Skip to main content

Teuer und gefährlich

Warum nur die wenigsten Bäume in Karlsruhe eine Zukunft haben

An den Karlsruher Straßen stehen 77.000 Bäume, der Großteil ist dafür aber gar nicht geeignet. Wegen des Klimawandels wird die Pflege immer teurer, trotzdem pflanzt das Gartenbauamt weiterhin Problembäume. Zu den Kosten schweigt die Stadt.

Eine interaktive Karte zeigt, wo in Karlsruhe die Problembäume stehen.
Eine interaktive Karte zeigt, wo in Karlsruhe die Problembäume stehen. Foto: BNN/Bodamer

Abgase, Streusalz, Urin: In seinem kurzen Leben muss ein Straßenbaum so einiges mitmachen. Hinzu kommen immer längere Trockenphasen, Hitzestress im Sommer, Frost im Winter – tödlich für viele Baumarten. Standfest sollte er außerdem sein, damit seine Äste beim nächsten Sturm nicht auf der Straße landen.

Karte zeigt Problembäume

Unter den zehn häufigsten Arten an den Karlsruher Straßen erfüllt lediglich eine einzige all diese Kriterien. An 75 Prozent der Standorte stehen Bäume, die nicht geeignet sind oder nur bedingt . Bäume, die Experten als geeignet oder gut geeignet bewerten, gibt es lediglich an jedem siebten Standort.

Die Karte zeigt Straßen mit ungeeigneten Bäumen. Ausschnitt vergrößern, um alle zu sehen.

Hinzu kommen Tausende unbewertete Bäume, die sich in Tests der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (Galk) erst noch bewähren müssen.

Gefährliche Eiszeit-Dornen

Der Lederhülsenbaum zum Beispiel hat nach Ansicht der Galk an Geh- und Radwegen nichts verloren. Der Grund: Der „Falsche Christusdorn“, wie der Baum auch genannt wird, hat sich mit riesigen Dornen bewaffnet – ursprünglich, um sich vor eiszeitlichen Riesenbibern und Faultieren zu schützen, vermuten Wissenschaftler.

Während der Eiszeit ein bewährtes Mittel gegen Fressfeinde, heute ein Ärgernis am Straßenrand: Die Dornen eines Lederhülsenbaums.
Während der Eiszeit ein bewährtes Mittel gegen Fressfeinde, heute ein Ärgernis am Straßenrand: Die Dornen eines Lederhülsenbaums. Foto: imago

Heute bringt er damit eher Pendler und unachtsame Spaziergänger in Gefahr. Die bis zu 20 Zentimeter langen Stacheln können nämlich Schuhsohlen, vereinzelt sogar Autoreifen durchbohren. Allein in der Moltkestraße stehen rund 130 Exemplare. In Mühlacker im Enzkreis wurden deshalb im vergangenen Jahr Dutzende dieser Bäume gefällt.

Karlsruhe geht einen anderen Weg: Dort entfernen regelmäßig Gärtner die Dornen.

Der Bergahorn – der Name sagt es schon – ist ebenfalls eine schlechte Wahl für Städte, die sich im Sommer regelmäßig in Glutöfen verwandeln. Mit mehr als 1.000 Standorten in Karlsruhe ist er der häufigste „ungeeignete“ Straßenbaum. Auch der zweithäufigste Problembaum, die Sommerlinde , fühlt sich im Mittelgebirge wohler als in der Rheinebene.

Straßen in der Innenstadt mit den meisten „ungeeigneten“ Bäumen

Hübsch, aber teuer

Bäume wie der Bergahorn müssen häufiger geschnitten und gegossen werden, dementsprechend teuer sind sie im Unterhalt. Durch den Klimawandel verschärft sich das Problem. Denn Trockenheit und Hitze machen altbekannte Baumarten anfälliger für Krankheiten.

Die Folge: Früher sind die Karlsruher Straßenbäume rund 70 Jahre alt geworden, heute lohnt sich die Pflege oft schon nach 40 Jahren nicht mehr, berichtet ein langjähriger Mitarbeiter des Gartenbauamts.

Die Rosskastanie zum Beispiel, früher ein beliebter Alleebaum, pflanzt heute kaum noch eine Stadt nach. Schuld ist ein Bakterium namens Pseudomonas. Auch der dritthäufigste Straßenbaum, die Platane , entwickelt sich zum Sorgenkind. Mit dem Massaria-Pilz erkrankte Bäume können sogar die Verkehrssicherheit gefährden. Allein an Neureuter Straße und Kaiserallee stehen jeweils rund 200 Exemplare.

Kaum Vielfalt, wenig Zukunftsbäume: Die häufigsten Baumarten in Karlsruhe

Ein Klick auf den Rand vergrößert die jeweilige Kategorie.

Pilz bedroht Menschen

Die wohl größte Herausforderung für Gärtner in der Ahorn-Stadt Karlsruhe ist die Rußrindenkrankheit. Betroffen ist in erster Linie der Bergahorn . Aber auch der Spitzahorn, Karlsruhes häufigster Straßenbaum, leidet unter dem Pilz. Die schwarzen Sporen können nicht nur dem Baum selbst, sondern auch Menschen gefährlich werden und Atemwegserkrankungen verursachen.

Wenn Bäume verdursten

Dabei sorgen Straßenbäume eigentlich dafür, dass Stadtbewohner besser durchatmen können. Sie filtern Feinstaub aus der Luft und speichern CO2. An heißen Sommertagen übernehmen sie die Funktion einer natürlichen Klimaanlage und verdunsten große Mengen Grundwasser. Damit kühlen sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Umgebung.

Vorausgesetzt, es gibt genug Wasser zum Verdunsten. In Dürrephasen schalten gut angepasste Baumarten nämlich ihre Klimafunktion ab – aus Selbstschutz. Weniger „intelligente“ Exemplare kühlen einfach weiter, bringen sich damit aber selbst in Gefahr. Es sei denn, sie werden ständig gegossen. Und das kostet Geld.

Keine Auskunft über Kosten

Wie viel, darüber will das Karlsruher Gartenbauamt keine Auskunft geben. Anders als die Stadt Mannheim. Dort kostet die Pflege eines Straßenbaums durchschnittlich 84 Euro im Jahr. Tendenz steigend.

Macht bei insgesamt 77.000 Straßenbäumen im Karlsruher Stadtgebiet theoretisch fast 6,5 Millionen Euro.

Weil Karlsruhe von einem alten Grundsatz der Baumpflege nicht abrücken will, dürfte sich daran vorerst wenig ändern. Für jeden gefällten Baum pflanzt das Gartenbauamt nämlich denselben Baum nach – auch, wenn ihn die Galk als ungeeignet eingestuft hat.

Im Gartenbauamt heißt es, man sei sich der Problematik bewusst. Deshalb gebe es auch Ausnahmen, etwa in der Moltkestraße, wo die Stadt einmal abgestorbene Lederhülsenbäume mit einer dornenlosen Sorte ersetzt.

Der Weisheit letzter Schluss sei das Bewertungssystem der Galk ohnehin nicht. Denn nur, weil eine Baumart mit den sandigen und verdichteten Böden in der Innenstadt nicht klarkommt, heißt das noch lange nicht, dass sie am Grünstreifen einer Umgehungsstraße eine schlechte Wahl sein muss – sagt das Gartenbauamt. Auch die Galk betont: „Der Standort ist entscheidend.“

Expertise aus Indien

Wie sich die einzelnen Bäume in Karlsruhe tatsächlich entwickeln, das untersucht derzeit ein indischer Forstwissenschaftler am KIT. Als Zoologe hatte Somidh Saha in seiner Heimat einst Tiger erforscht, später entdeckte er seine Liebe zu Bäumen. Vermutlich kein Zufall, dass er ausgerechnet in Deutschland gelandet ist. „Die Forstwirtschaft in Britisch-Indien wurde nicht von den Briten, sondern maßgeblich von Deutschen geprägt“, sagt Saha.

Der Förster und Forstwissenschaftler Somidh Saha an einer Karlsruher Platane - ein häufiger, aber nur bedingt zukunftsfester Straßenbaum. In Mannheim wurde der Baum immer wieder vom Massariapilz befallen.
Der Förster und Forstwissenschaftler Somidh Saha an einer Karlsruher Platane - ein häufiger, aber nur bedingt zukunftsfester Straßenbaum. In Mannheim wurde der Baum immer wieder vom Massariapilz befallen. Foto: hora

Rund 150 Jahre später verfahren viele Städte immer noch nach demselben Prinzip: Gärtner pflanzen einen Baum – der ästhetische Wert schlägt dabei häufig die objektive Eignung – und beobachten ihn. Falls er sich nicht gut entwickelt, probieren sie die nächste Baumart aus.

Die Hoffnung des Forstwissenschaftlers: die Erfahrungswerte der Gärtner und die Testergebnisse der Galk mit objektiven Messwerten zu ergänzen.

App findet perfekten Baum

Rund 1500 Bäume in Karlsruhe und Rheinstetten haben er und seine Mitarbeiter bereits mit Infrarotkameras untersucht und vermessen, darunter auch Baumarten, die bislang nur wenig Beachtung fanden. Weitere sollen folgen. „In Phase zwei entwickeln wir dann eine App, mit der Gärtner, aber auch Privatleute, den perfekten Baum für einen bestimmten Standort auswählen können. Und der ist, so viel können wir jetzt schon sagen, ein Generalist“, erklärt Saha. Die Baum-App soll unter anderem die Beschaffenheit der Böden, Luftverschmutzung sowie mögliche Hitzeinseln berücksichtigen.

Wird ein Baum krank, sterben alle.

Mit nur einem perfekten Baum ist es allerdings nicht getan. An einer Straße immer wieder dieselbe Art zu pflanzen, sei keine gute Idee, ergänzt Saha. Auch die Galk rät davon ab.

Trotzdem pflanzt Karlsruhe weiter Monokulturen. Zuletzt 2017 an der Kaiserslauterner Straße. Oder an der Ludwig-Erhard-Allee. Dort stehen jetzt zwar einheitliche Alleen aus „gut geeigneten“ Winterlinden der Sorte „Greenspire“. Aber auch die können krank werden. „Ist ein Baum betroffen, sterben alle“, erklärt Saha.

Straßen in der Innenstadt mit den meisten „gut geeigneten“ Bäumen

Der Grundsatz des Gartenbauamts, möglichst dieselbe Baumart nachzupflanzen, sorgt ebenfalls nicht für mehr Biodiversität an Karlsruher Straßen – im Gegenteil.

Dabei wäre es höchste Zeit zu handeln, mahnt Forstwissenschaftler Saha: „In 100 Jahren haben wir hier ein Klima wie im Mittelmeerraum. Dafür müssen wir schon heute die richtigen Bäume pflanzen.“

Wie sieht es in anderen Städten aus? Der Göttinger Forstwissenschaftler Steffen Rust hält die BNN-Auswertung für repräsentativ für viele Städte in Deutschland. Diese hätten es in den vergangenen 40 Jahren verpasst, rechtzeitig mit mehr Biodiversität und neuen Baumarten gegenzusteuern, um die Folgen neuer Krankheiten abzumildern. Auf welchen Tests beruhen die Baum-Bewertungen?

Die Galk pflanzt in Städten im gesamten Bundesgebiet Versuchsbäume an, beobachtet diese über mehrere Jahre und führt anschließend eine Bewertung durch . In Baden-Württemberg teilgenommen haben zuletzt Stuttgart, Heilbronn und Esslingen.

Wie denken Experten über das Bewertungssystem der Galk?

Forstwissenschaftler loben es als praxisnahes Instrument für Gärtner, um – unter bereits bekannten Arten – den geeigneten Straßenbaum zu finden. Regionale Faktoren kann das Galk-System aber nur bedingt berücksichtigen.

Worauf beruhen die Daten der Karte? Die Daten stammen aus dem frei verfügbaren Baumkataster des Liegenschaftsamts (Stand 11. März 2019). Bäume in Straßennähe wurden mit einem Geoinformationssystem identifiziert und anschließend mit den Bewertungen der Galk abgeglichen.

In einigen Fällen sind in dem Datensatz keine Einzelbäume, sondern eine „Baumgruppe“ mit einer unbekannten Anzahl von Bäumen hinterlegt. Deshalb ist im Artikel von Standorten die Rede. Das Baumkataster mit allen Einzelbäumen gab das Gartenbauamt mit dem Hinweis auf dessen „Komplexität“ nicht heraus.

In meinem Vorgarten steht ein Baum, der auf der Karte nicht angezeigt wird.

Das Baumkataster enthält lediglich Daten zu öffentlichem Grün, private Bäume fehlen.

Wie kann ich helfen?

Als Reaktion auf die BNN-Recherchen hat die Stadt Karlsruhe am 23. März ein Patenschaftsprogramm für Straßenbäume gestartet. Interessierte Bürger haben die Wahl zwischen einer „reinen Patenschaft“ (Wässern an trockenen Tagen, Schadensmeldung) und einer „Patenschaft plus“ (Bepflanzung und Pflege des Beetes). Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Stadt Karlsruhe .



Quelle: Datensatz „Fachpläne - Baumkataster“, Stadt Karlsruhe / eigene Berechnungen

Datenvisualisierung: Flourish , Mapbox / som

nach oben Zurück zum Seitenanfang