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BNN-Exklusivinterview

So erklärt Michelin die Jobverlagerung nach Frankfurt

Der Reifenhersteller Michelin verlegt zentrale Funktionen von Karlsruhe nach Frankfurt. Etwa 250 Mitarbeiter sind betroffen, die Jobverlagerung sorgte für einige Diskussionen. Im BNN-Exklusivinterview erklären Michelin-Manager die Hintergründe.

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Erklärungsbedarf gibt es angesichts der Jobverlagerung bei Michelin von Karlsruhe nach Frankfurt. Die Michelin-Manager Bernd Lanius (l.) und Anish Taneja erklären im Interview, wie es um die Zukunft des Standorts in der Fächerstadt bestellt ist. Foto: Raviol

Die Räume sind offiziell übergeben. In den nächsten Wochen werden bei Michelin in Frankfurt nach und nach Mitarbeiter vom Standort Karlsruhe einziehen . Der Reifenhersteller hat für zentrale Funktionen der Region Europa Nord Räume im größten Bürogebäude Deutschlands angemietet: „the Squaire“. Um die Jobverlagerung von der Fächerstadt in die Banken-Metropole hat es heftige Diskussionen gegeben. Die BNN-Redakteure Sebastian Raviol und Mario Beltschak sprachen mit den Michelin-Managern  über den Umzug. Ort des Geschehens: Frankfurt.

Michelin hat sich vor einigen Monaten dazu entschlossen, zentrale Funktionen von Karlsruhe nach Frankfurt zu verlegen. Warum?

Taneja: Die Entscheidung ist gut überlegt und langfristig ausgerichtet. Das Ganze hat mit der weltweiten Neuorganisation der Michelin-Gruppe Anfang 2018 angefangen. Wir haben das Unternehmen auf die Märkte ausgerichtet, wie sie sich heute darstellen: Digitaler, internationaler und viel schneller, was die Flüsse zwischen den Märkten angeht. Wir haben die ehemaligen Regionen DACH, also Deutschland, Österreich und Schweiz mit Sitz in Karlsruhe, UK sowie alle nordischen Länder in der Region Europa Nord zusammengeführt. Das sind attraktive Märkte, die stark wachsen. Wir wollten Entscheidungen schneller treffen, agiler werden und die Distanz zwischen dem Bedarf des Kunden und den Entscheidungen in der Michelin-Zentrale deutlich reduzieren.

Und das hätte von Karlsruhe aus nicht funktioniert?

Taneja: Für uns waren bestimmte Kriterien sehr wichtig. Wir suchten einen Standort, der uns von der Infrastruktur her alles bietet, was wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren brauchen. Das ist Digitalisierung auf extrem hohem Niveau, aber auch einen Standort, der für die Kollegen aus den Märkten UK und Nordics extrem gut erreichbar ist. Es ging auch um einen Standort, der den modernen Arbeitswelten der Zukunft gerecht wird. Das gilt für bestehende Mitarbeiter, aber auch für die Talente, die wir zukünftig brauchen. Und wir wollten eine Brücke zum alten Standort in Karlsruhe schlagen, damit möglichst viele Mitarbeiter auch am neuen Standort mit uns zusammenarbeiten können. Am Ende haben wir uns nicht für eine Stadt entschieden, sondern genau für ein Gebäude: the Squaire.

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Haben überhaupt Gespräche mit der Stadt Karlsruhe stattgefunden, eventuell doch dort Möglichkeiten für die Umsetzung der Pläne zu finden? Einen Flughafen gibt es dort ja auch in der Nähe ...

Taneja: Wir haben nur mit den Städten gesprochen, die am Ende auch in der engeren Auswahl waren. Da war Karlsruhe nicht dabei. Wenn Sie den Flughafen Karlsruhe Baden-Baden ansprechen: Wir fliegen den mit unserem Michelin Airservice an – einfach, weil die vorhandenen Verbindungen von dort nicht diejenigen sind, die wir brauchen. Von da kommt man weder vernünftig in unsere Zentrale nach Clermont-Ferrand, noch nach London oder nach Stockholm. Auch innerdeutsch ist das bis auf Berlin schwierig. Wenn man sich die Bahnverbindung ansieht: Mit dem ICE kommt man von Karlsruhe noch nicht einmal ohne umzusteigen nach München. Das ist hier, vom Standort am Frankfurter Flughafen aus, ganz anders.

Sie haben in Karlsruhe aber einen bestehenden Standort, auf den sich doch aufbauen ließe.

Taneja: Wir haben in Karlsruhe eher Gebäude, die ein gewisses Alter haben. Da hätten wir hohe Investments machen müssen, um auf das Niveau für IT und Infrastruktur zu kommen, wie wir es jetzt in Frankfurt haben. In Karlsruhe war das Europa-Nord-Team auch in verschiedenen Gebäuden untergebracht. Hier in Frankfurt ist alles auf einer Plattform, die Wege sind extrem kurz, die Arbeitswelten modern. Auf der anderen Seite, und das darf man nicht vernachlässigen, haben wir uns ja nicht vom Standort Karlsruhe verabschiedet.

Was heißt das konkret?

Taneja: Wir haben ein großes, wichtiges Werk dort. Und es werden auch weiter Zentralbereiche in Karlsruhe angesiedelt sein, beispielsweise das Kunden-Kontaktcenter.  

Lanius: Das ist auch das Entscheidende. Es ging nicht darum, einen Standort komplett zu verlagern. Sondern nur die Funktionen, die für die Steuerung der Region Europa Nord entscheidend sind. In Summe werden in Karlsruhe weiterhin 1 100 Michelin-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter arbeiten, davon rund 650 in der Produktion.

Es sind aber doch 250 Mitarbeiter betroffen ...

Taneja: Ja, aber mit unseren Sozialpartnern konnten wir den Umzug so attraktiv gestalten, dass ein hoher Anteil der Mitarbeiter tatsächlich mit hier her nach Frankfurt wechselt.

Kann man den beziffern?

Taneja: Es werden über 80 Prozent sein.

Für einige Mitarbeiter war es dennoch ein harter Schlag. Herr Lanius, wie haben Sie die Reaktionen in Karlsruhe wahrgenommen?

Lanius: Es gab schon ein Stück weit Diskussionen darüber, inwiefern das notwendig ist. Im Werk gab es parallel dazu im November auch eine organisatorische Veränderung in der Produktion – wir gingen von einem Vier- auf ein Drei-Schicht-System zurück. Da kam schon die Frage auf, wie es insgesamt mit dem Standort weitergeht. Aber ich muss sagen: Wir sind im Werk gestärkt aus dieser Veränderung herausgegangen. Auch die Stimmung im Werk ist gut. Aber natürlich war die Überraschung groß, als das im November verkündet wurde.

Taneja: Wir wollten es jedem ermöglichen, dass er den Weg mit nach Frankfurt gehen kann. Wir haben Pakete für Mitarbeiter geschnürt, die ihren Erstwohnsitz nach Frankfurt verlegen wollten. Aber auch für die, die hier einen Zweitwohnsitz haben wollten und für Pendler – was mit dem ICE ja gut möglich ist. Einen Teil der Fahrtzeit berechnen wir einfach als Arbeitszeit. Wir haben aber auch ein Paket für die Mitarbeiter angeboten, die nicht mitgehen wollten.

Und wie ist es um die Zukunft des Standorts Karlsruhe bestellt?

Lanius: Wir haben zwar 15 Prozent Produktion weniger, als wir es noch 2017 hatten. Das Werk hat aber eine super Performance. Wir stellen in den nächsten Monaten mit unserer Zentrale die Weichen für die nächsten drei Jahre. Das würden wir nicht tun, wenn weitere Einschnitte geplant wären. Wir sind zudem das einzige Leicht-Lkw-Reifenwerk der Michelin-Gruppe in Europa. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal.

Taneja: Für das Werk Karlsruhe kann der Umzug keinen betriebswirtschaftlichen Effekt haben. Das Werk steht aber im Wettbewerb mit allen Werken auf der Welt. Da haben wir manchmal einen Wettbewerbsnachteil, den wir ausgleichen müssen, durch Effizienz und tolle Mitarbeiter. Aber ein Werk wird in diesem Wettbewerb nicht besser bestehen, weil eine Zentrale für Europa Nord dort angesiedelt ist oder nicht.

Können Sie dennoch eine Bestandsgarantie für den Standort Karlsruhe abgeben?

Taneja: Wir leben heute in einer Zeit, in der kein Manager seriös Zukunftsgarantien abgeben kann. Eine Innovation kann komplette Marktsegmente ausradieren. Ich kann Ihnen heute nicht sagen, was in fünf oder zehn Jahren sein wird. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich muss meinen Verantwortungsbereich so aufstellen, dass er agil und flexibel auf Veränderungen reagieren kann. Deshalb haben wir ja auch einen Zukunftspakt mit unseren Sozialpartnern geschlossen, der Bestand bis 2022 hat.

Ein Umzug ist auch ein Kostenfaktor. Gerade „the Squaire“ gilt nicht als billiger Standort. Hätte man das Geld in Karlsruhe nicht sinnvoller investieren können?

Taneja: Sie können sicher sein, dass wir uns das Thema genau angeschaut haben. Man muss aber die Fakten berücksichtigen. In Relation zu welchem Standort ist Frankfurt denn nicht so günstig? Und es kommt ja auch auf die Konditionen an, die wir für uns verhandeln konnten. Betriebswirtschaftlich war das sinnvoll.

Inwiefern hat die Stadt Frankfurt denn unterstützend mitgewirkt?

Taneja: Die Stadt hat uns stark geholfen, im Speziellen die Wirtschaftsförderung. Wir werden auch jetzt noch in einer Art unterstützt, die mich überrascht hat. Dafür sind wir als Unternehmen extrem dankbar.

Hätte Karlsruhe nicht auch etwas tun können?

Taneja: Wir haben ein tolles Verhältnis mit der Stadt. Aber kein Bürgermeister in Karlsruhe kann Ihnen die Flugverbindungen am Baden-Airpark erweitern oder die ICE-Anbindungen verbessern. Er kann die Lage der Stadt nicht verändern und sie somit auch nicht für internationale Mitarbeiter attraktiver machen.

Bleibt der juristische Deutschland-Sitz in Karlsruhe?

Taneja: Ja.

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