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Nationalismus und Judenhass

Was mit Karlsruher Straßen passiert, die umstrittene Namenspaten haben

Auseinandersetzungen um Straßennamen und die darin zum Ausdruck kommende Ehrung für historische Persönlichkeit gibt es immer wieder – zuletzt betraf dies in Karlsruhe den Philosophen und Publizisten Johann Gottlieb Fichte. In Konfliktfällen setzt die Stadtverwaltung auf kommentierende Zusatzschilder.

Bei Straßennamen, die auf umstrittene Persönlichkeiten verweisen, hilft ein kommentierendes Zusatzschild mit der Einordnung.
Bei Straßennamen, die auf umstrittene Persönlichkeiten verweisen, hilft ein kommentierendes Zusatzschild mit der Einordnung. Foto: jodo

Mit Straßennamen werden seit jeher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geehrt. Die Bewertung solcher Personen ist jedoch dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen: Was einst untadelig schien, muss es heute nicht mehr sein. Die Folge sind gesellschaftliche Debatten. Zuletzt betraf dies in Karlsruhe den Philosophen und Publizisten Johann Gottlieb Fichte.

Sie sind Evergreens des kommunalen Geschehens an der Schnittstelle von Stadtgeschichte und Politik, sie sind Kulminationspunkte für Auseinandersetzungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Fraktionierungen, und sie sind oft Fenster in die Vergangenheit. Die Rede ist von Straßenbenennungen nach historischen Persönlichkeiten und der entsprechenden Beschilderung.

Jüngst hat sich um die Fichtestraße ein aufschlussreicher Diskurs entsponnen, der auch auf mehreren Leserbrief-Seiten der BNN seinen Niederschlag fand. Die Frage, ob der Philosoph und Vertreter des deutschen Idealismus eines Zusatz-Schildes mit kritisch einordnender Kommentierung bedarf oder nicht, wird seither mit Leidenschaft diskutiert. Es geht um nationalistisches Gedankengut und um judenfeindliche Äußerungen. Und um die Frage, ob die heutige Generation mit ihren aktuellen Wertvorstellungen Objektivität für sich beanspruchen kann.

Stadt Karlsruhe setzt auf kommentierende Zusatzschilder

Nicht nur die nach Fichte benannte Straße ist ein solches Beispiel – es gibt im Übrigen auch ein Fichte-Gymnasium – es geht auch um Arndt-, Hansjakob-, Jahn-, Körner-, Staudinger- und Richard-Wagner-Straße.

Allesamt werden sie neue, kommentierende Zusatzschilder bekommen, die die jeweiligen Namensgeber historisch-kritisch einordnen. In den meisten Fällen spielt eine mindestens heute als antisemitisch empfundene Einstellung der Persönlichkeiten dafür eine Rolle.

Im Falle Hermann Staudingers, nach dem in Mühlburg eine Querstraße der Weinbrennerstraße benannt ist, heißt es auf dem künftigen Zusatzschild: „Dr. Hermann Staudinger, 1881-1965, Professor für Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe, betrieb in der NS-Zeit kriegswichtige Forschungen, Anpassung an die NS-Ideologie, Nobelpreis 1953.“

Kritik wird es wohl immer geben

Diese „Anpassung der Kommentierung“ geht auf die Stadtratsfraktion der Grünen zurück. Vorberaten im Kulturausschuss, stimmte der Bauausschuss der Anbringung der neuen Zusatzschilder zu. Den jeweiligen Wortlaut hatten zuvor die Historiker des Stadtarchivs im Benehmen mit Kulturamts-Chefin Susanne Asche entwickelt.

Nach Einschätzung der Amtsleiterin wird es Debatten um Straßennamen auch in Zukunft immer wieder geben. Sie spricht von einem „nie abgeschlossenen Prozess der Verständigung“ innerhalb der Stadtgesellschaft. Dafür setzt Karlsruhe ausweislich seines „Leitfadens zur Erinnerungskultur im Öffentlichen Raum“ in den meisten Fällen auf die Kommentierung durch Zusatzschilder.

Das geschah etwa im Falle der Treitschkestraße im Süden der Stadt schon vor Jahren. Seither erfahren aufmerksame Fußgänger, dass der 1896 gestorbene Historiker, Publizist und Politiker mit seinen Publikationen dazu beigetragen habe, „dass der Antisemitismus in der Kaiserzeit gesellschaftsfähig wurde.“ In Heidelberg und Stuttgart hingegen hat man die dortigen Treitschkestraße umbenannt.

Manche Straßen werden sogar umbenannt

„Wir wollen Geschichte nicht tilgen“, beschreibt Grünen-Stadtrat Michael Borner das Anliegen der Kommentierung von Straßennamen mittels ergänzender Beschilderung. Was nicht heißt, dass es in Karlsruhe niemals zu Umbenennungen gekommen wäre.

1987 benannte man die Besselstraße in Daxlanden nach dem gleichnamigen Astronomen und Mathematiker, nachdem dieselbe Straße zuvor fünf Jahrzehnte lang Carl-Peters-Straße geheißen hatte. Selbiger war Politiker, Publizist und Überseekaufmann in Afrika gewesen.

Der historischen Forschung zufolge war Peters – er gilt als Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika – von ausgeprägt rassistischer Gesinnung.

Anwohner haben bei Änderungen viel Aufwand

Namensänderungen gelten freilich als nicht unproblematisch; auf Anwohner kommt dann beträchtlicher Aufwand zu, weil Ausweispapiere und Adressangaben angepasst werden müssen. Ein besonderer Kunstgriff gelang der Stadtverwaltung vor diesem Hintergrund im Fall der Palmbacher Vierordtstraße.

Ursprünglich nach dem 1945 verblichenen Dichter Heinrich Vierordt benannt, galt dieser angesichts eines nationalistischen Hass-Gedichts aber 2017 als nicht mehr haltbar. Kurzerhand besann man sich auf dessen Großvater gleichen Namens, den Bankier und Stifter des Vierordtbades. Diesen machte man also zum Paten der Straße. Und die Anwohner mussten sich nicht umgewöhnen.

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