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Stadt sucht Konzepte

Warum der Ausstieg aus der Prostitution auch in Karlsruhe nur selten gelingt

Nach dem Prostitutionsverbot in der Corona-Krise bringt eine Anfrage der SPD im Gemeinderat Zahlen über die Situation der Karlsruher Prostituierten zutage. Die Fraktion erhofft sich mit der Anfrage eine Grundlage für die Erarbeitung eines Ausstiegs-Programms für Frauen in Zwangs- und Armutsprostitution.

Käuflicher Körper: Prostitution jeglicher Art ist in der Corona-Pandemie bis auf Weiteres verboten. Finanzhilfen und Beratungen über den Ausstieg aus dem Geschäft nehmen vergleichsweise wenige Frauen in Anspruch.
Käuflicher Körper: Prostitution jeglicher Art ist in der Corona-Pandemie bis auf Weiteres verboten. Finanzhilfen und Beratungen über den Ausstieg aus dem Geschäft nehmen vergleichsweise wenige Frauen in Anspruch. Foto: dpa

„Wir können nicht auf ein Konzept warten“, so SPD-Stadträtin Yvette Melchien gegenüber den BNN. „Auch jetzt werden schon Frauen beim Ausstieg begleitet.“ Aus den Antworten erhoffe man sich auch Erkenntnisse darüber, wie eine effektive Ausstiegsberatung aussehen müsse – die SPD setzt sich für ein generelles Sexkaufverbot ein.

Theoretisch stehen einer gewerblich gemeldeten selbstständigen Sexarbeiterin – wie allen Selbstständigen – Corona-Soforthilfe des Bundes sowie Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zu. Zudem gibt es weitere Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung in Notlagen, etwa aus dem Nothilfefonds des Diakonischen Werks Karlsruhe.

Laut Stellungnahme der Stadtverwaltung haben seit Beginn des Corona-Verbots Mitte März 29 in der Prostitution tätige Frauen Hartz IV beim Jobcenter Karlsruhe beantragt (Stand vom 4. Juni).

Die Frauen hatten nicht einmal Geld für Lebensmittel und Hygieneartikel.
Anita Beneta, Beratungsstelle Luis.e

Alle Anträge seien auch bewilligt worden. Die beiden Beratungsstellen für Prostituierte in Karlsruhe, Luis.e (getragen von der Diakonie Karlsruhe) und Mariposa (Trägerverein ist The Justice Project), liefern ebenfalls Zahlen zu Finanzhilfen.

Prostituierte hatten in Corona-Krise mitunter kein Geld für Lebensmitteln oder Hygieneartikel

Anita Beneta, Bereichsleiterin Soziale Arbeit sowie Migration und Integration bei der Diakonie, weist darauf hin, dass die jeweils aktuellen Zahlen schnell veraltet seien. So hätten sich bei Luis.e seit dem Zeitpunkt der SPD-Anfrage bereits wieder neue Beratungen ergeben.

Stand 25. Juni haben sich seit Beginn des corona-bedingten Prostitutionsverbots 72 Frauen bei Luis.e gemeldet, weil sie in einer finanziellen Notlage waren.

Aus dem Archiv:

42 Frauen hätten Mittel aus dem Notfonds der Diakonie erhalten, 25 Frauen half die Beratungsstelle, Anträge auf Sozialleistungen beim Jobcenter zu stellen. Vier Frauen erhielten Geld über die BNN-Spendenaktion „Wir helfen“. Eine Frau habe die Corona-Soforthilfe des Bundes beantragt.

„Die Frauen hatten nicht einmal Geld für Lebensmittel oder Hygieneartikel“, sagt Beneta. Man müsse sich fragen, wie groß die Ausbeutung sei, wenn nicht einmal für solch elementare Bedürfnisse Rücklagen vorhanden seien.

Zudem seien viele der Sexarbeiterinnen Armutsmigrantinnen, die weder ein angemeldetes Gewerbe noch eine Adresse in Deutschland nachweisen könnten. Diese Frauen hätten gar keinen Anspruch auf Hilfen des Jobcenters.

Zurückgekehrte Prostituierte bieten ihre Dienste jetzt im Internet an

Inzwischen berate Luis.e auch wieder Rückkehrerinnen, die in der Akutphase der Pandemie in ihre Heimatländer gereist waren. „Viele Frauen bieten sich jetzt übers Internet an. Nur weil es verboten ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Frauen nicht tätig sind.“ In ihrer Not fänden sie Wege.

Für viele sei die Prostitution ohnehin die einzige mögliche Existenzgrundlage: Sie könnten keine Berufsausbildung aus ihren Heimatländern vorweisen, Deutschkenntnisse fehlten oft völlig. Genau diese Situation mache auch den Ausstieg so schwer, sagt Beneta.

Aus dem Archiv:

Hinzu komme, dass die Frauen durch den Ausstieg auch privat ihr gesamtes soziales Netz verlieren. „Der Ausstieg ist ein sehr einsamer Prozess, der ebenfalls traumatisierend sein kann“, sagt Beneta.

Viele wagten auch mit Beratung nicht den Schritt, wirklich auszusteigen – Hindernis seien vielfältige Problemlagen. „Trauma, Depressionen, Sucht, Schwangerschaft oder medizinische Probleme“, zählt Beneta auf. Entsprechend mager fällt ihre Bilanz aus: „Mit Erfolg ausgestiegen sind in den letzten fünf Jahren nur 25 Frauen.“ Mit einem Ausstiegsanliegen seien allein in den vergangenen zwei Jahren 45 Frauen zu Luis.e gekommen.

Frauen in Karlsruhe stehen unter hohem Druck

Im Frauencafé Mariposa wurden (Stand: 26. Juni) seit dem Prostitutionsverbot Mitte März 60 Frauen beraten, 44 Anträge auf unterschiedliche Hilfen wurden gestellt. Da aber viele aufgrund der nicht vorhandenen Steuernummer keinen Anspruch auf die Hilfen hätten, seien sie etwa bei Freiern oder in Bordellen untergekommen.

„Wir erleben, dass die Frauen gerade sehr unter Druck stehen“, sagt Liane Knaus, Sozialarbeiterin im Frauencafé. Ein Teil der Frauen nutze jetzt zwar die Gelegenheit, sich beruflich umzuorientieren. Vermehrt fingen viele aber wieder an zu arbeiten. Dabei setzten sie sich dem Risiko aus, von der Polizei erwischt oder Opfer von Gewalt zu werden. Deshalb gebe es nur wenige, die offen darüber sprechen.

Bordellbetreiber und Zuhälter lassen echte Ausstiegshilfen nicht zu.
Ingeborg Kraus, Initiative Karlsruhe gegen Sexkauf

Etwa 600 Gewerbebescheinigungen hatte das Karlsruher Ordnungsamt bis vor der Corona-Krise an Prostituierte ausgegeben. Ingeborg Kraus von der Initiative „Karlsruhe gegen Sexkauf“ schätzt, dass die Zahl der tatsächlich in der Prostitution tätigen Frauen in Karlsruhe und Umgebung etwa zehnmal so hoch ist.

„Studien zufolge wollen etwa 80 Prozent aussteigen“, sagt die Psychotherapeutin im BNN-Gespräch. Die im Vergleich dazu äußerst niedrigen Zahlen aus den Beratungsstellen sind für Kraus ein Beleg dafür, dass den Frauen bisher kaum realistische Ausstiegshilfen angeboten werden.

Expertin: Zuhälter lassen echte Ausstiegshilfen nicht zu

Bei Beratungsgesprächen stehe der Zuhälter häufig draußen auf der Straße und passe auf, was drinnen passiert. „Bordellbetreiber und Zuhälter lassen echte Ausstiegshilfen nicht zu“, so Kraus. Die Beratungsstellen müssten sich zudem dezidiert auf das Thema Ausstieg qualifizieren. „Es fehlen Konzepte“, sagt sie. Zudem müsse Beratung verstärkt in den Sprachen der Heimatländer angeboten werden, vor allem Rumänisch, Bulgarisch und Ukrainisch.

Die Frauen, die den Ausstieg mit Hilfe von Luis.e geschafft haben, sind laut Beneta durch Corona nun wieder von Prostitution bedroht. Ihre Perspektive heißt ohnehin meist: Hartz IV plus Minijob. Weil sie ihre Jobs im Niedriglohnsektor verloren haben, droht jetzt der Verlust der Wohnung.

„Klar, dass die Frauen angesichts solcher Perspektiven Angst vor dem Ausstieg haben“, sagt Beneta. „Aber ich bin überzeugt davon, dass so junge Menschen noch das Potenzial haben, sich ein selbstständiges, gutes Leben aufzubauen.“

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