„Warum nicht, hab ich zum Schorsch gesagt.“ Welche Wirkung für alle Zeiten ihre Bereitschaft zum Mitmachen hat, können die zwei Karlsruher Sportstudenten Georg Kenntner und Hans Weber damals nicht wissen. Das ist etwa 64 Jahre her – Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts: Ein Bildhauer sucht Modelle für eine überlebensgroße Gestalt.
Georg Kenntner und Hans Weber sind für fünf Mark die Stunde bereit. Ihre Muskeln gehen künstlerisch gestaltet und zu Betonstein geformt ins Stadtbild ein. Kenntner und Weber sind die lebenden Urbilder des berühmten „Nackten Manns“ vom Wildpark.
Legende aus Stein
Die BNN beschrieben jüngst „Die Geschichte vom Nackten Mann“ und seines Schöpfers Emil Sutor auf einer Sonderseite. Dieser hoch dekorierte und reiche Erfolgskünstler passte seinen Kunststil dem jeweiligen Zeitgeist an – ob christlich und nationalkonservativ, rassistisch und gewaltverklärend oder abstrahierend und existenzialistisch.
Seit 1960 steht der „Nackte Mann“ vor dem Stadion im Hardtwald. In 58 Jahren ist er für die Fans und die Fächerstadt zur steinernen Legende geworden. Wegen des Stadionneubaus verliert der Steinzeuge der KSC-Geschichte seinen Standort, bald wird er vom Sockel geholt. Doch der „Nackte Mann“ wird spätestens 2022 an anderer Position ein Comeback erleben. Mit den Fans wechselt ihr Orientierungspunkt die Seiten des Stadions im Wildpark.
Schlotter-Beck
„Schlotter-Beck“ heißt der Steinerne noch heute bei eingefleischten Blau-Weißen. Diesen Namen trägt der schlanke Riese in Erinnerung an die wahre KSC-Legende, den Superstürmer Heinz Beck. Der Schlacks aus Daxlanden traf von 1952 bis 1961 bei 163 Einsätzen in der damals erstklassigen Fußball-Oberliga Süd mit einer Gerd-Müller-Quote sagenhafte 114 Mal für den KSC ins Netz der Gegner.
Der heute 86-jährige Georg Kenntner kennt den „Schlotter-Beck“ und erkennt den Namen der alten KSC-Gemeinde für den so nackten wie stillen Helden vom Wildpark an. Aber er weiß mehr vom „Nackten Mann“, er war tatsächlich hautnah bei dessen Kunstgeburt dabei.
So kann jetzt diese Wildpark-Geschichte mittels Informationen durch Georg Kenntner und Hans Weber um ein Kapitel ergänzt werden.
Kombilösung in der Kunst
Sutor war befreundet mit August Twele, dem Chef des Sportinstituts an der Karlsruher Uni von 1931 bis 1961. Die Karriere dieser Freunde bekam im und nach dem Dritten Reich keinen Knick. Den Sportsfreund spricht der Künstler wegen der Modelle an. Und Twele bringt seine Vorzeigeathleten Georg und Hans ins Spiel. „Ich war der Erste, der auf das Podest stieg“, berichtet der in Bretten aufgewachsene Weber. „Wir standen auf einer Drehscheibe mit zwei Meter Durchmesser“, erzählt Kenntner – „und der Herr Sutor ging um uns herum“.
Ganz unbekleidet ist letztlich nur der „Nackte Mann“ selbst. „Wir waren in der Sporthose“, berichtet Weber. Auf die Bizeps, die Brustmuskeln und die Beine richtet der Künstler sein Augenmerk. „Wir waren zwei unterschiedliche Gestalten – und ich der wesentlich schlankere Typ“, sagt Weber. Also ist der „Nackte Mann“ die künstlerische Kombilösung aus zwei Karlsruher Modellen.
Nach dem Modellstehen „hat uns Sutor zum Essen eingeladen“, meint Weber. Kenntner schwört, es habe „Kaffee und Kuchen“ bei der Frau des Künstlers gegeben.
Aus dem Sportstudenten Hans Weber wird ein Lehrer auch für Biologie und Geografie. Der Brettener zieht nach Daxlanden. Das Kunstmodell unterrichtet am Markgrafen in Durlach und am Helmholtz in der Weststadt, an Gymnasien in Pforzheim und in Rheinstetten. Seit 20 Jahren lebt der pensionierte Oberstudienrat Weber in Mörsch. Aus diesem Modell Sutors ist ein Künstler in den eigenen vier Wänden geworden. „Ich male und zeichne“, sagt der 84-Jährige – übrigens kubistische Häuserlandschaften und stilisierte Natur – keine nackten Männer.
Der Sportchef
Georg Kenntner ist viel weiter herumgekommen in der Welt, sogar bis zu den nackten Buschmännern der Kalahari und Eingeborenen Neuguineas. Über seine Forschungsergebnisse bei den indigenen Völkern hat der Wissenschaftler einschlägige Werke verfasst. Der Tausendsassa aus Ettlingen ist eben auch Professor für Anthropologie und Völkerkunde in Saarbrücken. Kenntner hat es in Karlsruhe weitgebracht: Von 1976 bis 1997 ist der Modellstudent „Schorsch“ 21 Jahre lang der Chef im Sportinstitut.
Ein Leichtathlet
Kenntner und Weber, Sutors Vorbilder für den „Nackten Mann“, waren keine Fußballer. Der Sportler aus Stein ist eigentlich auch kein Kicker, obwohl er in der Wildpark-Geschichte zur Identifikationsfigur der KSC-Anhänger mutiert ist. „Der ’Nackte Mann’ ist ein Leichtathlet“, stellt Kenntner fest. Diese Vorliebe für die schlanke Form hat nicht nur mit Sutors Stilempfinden in der kargen Nachkriegszeit sowie mit den zwei Modellen zu tun. „Der Wildpark wurde 1955 auch als Leichtathletikstadion mit acht Laufbahnen gebaut“, erklärt Sportwissenschaftler Kenntner.
Die Eröffnung wird so am 17. Juli 1955 mit einem sensationellen Leichtathletikfest gefeiert. Es dampft die Langlaufikone Emil Zatopek, die legendäre Lokomotive aus Prag. War doch die Fächerstadt damals eine absolute Hochburg der Leichtathletik in Deutschland von europäischem Format. Geführt von der Hammerwurflegende Karl Wolf, Kapitän der deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft, wird im Wildpark 1959 ein „Internationales Sportfest“ des Karlsruher Turnvereins (KTV) veranstaltet. Durchaus vergleichbar mit dem heutigen Indoor Meeting in der Messe.
Der Wildpark, der später auch für Stars wie Tina Turner oder Herbert Grönemeyer die Arena für umjubelte Auftritte gibt, war zehn Jahre bis 1965 eine markante Adresse der Leichtathletik: Läufer wie die einheimischen Legenden Heinz Fütterer, Lothar Knörzer und Charly Kaufmann waren die Stars des Wildparks. Sie rannten auch bei Olympischen Spielen in die Medaillenränge.
Statur bewahrt
Nicht nur der „Nackte Mann“ macht weiter eine gute Figur draußen vor dem Stadion, auch Weber hat die alte Statur bewahrt – und Kenntner, der Sportbiologe, hat sogar seine Form auch im Alter gehalten: Das Modell für den Nackten in Stein hält sich mit Steinstoßen fit: Stolz steht dieser siegreiche Rasenkraftsportler von Germania Karlsruhe vor seiner Trophaenwand mit Pokalen und Medaillen in seinem Ettlinger Haus – als sei der Nackte vom Wildpark sein Vorbild.