Carrée zum Teil schon im Gang. Nadine Etzkorn wird aus ihrer Eigentumswohnung wegziehen und sie künftig vermieten. Selbst dort wohnen, mit Blick von ihrer Dachterrasse ins Wohnzimmer der Nachbarn aus den Neubau-Wohnblocks, das will sie nicht.

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