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„Klima der Angst”

Staatstheater Karlsruhe: Schwere Vorwürfe von scheidenden Mitarbeitern

Erneut verlässt ein hochkarätiger Mitarbeiter das Badische Staatstheater Karlsruhe auf eigenen Wunsch. Anders als bisher sprechen er und weitere scheidende Mitarbeiter über ihre Beweggründe. Dabei äußern sie schwere Vorwürfe gegen die Amtsleitung von Peter Spuhler.

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Beklemmende Verhältnisse: Die Arbeitsverhältnisse am Badischen Staatstheater sind Thema der Kritik mehrerer scheidender Mitarbeiter. Foto: Deck

Die Personalfluktuation am Badischen Staatstheater Karlsruhe hält an. Nun haben scheidende Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen die Amtsleitung von Peter Spuhler geäußert. Der Operndramaturg Boris Kehrmann, der das Haus vorzeitig per Auflösungsvertrag verlässt, erklärte auf BNN-Anfrage, das Potenzial des Hauses werde so ausgebremst, dass sich nicht sinnvoll arbeiten ließe. Weitere scheidende Mitarbeiter sprechen von einem „Klima der Angst“ und von Kontrollzwang.

Von Andreas Jüttner und Manfred Kraft

„Von Haltung und Verhalten“ lautet das Motto der nächsten Spielzeit am Badischen Staatstheater. Das bekommt in diesen Tagen eine besondere Bedeutung. Denn offenbar haben Haltung und Verhalten der obersten Leitungsfigur des Hauses zumindest für die Opernsparte – die größte und besucherstärkste Abteilung des Hauses – für die kommende Spielzeit deutliche Folgen.

Wie jetzt bekannt wurde, verlässt mit dem Dramaturgen Boris Kehrmann nun auch das letzte verbliebene Mitglied des aktuellen Teams um Operndirektorin Nicole Braunger das Haus. Wie schon Braungers Stellvertreter Patric Seibert hatte Kehrmann um eine vorzeitige Vertragsauflösung gebeten – allerdings sehr kurzfristig. Der Schritt erfolgte für Außenstehende überraschend, da Kehrmann im Programmbuch der nächsten Spielzeit noch ausdrücklich genannt ist.

Manche Texte musste ich zehnmal neu schreiben.
Boris Kehrmann, Operndramaturg

Zu den Gründen seiner Entscheidung sagt Kehrmann auf BNN-Anfrage: „Ich verlasse Karlsruhe mit Trauer und Wehmut. Das Ensemble, das Orchester, die Technikabteilung und alle Kollegen sind großartig. Aber ich musste einsehen, dass ich hier nicht sinnvoll arbeiten kann.“

Druck durch Kontrollzwang?

Besonderer Druck entsteht dem Vernehmen nach durch Spuhlers Neigung zu extremem Kontrollzwang. „Manche Texte für Broschüren musste ich zehnmal neu schreiben“, so Kehrmann. „Bei jeder Sitzung musste ihm 24 Stunden zuvor eine Tagesordnung vorliegen. Was darauf nicht genannt war, wurde nicht besprochen“, sagt Seibert.

Kritik wird aus Furcht zurückgehalten

Jedes Detail müsse über Spuhlers Tisch gehen, heißt es von verschiedenen Seiten. Denn hört man sich im Umfeld ehemaliger Theatermitarbeiter um, werden die Aussagen von Kehrmann und Seibert bestätigt. Oft allerdings mit der Bitte, anonym zitiert zu werden.

„Der Theaterbetrieb lebt von Vernetzung, und Peter Spuhler ist extrem gut vernetzt“, so eine ehemalige Mitarbeiterin. „Das Theatersystem ist insgesamt immer noch stark auf die einzelne Führungsperson ausgerichtet. Und wer hier Kritik übt, muss fürchten, woanders keinen Job zu bekommen.“

Auch Chefin will angeblich weg

Kehrmanns Weggang setzt den Aderlass der Opernsparte fort. Die Abschiede seiner Kollegin Deborah Maier, und des Ersten Kapellmeisters Daniele Squeo waren bereits zuvor bekannt geworden, ebenso der von Patric Seibert. Damit muss Operndirektorin Nicole Braunger die nächste Spielzeit, deren tatsächliche Form angesichts von Corona noch völlig offen ist, mit einem weitgehend neuen Team bestreiten.

Und das, obwohl sie Karlsruhe laut gut informierten Kreisen am liebsten ebenfalls verlassen würde: Die Nachricht, dass Braunger gekündigt habe, ihr aber der Auflösungsvertrag verweigert werde, machte im vergangenen November die Runde. Die Theaterleitung hatte seinerzeit hierzu erst nach mehrmaliger Anfrage lediglich erklärt: „Jedes Jahr verlassen Menschen das Theater und ziehen weiter.“

Spuhler sieht keinen Zwist

Im von den BNN angefragten Statement von Generalintendant Peter Spuhler zur neuesten Personalie heißt es etwas konkreter: Boris Kehrmann sei „ein Mann, der für die Oper brennt und wichtige Impulse gegeben hat.“ Zwei Produktionen in der nächsten Spielzeit würden dezidiert mit ihm verbunden sein, nämlich „Reise der Hoffnung“ und „Wozzeck“.

Wie immer an einem Haus kann man nicht in allen Angelegenheiten einer Meinung sein.
Peter Spuhler, Generalintendant Badisches Staatstheater

Von einem grundlegenden Zwist wisse er nichts, so Spuhler. „Wie immer an einem Haus kann man nicht in allen Angelegenheiten einer Meinung sein – das ist normal in einem künstlerischen Betrieb“, so der seit 2011 amtierende und bis 2026 vertraglich gesicherte Generalintendant, der zudem erklärt: „Eine Neuorientierung nach mehr als vier Spielzeiten finde ich nicht ungewöhnlich.“

Mit Kehrmann geht allerdings ein Mitarbeiter, der dem Karlsruher Opernpublikum als äußerst engagierter Begleiter etlicher bemerkenswerter Projekte aufgefallen ist. Von Anfang an brachte er frischen Wind in die Vermittlung von Hintergründen und Einsichten der von ihm betreuten Werke. Schon seine ersten Programmhefte, zu Offenbachs „Fantasio” und besonders zu Giacomo Meyerbeers „Der Prophet”, fielen als etwas Besonderes auf.

Inhaltliche Klammer für „Ring”

Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörte der von vier verschiedenen Regisseuren inszenierte „Ring des Nibelungen”, dem seine dramaturgische Arbeit eine wichtige inhaltliche Klammer verlieh. Auch Raritäten wie Donizettis „Anna Bolena” und die Händel-Opern „Alcina“ und „Serse” profitierten von seiner Mitarbeit.

Von weiteren Ideen und Vorschlägen konnte er immerhin die Reihe „Oper am Klavier” verwirklichen, bei der er die Musik populärer Opern unabhängig von der entsprechenden Inszenierung anspruchsvoll und dennoch allgemeinverständlich analysierte. Auch seine Veröffentlichungen, wie etwa eine Walter-Felsenstein-Biografie, dokumentieren seinen Ruf in der Fachwelt.

Weggang ohne Anschlussengagement

Kräfte mit Kompetenz und Eigeninitiative fühlen sich aber nicht erst jetzt eingeengt. Schon Joscha Schaback, Operndirektor von 2011 bis 2014, verließ auf eigenen Wunsch das Haus, damals ebenfalls ohne Anschlussengagement. Und er ist nicht der einzige Fall, der die von Spuhler gern verkündete Funktion des Staatstheaters als „Karrieresprungbrett“ fragwürdig erscheinen lässt.

Schmerzhafter Abschied von Publikum und Ensemble

Kehrmann betont, ihn schmerze der Abschied vom Karlsruher Ensemble und vom hiesigen Publikum: „Ob bei Einführungen, in Pausengesprächen oder nach der Vorstellung – ich habe die Liebe der Menschen zu ihrem Theater hier täglich gespürt. Das Publikum ist neugierig auf ein anspruchsvolles Theater, das mit ihm zu tun hat, will aber verstehen und mitgenommen werden.“

Auch das Ensemble sei einzigartig: „Aber wenn ich Barbara Dobrszanska, Armin Kolarczyk oder Konstantin Gorny am Haus habe, dann muss ich für die doch jede Spielzeit Stücke auf den Spielplan setzen und nicht Frau Dobrszanska die vierte Magd in ,Elektra’ singen lassen, während wir für die weiblichen Hauptrollen Gäste holen müssen. Dieses Haus hat kraft seiner Mitarbeiter die Potenz, ein Vulkan an Kreativität zu sein – aber das Feuer wird zu oft gedämpft.“

Unsere Konzepte hat Peter Spuhler alle in der Luft zerrissen.
Patric Seibert, ehemaliger stellvertretender Operndirektor

Offenbar werden die Fachkräfte des Hauses schon bei der Spielplangestaltung ausgebremst: „Wir wurden eher für administrative Aufgaben eingesetzt statt kreativ arbeiten zu können“, sagt Deborah Maier. Zwar habe es eine mehrtägige Spielplan-Klausur gegeben, in der umfängliche Konzepte erarbeitet worden seien. „Die hat Peter Spuhler dann alle in der Luft zerrissen“, fasst Seibert das Ergebnis zusammen.

Der Kontrolldruck hat die Abteilungen gespalten.
Deborah Maier, Operndramaturgin

Das legt nahe, dass es mit der Menschenführung des nach außen stets eloquent-gewinnend auftretenden Chefs von 750 Beschäftigten nicht zum Besten steht. „Ein Betrieb dieser Größe muss auf Vertrauen basieren. Doch der permanente Kontrolldruck hat die Abteilungen eher gespalten“, so Maier. Seibert bestätigt dies: „Ich habe gemerkt, dass ich in einem Klima der Angst arbeite.“

Kritik bereits 2015

Kritik am Führungsverhalten von Spuhler ist bereits 2015 laut geworden. Im Streit mit dem damaligen Verwaltungsdirektors Michael Obermeier versuchte er, diesen nach Stuttgart versetzen zu lassen. Obermeier klagte sich gerichtlich zurück.

Die Auseinandersetzungen wurden von einer breiten Protestwelle am Haus begleitet und zogen den politisch verordneten Einsatz einer Mediationsfirma nach sich. Die nachhaltige Wirkung dieser mit Steuergeldern bezahlten Maßnahme scheint nun mehr als fraglich.

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