Eine Frau flieht nach Istanbul
Noch heißt sie Beatrice Michiel und lebt in Venedig. Doch sie hält es nicht aus in ihrer unglücklichen Ehe. Eine Trennung ist keine einfache Sache im 17. Jahrhundert. Beatrice Michiel flieht – übers Mittelmeer. Nach Istanbul. Dort lebt bereits ihr Bruder. Freiwillig konvertiert sie zum Islam, heißt künftig Fatima Hatun. Als Frau, die beide Kulturen kennt und mehrere Sprachen spricht, erlangt sie Einfluss. Fatima Hatun wird in einer Zeit der Kriege und der Krisen zu einer Vermittlerin zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich, von Abendland und Morgenland. Einen kleinen Einblick in dieses Migrantinnen-Schicksal erhält man an einer Medienstation im Karlsruher Schloss. Dort wird bis zum 19. April 2020 die Große Landesausstellung „Kaiser und Sultan. Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700“ gezeigt.
"Kaiser und Sultan" - ein neuer Blick auf die Zeit der Türkenkriege
Die Ausstellung wirft einen neuen Blick auf das 17. Jahrhundert und die Türkenkriege. Nicht das große Blutvergießen steht im Mittelpunkt, sondern das, was im Schatten von Machtpolitik, Glaubenskonflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen entstanden ist.
Austausch der Kulturen
Es geht um zivilisatorische Neuerungen, Innovationen etwa in der Architektur, der Kunst und der Mode, aber auch die Einführung neuer Techniken und Genussmittel. Ungeachtet aller Feind-Propaganda habe ein „wechselseitiger Austausch und eine gegenseitige Durchdringung der Kulturen“ stattgefunden, sagt Schoole Mostafawy, die Projektleiterin von „Kaiser und Sultan“.
Ein badischer "Sultan"
„Transferzonen“ zwischen Abend- und Morgenland bildeten sich insbesondere im damals dreigeteilten Ungarn sowie auf der Balkanhalbinsel aus. Ostmittel- und Südost-Europa wurden zum Umschlagplatz für Waren, Informationen und Ideen. Doch selbst im entfernten Baden ließ man sich vom Fremden faszinieren.
Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655-1707) etwa brachte als kaiserlicher Oberbefehlshaber im Großen Türkenkrieg nicht nur reiche Beute mit nach Hause.
Er feierte auch – als Sultan verkleidet – schillernde Feste. Davon zeugen in der Ausstellung Kostümbilder aus dem Bestand von Schloss Favorite in Rastatt, dieden „Türkenlouis“ in Pluderhosen zeigen. Und seine Gemahlin Sibylla Augusta in der Kleidung einer Ungarin. Schon gut 100 Jahre zuvor hatte sich Markgraf Ernst Friedrich aus der Linie Baden-Durlach ein Kostümbuch mit osmanischen Miniaturen zugelegt.
So befruchtend sich der Kulturaustausch auf vielen Ebenen auswirkte – er war häufig mit menschlichen Tragödien verbunden. Daran wird man in der Ausstellung immer wieder erinnert. Denn weder die Kaiserlichen noch die Osmanen schreckten davor zurück, Männer, Frauen und Kinder aus besiegten Gebieten als Sklaven zu verschleppen. In Zeiten, in denen man der Diplomatie huldigte, beehrten sich beide Seiten auch gerne mit Menschen als „lebenden Geschenken“.
"Beutetürken"
Auch in Baden lebten „Beutetürken“ und „Beutetürkinnen“. So sind auf einem Gemälde in der Ausstellung zwei Orientalinnen zu sehen, bei denen es sich um „Kurtisanen aus der Zeit des Türkenlouis“ handeln soll. Von der Markgräfin Sibylla Augusta heißt es, dass sie diesen Teil der Beute „am allerwenigsten zu schätzen gewusst“ habe.
Auf der Balkanroute
Kriege und Krisen lösten zudem gewaltige Flucht- und Migrationsströme aus. Aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gründen machten seit dem 15., vor allem aber im 17. Jahrhundert scharenweise Menschen auf den Weg über die sogenannte Balkanroute. „Im Vergleich zu heute waren sie allerdings vorwiegend in umgekehrter Richtung unterwegs“, erläutert Mostafawy.
Unter anderem hofften im Zeitalter der Gegenreformation Protestanten aus katholischen Landen auf mehr Toleranz im Osmanischen Reich. An Hörstationen in der Ausstellung können die Besucher vielen bewegenden Lebensgeschichten nachgehen. Flüchtlinge, Vertriebene und Kriegsgefangene kommen ebenso zu Wort wie Diplomaten, Gesandte, Kaufleute, Handwerker sowie Künstler.
Ein Bogen in die Gegenwart
Bewusst schlägt das Badische Landesmuseum mit „Kaiser und Sultan“ einen Bogen vom 17. Jahrhundert zu den gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart. Die Ausstellung will den „Mehrwert plurikultureller Gesellschaften für Europa“ herausstellen. „In Zeiten zunehmender Flucht- und Migrationsströme und eines spürbaren Rechtsrucks in Gesellschaft und Politik“ zeichne sich dies als „Gebot der Stunde“ ab, sagt Mostafawy.
Zudem hofft das Badische Landesmuseum, mit diesem Konzept langfristig seinen Besucherkreis zu erweitern. Im Blick hat es dabei auch Menschen aus islamischen Herkunftsstaaten. Diese sähen in Ausstellungen, die nach einem überkommenen Geschichtsbild aus europäischer Perspektive konzipiert sind, ihre angestammte Kultur bislang nur selten objektiv repräsentiert, weiß Projektleiterin Mostafawy.
Die Krönung eines Streitkolbens
Auch auch dem "klassischen" Museumsbesucher hat die Ausstellung viel zu bieten. Eine Vielzahl prachtvoller Exponate machen "Kaiser und Sultan" zu einem Fest für die Sinne. Ein glänzendes Beispiel für das Verschmelzen von Kulturen ist -- das Zepter der Großherzöge von Baden. Als Karl Friedrich , der erste Großherzog, 1811 starb, gab es noch keine badischen Kroninsignien. Doch die brauchte man für die Begräbnisfeierlichkeiten. Eile tat not – uns da besann man sich auf einen Streitkolben, einen sogenannten Buzogan, den um 1625 ein Goldschmied in Siebenbürgen gefertigt hatte.
Siebenbürgen, das war damals ein osmanischer Vasallenstaat. Und osmanisch-prächtig muten auch die Verzierungen des Streitkolbens an. Nur der kugelige Schlagkopf stellte die badischen Juweliere vor ein Problem: Er erinnerte an den Reichsapfel, den zu tragen einem Großherzog nicht zustand. Daher wurde der Knauf entfernt und durch ein filigranes Krönchen ersetzt, zudem der Schaft frisch vergoldet und mit einem Ring von Diamanten aus dem Rastatter Hofkirchenschaft versehen – fertig war das Zepter.
Die Karlsruher Türkenbeute und prachtvolle Leihgaben
Zu den größten Schätzen des Badischen Landesmuseums gehört die " Türkenbeute" , die der Türkenlouis und andere Markgrafen aus den Türkenkriegen mitbrachten. Für "Kaiser und Sultan" wurden zum ersten Mal Exponate der Karlsruher Türkenbeute mit einer Vielzahl von Leihgaben aus der „Türckischen Cammer“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zusammengeführt, sagt Eckart Köhne . „Beide Sammlungen“, so erläutert der Chef des Badischen Landesmuseums, „zählen zu den größten osmanischen Museumsbeständen Deutschlands“.
Leihgebern kamen zudem von Museen, Bibliotheken, Stiftungen und Privatpersonen aus Deutschland, Österreich, Ungarn, der Schweiz und Slowenien. Berühmte, aber auch nie zuvor ausgestellte Objekte sind jetzt in Karlsruhe versammelt. Die Besucher sehen etwa muslimische Gebetsteppiche, mit denen Protestanten in Siebenbürgen ihre Kirchen schmückten.
Andererseits gibt es auch einen osmanischen Säbel, der mit christlichen Motiven – unter anderem Maria mit dem Jesuskind – überrascht. Samtene Sättel, Prunkuhren, vergoldete Köcher und eine edelsteinbesetzte Prunkbrigantine (eine Art Schuppenpanzer) begeistern durch ihre Pracht und meisterhafte handwerkliche Arbeit. Alles in allem beleuchten rund 320 Objekte Facetten des vielschichtigen 17. Jahrhunderts.
Das "Blaue Zelt" - ein Meisterwerk
Drei Jahre lang hat das Ausstellungsteam "Kaiser und Sultan" vorbereitet. Besonders stolz sind die Museumsleute auf das „Blaue Zelt“. Diese Leihgabe aus Krakau ist mit 18 Metern Länge und fünf Metern Höhe das größte Ausstellungsstück.
Außerhalb Polens war es in seiner ganzen Pracht noch nie zuvor zu sehen. Das mit Silber- und Goldstickereien geschmückte Meisterwerk aus Seide und Leder diente wohl einem osmanischen Würdenträger als „Residenz“, als die Türken 1683 Wien belagerten. Höchstwahrscheinlich wurde es von König Johann III. Sobieski, dem Befehlshaber der polnischen Armee, erobert.
Mediale Installationen, die die komplexen Ereignisse in der Zeit der Türkenkriege anschaulich vermitteln, erweitern die Aussagekraft der Objekte. Da wirkt der Animationsfilm der Filmakademie Ludwigsburg, der am Anfang der Schau steht, fast wie ein Stilbruch. Mit einem Affenzahn rast er durch die Geschichte des 17. Jahrhunderts. Als Jugendsprachen-affiner Sprecher fungiert der Komiker Christian Tramitz.
„Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700: Die Große Landesausstellung ist bis 19. April zu sehen im Badischen Landesmuseum im Karlsruher Schloss. Sie ist dienstags bis sonntags und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Geschlossen am 24. sowie 31. Dezember, am 1. Januar 2020 von 13 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet zwölf Euro, ermäßigt neun Euro, Schüler drei Euro, Familien 25 Euro. Und hier geht's zum To-Go-Angebot von Kaiser und Sultan.
Begleitband: Zur Ausstellung „Kaiser und Sultan“ ist im Hirmer-Verlag ein reich bebilderter Begleitband erschienen (416 Seiten, Museumsausgabe 29,90 Euro, Buchhandelsausgabe 39,90 Euro).