Skip to main content

Fast jedes Gehege war zerstört

Orkan Lothar befreite im Tierpark Oberwald Tiere und brachte Zoo-Mitarbeiter in Lebensgefahr

Am Morgen des Zweiten Weihnachtstages ist Robert Ruder mittendrin, als Orkan Lothar die Wälder zerlegt: Der Revierleiter des Karlsruher Zoos kämpft im Tierpark Oberwald mit der Motorsäge gegen die Elemente. Der Jahrhundertsturm beschädigt nahezu jedes Gehege. Es geht darum, die Wildtiere von den umliegenden Straße abzuhalten - und die Autofahrer zu schützen.

Elch
Elche leben im Tierpark Oberwald, Nach dem Orkan Lothar war eines der Tiere auf Abwegen Foto: Jock

Am Morgen des Zweiten Weihnachtstages ist Robert Ruder mittendrin, als Orkan Lothar die Wälder zerlegt: Der Revierleiter des Karlsruher Zoos kämpft im Tierpark Oberwald mit der Motorsäge gegen die Elemente. Der Jahrhundertsturm beschädigt nahezu jedes Gehege. Es geht darum, die Wildtiere von den umliegenden Straße abzuhalten - und die Autofahrer zu schützen.

Ganz schön windig war es am vergangenen Wochenende – was bei Claudia Frey böse Erinnerungen weckte. „Ich bin sturmgeschädigt“, sagt die Tierpflegerin, die seit Ende der 1980er Jahre im Tierpark Oberwald arbeitet.

Dass sie sich unwohl fühlt, sobald der Wind an den Baumkronen zerrt und die Läden an der Hütte des Pflegerteams zu klappern beginnen, daran ist Lothar schuld: Am Zweiten Weihnachtsfeiertag ist es genau 20 Jahre her, dass der Orkan mit mehr als 150 Kilometern pro Stunde auch über Karlsruhe tobte .

Claudia Frey und Revierleiter Robert Ruder waren draußen im Oberwald, als die Bäume fielen – und kämpften mit der Motorsäge in der Hand gegen die Folgen. „Die Gefahr war, dass unsere Tiere auf eine der Straßen laufen, die den Oberwald umgeben“, sagt Robert Ruder. „Wenn eine Herde Hirschziegenantilopen die Autobahn überquert, dann kann es Tote geben.“

Mehr zum Thema:

Orkan Lothar und seine Folgen: „100 Jahre Wald sterben in 30 Minuten“

Erst danach haben sie gemerkt, wie lebensgefährlich ihr Einsatz war

Dass es dazu nicht kam, dafür riskierten Robert Ruder und Claudia Frey ihr Leben. „Darüber habe ich aber erst am Abend nachgedacht“, bekennt Ruder. Tagsüber sei es nur darum gegangen, zu funktionieren – so weit es eben möglich war.

„Der schwere Zaun bei den Wisenten war intakt, alle anderen waren beschädigt“, schildert er. Mit der Motorsäge musste Platz geschaffen werden, um die Absperrungen wieder zu errichten. „Anfangs waren wir alleine, später hat der Betriebsmeister aus dem Zoo Helfer geschickt“, erzählt Ruder. Über Funk hatte er mitgeteilt, dass sie hier draußen nicht mehr Herr der Lage waren.

Robert Ruder
Der Stumpf einer mächtigen Eiche, die Orkan Lothar fällte, liegt heute noch in einem der Gehege im Tierpark Oberwald, Zwei Jahre nach dem Sturm wuchs ein Ahorn auf dem Totholz. Revierleiter Robert Ruder ließ ihn stehen. Foto: Jock

Dixi-Klo flog zwei Meter hoch durch die Luft

Ohne Vorwarnung startete Lothar in der Zoo-Dependance im Oberwald am 26. Dezember 1999 sein zerstörerisches Werk, erinnert sich der Revierleiter. „Wir saßen so gegen 10 Uhr morgens gerade beim Vesper, da ging es draußen los“, blickt er zurück.

An den Läden der Schutzhütte hatte der Wind zuvor schon gezerrt, dann knöpfte der Sturm sich das Dixie-Klo vor, auf das Ruder durchs Fenster sehen konnte. „Es wurde zwei Meter hoch in die Luft gehoben, drehte sich und klatschte wieder auf den Boden“, schildert er. Dann kamen die ersten Äste runter, und für die beiden Pfleger war klar, dass sie draußen nach dem rechten sehen mussten.

„Wir sind mit unserem VW-Bus in Richtung der Mufflons gefahren“, erzählt der Revierleiter. „Weit sind wir aber nicht gekommen, da fiel uns schon der erste Baum direkt vors Auto.“ Noch beim Zurückstoßen legte sich der nächste Stamm quer über den Weg. „Ich bin dann zu Fuß zurück zur Werkstatt und habe die Motorsägen geholt“, berichtet Robert Ruder. „Seitdem haben wir sie in unserem Auto.“

Tiere bekamen wie durch ein Wunder keine Panik

Dass erst mal kein Tier panisch wurde und im Wald verschwand, grenzt für Ruder an ein Wunder. „Die Przewalskis sind auf ihren Hügel und haben nur geguckt“, erinnert er sich. Auch die Hirschziegenantilopen, deren Gehege an drei von vier Seiten beschädigt war, die Kropfgazellen, Axishirsche, die Damhirsche und Mufflons, die es damals noch im Oberwald gab, blieben ruhig und auf ihrem gewohnten Terrain.

„Die Viecher haben aber auch einen Sinn dafür, sich da aufzuhalten, wo sie sicher sind“, meint der Revierleiter. Zur Panik neigten nur die Wisente – auf deren Zaun aber kein Baum gefallen war.

Nebenan aber tobte sich Lothar richtig aus. „Da war ein dichtes Fichtengebiet mit 15, 20 Meter hohen Stämmen, durch die man kaum durchschauen konnte“, erklärt Ruder. „Sie hat der Orkan wie Mikadostäbe durcheinandergewirbelt, kreuz und quer aufgeschichtet und auch über den Hauptweg geblasen.“

None
Das Archivbild vom 04.05.2000 zeigt den durch Sturm "Lothar" fast völlig zerstörten Wald auf dem Mooskopf bei Gengenbach im Schwarzwald (Ortenaukreis). Am 26.12.2000 jährt sich die schlimmste Katastrophe der Forstwirtschaft in Baden-Württemberg. Eine ganze Generation von Waldbauern in den vom Orkan "Lothar" betroffenen Gebieten wird ohne Einkommen aus ihren Forsten leben müssen. dpa/lsw (zu dpa 0052) Wiederholung vom 18.12.2000 - Foto: dpa

Der Sturm hat einer Buche die Krone abgedreht

Aber nicht nur die auf den Böden der Rheinebene eher instabilen Fichten, auch mächtige Eichen fällte Lothar in Sekundenschnelle. „Da kamen Eichen mit fast anderthalb Metern Durchmesser vorbei“, erinnert sich Ruder. Ein Stumpf inklusive Wurzel liegt heute noch im Gelände, das nun Trampeltier Amina nutzt.

Noch im Ohr hat Ruder auch das mächtige Krachen einer Buche, als er gerade einen umgefallenen Baum zersägte. „In zehn Metern Höhe hat es die Krone abgedreht und ein paar Meter weiter getragen“, schildert er. „Da konnte man sehen, was der Sturm mit tonnenschweren Bäumen anrichten kann, die wir nur mit schwerem Gerät bewegen könnten.“ Auch die Schutzhütte der Pfleger traf ein Baum. „Das damalige Eternit-Dach hat aber standgehalten, es ragten lediglich ein paar Äste ins Innere“, so der Revierleiter.

Elchkuh Wiebke war auf Abwegen

Als Lothar am Mittag weiterzog, war sein Werk im Oberwald noch lange nicht beendet. „Hier sind noch tagelang die Bäume umgefallen“, sagt Ruder. Als man nicht mehr damit rechnete, habe mancher Stamm sich plötzlich geneigt. Über Wochen haben Ruder und seine Kollegen Lothars Nachwehen beschäftigt.

Neue Pfosten setzen, Zäune ausbessern und Schadholz beseitigen, um das der Forst sich nicht kümmern konnte – das waren die Aufgaben, die neben dem Versorgen der Tiere zu erfüllen waren. „Unser Graslieferant hat uns seinen Traktor geliehen, ohne den hätten wir das gar nicht geschafft“, sagt Ruder.

Im Nachgang zu Lothar ging doch noch ein Tier stiften – und zwar mehrfach. Im weitläufigen Elchgehege gab es offenbar noch den einen oder anderen Durchschlupf im Zaun, der zunächst von den Pflegern nicht entdeckt worden war – wohl aber von Elchkuh Wiebke. Einen Tag nach Lothar stand sie plötzlich auf dem Besucherweg in der Nähe ihres Unterstands, erzählt Ruder.

Als Claudia Frey das Futter wie gewohnt beim Unterstand platzierte, habe die Elchkuh sich aber gleich wieder nach drinnen begeben. Ein paar Tage später war sie deutlich weiter weg. Ein Handwerker kam mit der Botschaft, dass „da hinten ein Elch im Wald steht“. Die mächtigen Hirsche sind alles andere als Streicheltiere, daher bleiben auch die Pfleger normalerweise auf Abstand.

„Ich bin dann aber doch mit dem Futtereimer hin“, erzählt Ruder. Langsam habe sich Wiebke in Bewegung gesetzt, gut 200 Meter folgte sie dem Revierleiter und den Leckereien. „Ich habe aber schon das Hinterteil eingezogen, falls sie mir doch noch einen mitgibt“, erinnert er sich an den ungewöhnlichen Gang durch den Wald.

Niemanden hat interessiert, wie gefährlich der Einsatz war

Seit dem Jahr 1986 arbeitet der heute 62-jährige Robert Ruder im Oberwald. Lothar war für ihn eine einschneidende Erfahrung. „So etwas erlebt man zum Glück nur einmal im Leben“, sagt er.

Nachdenklich habe das Erlebte ihn gemacht und auch ein bisschen verbittert: „Weil es eigentlich niemanden interessiert hat, wie gefährlich es hier draußen für uns war.“ Aber auch mit sich selbst geht er ins Gericht: „Hätte ich mein Hirn eingeschaltet, wäre ich schleunigst raus aus dem Wald“, meint er.

„Wenn ich im Wald unterwegs bin, schaue ich immer wieder nach oben“

Stattdessen machte ihn am Ende des gefährlichen Zweiten Weihnachtsfeiertages ein anderes Erlebnis fassungslos: „Als wir um 16 Uhr gerade die Pferde fütterten, kam eine Frau mit einem Kinderwagen. Die Fichten lagen anderthalb Meter hoch über dem Weg, aber sie hat sich einen Durchschlupf gesucht und den Wagen über das Holz gehoben“, berichtet Ruder. Auf seinen Hinweis, dass nach wie vor Bäume umfallen und Äste herabstürzen, bekam er nur eine höchst unfreundliche Antwort.

Die Leute haben es verlernt, mit der Natur umzugehen
Robert Ruder

„Die Leute haben es verlernt, mit der Natur umzugehen“, meint Robert Ruder. Auch am durchaus stürmischen vergangenen Wochenende seien viele Menschen im Wald unterwegs gewesen. Nach den beiden Trockensommern gebe es aber immer noch Astbruch, so bald es windig wird oder viel Regen fällt.

„Wenn ich im Wald unterwegs bin, schaue ich immer wieder nach oben“, sagt der 62-Jährige. „Wenn es stürmt, gehe ich nur in den Wald, wenn es sein muss. Und ich laufe in der Straßenmitte und eben nicht an den Häusern entlang, wenn es stürmisch ist.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang