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Karriere mit Behinderung

Roland Kästel hat keine Hände - aber Erfolg im Berufsleben

Roland Kästel ist schwerbehindert: Der 27-Jährige kam ohne Arme zur Welt. Karriere macht er trotzdem, und das ganz ohne Hilfsmittel in seinem Büro. Bei der Agentur für Arbeit Karlsruhe-Rastatt fühlt er sich seit zehn Jahren wohl - weil er als Person im Vordergrund steht.

Ein Bürojob ist für Roland Kästel eine Herausforderung, aber kein Problem. Der 27-Jährige kam ohne Hände zur Welt. Bei der Agentur für Arbeit in Karlsruhe geht er zielstrebig seinen Weg – ganz ohne technische Hilfsmittel.
Ein Bürojob ist für Roland Kästel eine Herausforderung, aber kein Problem. Der 27-Jährige kam ohne Hände zur Welt. Bei der Agentur für Arbeit in Karlsruhe geht er zielstrebig seinen Weg – ganz ohne technische Hilfsmittel. Foto: Jörg Donecker

Der freundliche Händedruck klappt auch ohne Hände. Zum Gruß greift Roland Kästel die Hand seines Gegenübers einfach mit beiden Armen und drückt sie kurz, währenddessen lächelt er einladend. „Ich bin ein offener Typ, der auf Leute zugeht“, sagt der 27-Jährige, der ohne Hände auf die Welt kam. „Ich merke dann schnell, ob jemand damit klar kommt oder langsam daran gewöhnt werden muss.“

Kästel hat eine so genannte Dysmelie, eine Fehlbildung am rechten Unterarm – dort ist seine Hand nur bis zum Ansatz der Mittelhandknochen ausgebildet, immerhin einen Finger hat er. Am linken Unterarm hat er eine so genannte Amelie, das heißt, die Hand fehlt ganz. „Die Fachausdrücke dafür habe ich erst vor kurzem gelernt, das hat mich früher nie beschäftigt“, sagt Kästel.

Ohne Hände und ohne Hilfsmittel

Er braucht keinerlei Hilfsmittel für seinen Job bei der Agentur für Arbeit in Karlsruhe – dort ist er gemeinsam mit einer Kollegin im Bereich Personalcontrolling für die Daten von knapp 3 000 Mitarbeitern zuständig. An seinem Schreibtisch weist nichts darauf hin, dass hier ein Mensch mit schwerer Behinderung arbeitet. Telefon, Computermaus und sogar die Tastatur sind Standardmodelle.

Schon im Grundschulalter lernte Kästel, so selbstständig wie möglich zu leben. Der Schulleiter wollte ihn zunächst nicht im Regelbetrieb aufnehmen, weil er es für zu gefährlich hielt, den Jungen zur Schule mit dem Bus fahren zu lassen – schließlich könne er sich ja nirgend festhalten. „Die Zeit bis zur Realschule war besonders schwierig für mich“, sagt Kästel.

Beratung

Die Agentur für Arbeit bietet Beratung und Vermittlung sowohl für Menschen mit Behinderung als auch für Unternehmen. Kontakt unter der kostenlosen Telefonnummer (08 00) 4 55 55 20.

Es habe gedauert, mit sich selbst ins Reine zu kommen, mit seiner Behinderung klarzukommen. „Es war für mich schwierig, Freunde zu finden, meinen Platz in der Gesellschaft. Das hat auch die Integration erschwert.“ Das körperliche Zurechtkommen im Alltag habe er mit viel Unterstützung seiner Familie aber schnell zu meistern gelernt. Über den Fußballverein fand er dann auch Freunde, die ihm beim Busfahren unter die Arme griffen und den Rucksack trugen. „Durch den Fußball habe ich gelernt, was Integration ist“, sagt Kästel. „Und ich habe gelernt, wie wichtig es ist, selbstständig zu werden.“

Schwerbehindert und völlig selbstständig

Prothesen hat er immer abgelehnt, schon im Alter von fünf Jahren. Durch die Schule kommt er ohne Hilfsmittel, hat bei Klassenarbeiten und Prüfungen dieselben Voraussetzungen wie seine Mitschüler. Den Stift hält er natürlich anders, nämlich mit beiden Armen. Genauso wie jetzt im Büro seinen Telefonhörer. Auf der Tastatur schreibt er mit dem, was er hat – den Enden seiner Arme und dem einen Finger, den er besitzt.

Kästel hatte viel Glück – eine gute Basis in der Familie, keine weiteren Einschränkungen, ein gesundes Selbstbewusstsein – aber seinen Platz in einem regulären Job hat er sich auch durch viel Durchhaltewillen und „Herzblut“, wie er es nennt, erkämpft.

Nach dem Realschulabschluss bewarb er sich bei zahlreichen Firmen auf kaufmännische und Verwaltungsberufe, wurde aber nicht einmal zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Über die Berufsberatung der Arbeitsagentur in Pforzheim bekam er schließlich doch zwei Zusagen für eine Ausbildung: bei der Agentur für Arbeit und bei einer Stadtverwaltung.

Es geht um meine Person, nicht um meine Behinderung

„Bei der Agentur habe ich mich gleich wohl gefühlt, weil es erst mal um mich als Person ging und nicht um meine Behinderung“, sagt Kästel. Er sagte zu, machte die Ausbildung zum Fachangestellten für Arbeitsförderung – und steigt seither die Karriereleiter stetig aufwärts, ist auf dem Weg zur Führungskraft.

Von seinem Wohnort pendelt er mit Auto und Bahn etwa anderthalb Stunden pro Strecke, aber das ist ihm seine Arbeitsstelle wert. Im Alltag hilft ihm seine Frau, etwa beim Zähneputzen oder beim Schließen der Hemdknöpfe. Von einer bezahlten Pflegekraft ist er nicht abhängig.

Das Gefühl, dass ihm etwas fehlt, stellt sich selten ein. Wie er sprachlich mit den Enden seiner Arme umgeht? „Ich spreche von meinen Händen.“

Alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind in Deutschland gesetzlich verpflichtet , wenigstens fünf Prozent davon mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Hat ein Betrieb beispielsweise 100 fest angestellte Mitarbeiter, müssten demnach dort auf fünf schwerbehinderte Menschen arbeiten. Erfüllt ein Arbeitgeber diese Quote nicht, sind Ausgleichszahlungen fällig. Die Höhe der Abgaben ist gestaffelt. Sind drei bis unter 5 Prozent der Mitarbeiter schwerbehindert, sind 125 Euro pro Monat und pro fehlendem Arbeitsplatz an das Integrationsamt der Agentur für Arbeit zu zahlen. Bei einer Quote von 2 bis 3 Prozent sind 220 Euro pro Monat und Arbeitsplatz fällig. Wenn kein einziger Mitarbeiter mit schwerer Behinderung im Unternehmen tätig ist, kostet das den Betrieb 320 Euro pro Monat und Arbeitsplatz.

Laut Erhebungen der Arbeitsagentur Karlsruhe-Rastatt waren im Jahr 2017 in diesem Einzugsbereich 2 111 Unternehmen verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Nur 725 Firmen und Institutionen kamen dieser Pflicht vollumfänglich nach, erfüllten also die Quote von 5 Prozent. 597 Arbeitgeber beschäftigten dagegen keinen einzigen Menschen mit schwerer Behinderung.

Durch die Strafzahlungen von Unternehmen, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, gehen jährlich Geldbeträge von insgesamt rund einer Million Euro beim Integrationsamt der Arbeitsagentur Karlsruhe-Rastatt ein.

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