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Behörde am Limit

Arzt des Karlsruher Gesundheitsamts über Corona-Entwicklung: "Haben 800 Faxe am Tag bekommen"

Zwischen fehlender Schutzausrüstung, notwendigen Tests und jeder Menge Organisation hat sich der Alltag von Ulrich Wagner im Gesundheitsamt wochenlang bewegt. Der stellvertretende Leiter spricht über neue Strukturen, eine mögliche zweite Corona-Welle und ein kleines Dilemma.

Bis zu 800 Verdachtsfälle an einem Tag: Die Mitarbeiter des Gesundheitsamts Karlsruhe kommen in der Flut von Nachfragen und Meldungen rund um das Corona-Virus an ihre Kapazitätsgrenzen.
Bis zu 800 Verdachtsfälle an einem Tag: Die Mitarbeiter des Gesundheitsamts Karlsruhe kommen in der Flut von Nachfragen und Meldungen rund um das Corona-Virus an ihre Kapazitätsgrenzen. Foto: jodo

Zwischen fehlender Schutzausrüstung, notwendigen Tests und jeder Menge Organisation hat sich der Alltag von Ulrich Wagner wochenlang bewegt – und das beinahe rund um die Uhr. Mit sinkenden Infektionszahlen wird auch die Lage im Gesundheitsamt ruhiger. Das ist schließlich zuständig für knapp 750.000 Einwohner aus dem Stadt- und Landkreis Karlsruhe.

In der heißen Phase der Corona-Krise waren bis zu 80 von 115 Mitarbeitern mit Fragen und Entscheidungen rund um das Virus beschäftigt, erinnert sich der stellvertretende Amtsleiter. Wie Wagner die Pandemie einordnet und welche neuen Strukturen es geben wird, erzählt er im Interview.

Fangen wir vorne an. Im März wird der erste Corona-Fall im Landkreis bekannt: Haben Sie damit gerechnet, dass die folgenden Monate so anstrengend werden?

Wagner: Ich hätte sogar mit noch mehr Infektionen gerechnet und damit, dass wir die Pandemie nicht so eindämmen können. 15 oder 20 Prozent Infizierte in der Bevölkerung habe ich schon für möglich gehalten. Letztlich sind wir im Promille-Bereich gelandet. Auch wenn es sicher eine Dunkelziffer gibt. Der Lockdown zum richtigen Zeitpunkt und die Kontaktverfolgung haben dazu viel beigetragen.

Wie ist die Lage denn derzeit?

Wir haben wenig Fälle im Stadt- und Landkreis. Entsprechend entspannt ist die Situation. Zudem haben wir inzwischen eine gewisse Routine entwickelt. Jetzt schauen wir mit sehr wachem Blick auf die sich öffnenden Kindereinrichtungen. Ich bin Befürworter dafür, die Kindergärten und Schulen zu öffnen. Nichtsdestotrotz besteht die Befürchtung, dass sich das auf das Infektionsgeschehen auswirken wird. Alleine aus dem Grund, dass dort zum Teil Hunderte Personen auf engem Raum zusammenkommen.

Befürchten Sie also eine zweite Welle?

Besonders im Herbst sind die Menschen anfälliger für Atemwegserkrankungen. Welche Auswirkungen die Lockerungen tatsächlich haben, kann man nur abwarten. Dahingehend haben wir noch keine Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen können. Wenn es so kommt, wird das Ziel sein, möglichst intensiv aber mit lokalen Maßnahmen entgegenzuwirken.

Von Haus aus ist Ulrich Wagner Mediziner. Ihm unterliegt nicht nur die Abteilung Gesundheitsschutz, er ist zudem stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts Karlsruhe. Dort arbeitet er seit über 20 Jahren.
Von Haus aus ist Ulrich Wagner Mediziner. Ihm unterliegt nicht nur die Abteilung Gesundheitsschutz, er ist zudem stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts Karlsruhe. Dort arbeitet er seit über 20 Jahren. Foto: Keller

Wie schnell und an welcher Stelle sind Sie beim Ausbruch im Frühjahr an Grenzen gestoßen?

Viele Fragen konzentrierten sich zu Beginn auf uns. Unsicherheiten, fehlende Schutzausrüstung, Corona-Tests – das Gesundheitsamt wurde zum Organisator. Ich habe uns untergehen sehen in all den Fällen. Letztlich haben wir die Situation aber bewältigt – mit Schichten von sieben bis 21 Uhr und am Wochenende.

Wir haben einmal 800 Faxe an einem Tag bekommen.

Was war Ihrer Meinung nach der größte Kraftakt?

Den größten Teil haben Verdachtsfälle eingenommen. Kurz nach den Skiferien kamen massenhaft Menschen aus Risikogebieten zurück. Die Ärzte-Kollegen haben sie als Verdachtsfälle gemeldet, was formal korrekt war. Wir haben einmal 800 Faxe an einem Tag bekommen. Am Schwierigsten war es, mit dieser Flut umzugehen. Das haben wir zum Teil einfach nicht geschafft.

Welche Folgen hatte das?

Wir haben die Fälle gesichtet und nur für die besonders dringenden Tests organisiert. Die Mehrzahl fiel erst einmal durch, da die Kapazitäten nicht ausgereicht haben. Die Anzahl an Menschen, mit denen wir in Kontakt treten mussten, hat uns überfordert. Wir haben letztlich darauf gesetzt, dass der Patient bei seinem Arzt in Betreuung ist.

Waren die Aufgaben in Zusammenhang mit der Pandemie neu?

Einer der wesentlichen Bauteile des Gesundheitsschutzes sind meldepflichtige, ansteckende Erkrankungen. Insofern beschäftigen wir uns schon immer mit Erregern wie Sars-CoV-2. Zum Beispiel gab es vergangenes Jahr einen Tuberkulose-Ausbruch in Bad Schönborn. Auch dieses Ereignis hat massiv Kräfte gebunden, hatte einen ähnlichen Charakter, nur eben nicht den globalen Effekt. Das Grundmanagement, wie man so eine Situation kontrolliert und mögliche Infektionsketten ausfindig macht, ist im Infektionsschutz das Kerngeschäft.

Gab es weitere Ereignisse, die das Gesundheitsamt so forderten?

Die Flüchtlingswelle 2015 hatte eine ähnliche Dimension. Wir brauchten Unterstützung von anderen Abteilungen. In Spitzenzeiten untersuchten wir bis zu 200 Geflüchtete pro Tag – normalerweise sind es um die 70 in einer Woche. Diese Phase habe ich als sehr belastend in Erinnerung.

Damit wir auf die Situation reagieren konnten, haben andere Abteilungen im Gesundheitsamt ihren Betrieb eingestellt.

Was unterscheidet Corona von anderen Vorfällen?

Das Schwierige beim Corona-Virus war, dass wir den Erreger erst im Verlauf der Pandemie kennenlernten. Damit wir auf die Situation reagieren konnten, haben andere Abteilungen im Gesundheitsamt ihren Betrieb eingestellt. Die Mehrzahl der Mitarbeiter unterstützte den Gesundheitsschutz. Vieles ist so aber brachgelegen oder auf ein Mindestmaß reduziert worden, etwa die Gesundheitsförderung oder Hygiene- und Trinkwasserüberwachungen.

Welche Aufgaben verfolgt das Gesundheitsamt noch?

Wir erstellen zahlreiche Gutachten, etwa wenn jemand aus medzinsichen Gründen vorzeitig in Ruhestand geht oder zu Betreuungsfragen. Beamtenrechtlich sind wir Gutachtenstelle für den Regierungsbezirk Karlsruhe. Dazu kommen unter anderem ärztliche Stellungnahmen für Schwerbehinderte oder Unfallopfer. Weiter liegt bei uns der Kinder- und Jugendärztliche Bereich, der sich auch um die Einschuluntersuchungen kümmert. Wir sind dabei, das alles wieder hochzufahren.

Es bleibt aber nicht alles beim Alten, richtig?

Wir haben ein neues Sachgebiet Covid-19 eingerichtet. Wir sind von Seiten der Politik dazu aufgefordert, bei einem Aufflammen der Infektionen alle Kontaktpersonen wie im Frühjahr zu verfolgen und zu kontaktieren. Dafür braucht man Personal – ungefähr 35 Personen sind bei uns dafür vorgesehen. Wir greifen auf unser Kernteam, Mitarbeiter aus dem Haus aber auch Neueinstellungen zurück. Das Ganze ist vorerst begrenzt auf ein Jahr. Sollten die Fälle deutlich zunehmen, würde uns kurzfristig auch Personal aus dem Landratsamt und der Stadtverwaltung unterstützen.

Derzeit sind die Infektionszahlen niedrig. Die 35 Stellen werden nach und nach besetzt. Hätten die Mitarbeiter, wenn die Situation so bleibt, überhaupt genug zu tun?

Darin liegt die Schwierigkeit. Ja, die Lage ist derzeit ruhig. Grundsätzlich sollen wir uns aber so aufstellen, dass wir im Ernstfall sofort handlungsfähig sind. Aktuell wären die 35 Personen nicht ausgelastet. Die Mitarbeiter können aber auch nicht einfach etwas anderes machen. Unsere Aufgaben im Regelbetrieb sind sehr spezifisch. Wir setzen das Personal, das schon da ist, für Präventionsarbeit etwa in Heimen ein. Zudem gibt es trotz geringer Infektionszahlen weiter Verdachtsfälle. Aber eine richtige Lösung für das Dilemma haben wir noch nicht.

In den vergangenen Wochen erreichte Sie viel Wertschätzung ...

Ich erinnere mich an die Flüchtlingswelle und daran, dass wir damals auch viel Aufmerksamkeit bekommen haben. Ein halbes Jahr später ist das oft vergessen. Mir ist zudem bewusst, dass positive Wahrnehmung schnell ins Negative kippen kann. Schließlich gingen wir hinsichtlich des Coronavirus eine zeitlang davon aus, die Situation eben nicht stemmen zu können. Den Kollegen hat die Wertschätzung aber sicher gut getan.

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