Diese Erinnerung war dem Ehepaar nicht nur lieb, sondern auch teuer: Wohl zu ihrer Silberhochzeit leisteten sich der Karlsruher Theaterdiener Franz Kassel und seine Gattin um 1840 den Luxus, sich ablichten zu lassen. Fotostudios gab es in der badischen Residenzstadt damals noch nicht. Schließlich hatte Louis Daguerre seine bahnbrechende Erfindung erst 1839 an den französischen Staat verkauft, der das fotografische Verfahren als „Geschenk an die Welt“ veröffentlichte. Das Ehepaar Kassel nahm die Dienste eines jener Wander-Daguerreotypisten in Anspruch, die durch die Lande zogen, um zahlungswillige Persönlichkeiten gestochen scharf auf kleinen Metallplatten zu verewigen. Jetzt blicken die beiden Kassels mit weit aufgerissenen Augen den Besuchern des Karlsruher Stadtmuseums im Prinz-Max-Palais entgegen. Die Daguerreotypie aus Privatbesitz gehört zu den Schlüsselobjekten der Ausstellung „Vom Lichtbild zum Schnappschuss. Fotografie in Karlsruhe 1840 bis 1990“.
Eine Fotografie vom Hoffotografen
„Das erste Fotoatelier in Karlsruhe entstand um 1852“, erzählt Peter Pretsch, der Chef des Stadtmuseums. Der Lithograf Theodor Schuhmann wandte sich damals dem neuen Medium zu – und avancierte 1859 zum Hoffotografen. Was zur Folge hatte, dass die Honoratioren Schlange standen, um sich in seinem Studio ablichten zu lassen. In der Ausstellung sind aber auch etliche von Schuhmann & Sohn gefertigte Stadtansichten zu sehen. Sie zeigen etwa die Pferdebahn in der Kaiserstraße oder die Karlsruher Stadttore, die heute nur noch als Ortsbezeichnungen ihrer ehemaligen Standorte existieren.
Deutschlands erstes Fotofachgeschäft stand in Karlsruhe
Theodor Schuhmann ist zudem zu verdanken, dass das erste Fotofachgeschäft Deutschlands 1861 in Karlsruhe eröffnet wurde: Der Hoffotograf überredete nämlich den Unternehmer Albert Glock, der bis dahin Stärke, Essig und Branntwein hergestellte hatte, auf Fotochemie umzusteigen. Daraus wurde die bis 2003 bestehende Firma „Photo Glock“, die bald auch Kameras herstellte und verkaufte. Dabei hatte das Fotofachgeschäft nicht nur die Bedürfnisse von Profis im Blick, sondern auch die von Hobby-Fotografen. In den 1890er Jahren wurden einfach bedienbare Hausmarken wie „Glock’s Schwarzwald-Hand- und Touristenkamera“ oder „Glock’s Objektivsatz Badenia“ zu Verkaufsschlagern.
Ein historisches Atelier nachgebaut
„In Karlsruhe gab es viele hoch qualifizierte Fotogeschäfte“, sagt H. Felix Gross. Er ist selbst Fotograf und hat für die Ausstellung unter anderem ein historisches Atelier aus der Zeit um 1890 „nachgebaut“. Als Vorbild diente das opulent ausgestattete Studio von Oscar Suck in der Kaiserstraße. Suck setzte aber nicht nur das gehobene Bürgertum, Politiker und Kulturschaffende ins schönste Licht – der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Fotokünstler fing auch das ganz normale Karlsruher Leben ein. Nicht nur aus technischer Sicht sind die Marktplatzszenen, die das Stadtmuseum zeigt, brillant.
Fotos von der Stadt und ihren Menschen
Stadthistorie, Geschichte der Fotografie – die Ausstellung „Vom Lichtbild zum Schnappschuss“ bedient viele Interessen. Sie baut auf den Nachlässen namhafter Karlsruher Fotografen auf. Geschickt ausgewählte Aufnahmen etwa von Wilhelm Kratt, Hermann Schmeiser, der Fotografen-Dynastie Bauer, Friedrich Wilhelm Ganske und dem langjährigen BNN-Bildchronisten Horst Schlesiger fügen sich zu einem historischen Bildpanorama Karlsruhes und seiner Bewohner zusammen. Zugleich erzählt die Ausstellung viele Geschichten – bei weitem nicht nur ergötzliche.
Das Schicksal der Ella Hirsch
Da geht es etwa um das 1902 gegründete Atelier der Gebrüder Hirsch, zu deren prominenter Kundschaft Prinz Max von Baden zählte. Bald nach dem Ersten Weltkrieg starb einer der Brüder, der andere wanderte nach 1933 in die USA aus. Die Witwe Ella Hirsch, die das Atelier weiterführte, sah sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mit Boykottaufrufen konfrontiert. Doch 1938 erhielt sie plötzlich von offizieller Seite einen Großauftrag: Es galt, tausende Porträtfotos anzufertigen, weil man alle Karlsruher Juden statistisch erfassen wollte. Jeder von ihnen sollte eine Kennkarte erhalten – auch Ella Hirsch selbst. 1940 wurde sie nach Gurs deportiert und später ins Vernichtungslager Auschwitz überführt.
KALOS - Kleinstbildkameras aus Karlsruhe
Auch die Entwicklung der Kameratechnik in vordigitaler Zeit ist ein Thema der Ausstellung. Unter den zahlreichen historischen Fotoapparaten, die zu sehen sind, muten die „KALOS-Kleinstbildkameras“ ziemlich kurios an. Sie wurden um 1950 in Karlsruhe (KA) produziert, erfunden hatte sie ein aus Lorch (LO) stammender Strickwarenfabrikant namens Hermann Otto Sieger (S). Wirklich durchgesetzt haben sich die Winzlinge allerdings nicht.
Vom Lichtbild zum Schnappschuss. Fotografie in Karlsruhe 1840 bis 1990: Die Ausstellung ist im Karlsruher Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais (Karlstraße 10) bis 26. Januar 2020 zu sehen. Hier geht es zu den Öffnungszeiten.
Extratipp: Während der Kamuna, der Karlsruher Museumsnacht, am 3. August bietet der Fotograf H. Felix Gross umd 20 Uhr sowie um 21 Uhr Porträtsitzungen mit „antik-digitaler“ Kamera im Historischen Atelier der Ausstellung "Vom Lichtbild zum Schnappschuss. Fotografie in Karlsruhe 1840 bis 1990" an. Die Aufnahmen können ausgedruckt und mitgenommen werden. Mehr zum Begleitprogramm lesen sie hier.