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„Quälende Unsicherheit”

Pforzheimer Gesundheitsamt bereitet sich auf mögliche zweite Welle vor

Die Coronaviren sind zurückgedrängt in der Region, aber nicht weg. Im Pforzheimer Gesundheitsamt bereitet sich die Chefin Brigitte Joggerst deshalb auf eine mögliche zweite Welle vor. Hauptziel ist, jegliche neue Infektionsketten sofort einzukreisen.

Brigitte Joggert, Chefin des Gesundheitsamts, sitzt an ihrem Schreibtisch.
Die Arbeit geht nicht aus: Brigitte Joggerst, Chefin des für Pforzheim zuständigen Gesundheitsamts, stellt sich auf hohe Inzidenzwerte ein. Foto: Herbert Ehmann

Angst? Nein. Brigitte Joggerst, die Leiterin des Gesundheitsamts Pforzheim-Enzkreis beschreibt mit dem Wort Respekt, wie sie einer womöglich zweiten Corona-Welle entgegenblickt. Sie trägt die Hauptlast in der Region. Die Hauptlast beim Umgang mit der seit fast vier Monaten grassierenden Pandemie. Auch jetzt, beim Großausbruch in der Fleischfabrik am Stammsitz von Tönnies, ist ihr Rat gefragt bei den Kollegen, die all das entscheiden müssen, was auch bei Müller-Fleisch eine Rolle spielte . Daneben quält sie aber am meisten „die Unsicherheit, was sich wie entwickelt“.

Das Gefühl ist auch eine Folge der guten Tat. Das „German Wonder“, das die medizinische Welt in den USA bestaune, wie ihr eine Freundin berichte, hat jetzt in der Bevölkerung einen sehr entspannten Umgang mit dem Virus zur Folge. „Wenn irgendwo Leute infiziert sind, die nicht krank werden, bekommt man das oft nicht mit“, sagt Joggerst. Hier liege ein Risiko. Hinzu komme die „enorme zeitliche Verzögerung“. Es könne bis zu fünf Wochen dauern, bis Infektionen zu Tage treten, sagt die Ärztin.

Bei einer neuen Infektionskette werde ich schnell und heftig reagieren
Brigitte Joggerst, Leiterin des Gesundheitsamts Pforzheim-Enzkreis

Dennoch, die Lage ist gut dieser Tage, auch für sie: „Wenn man Risikopersonen besuchen möchte, dann ist jetzt ein guter Zeitpunkt.“ Spannend sei mit Blick auf eine mögliche neue große Infektionskette, wie sich die wieder erwachte Reisefreude auswirken werde. Joggerst erinnert hier auch an den ersten Schub von Coronaviren in Baden-Württemberg. Skifahrer – bekanntlich vor allem aus österreichischen Wintersportgebieten – spielten dabei eine Hauptrolle.

Singen bleibt riskant

„Es gibt einfach Dinge, die riskant sind“, sagt Joggerst zur Frage, ob sie selbst eine Familienfeier ausrichten würde in diesen Tagen. Gemeinsam laut Singen zum Beispiel. Auch wie lange gefeiert wird, spiele eine Rolle. „Je ausgelassener, desto höher ist der Kontrollverlust“, warnt sie. Auch eine Cousine aus dem Ausland würde sie nicht einladen.

Wodurch er auch immer zustande kommt, wäre sie in der Region mit einem erneuten großen Ausbruch einer Corona-Infektionskette konfrontiert – in einer Klinik oder in einem Altenheim zum Beispiel – würde sie „schnell und heftig reagieren“. Das ist für Joggerst die wichtigste Erkenntnis aus dem vergangenen Vierteljahr. Sie setze darauf, großzügig zu agieren, wenn es darum geht, Leute in Quarantäne zu schicken, und rasch zu testen. „Hauptziel ist, eine neue Corona-Infektionskette zu verhindern .“

Gesundheitsamt hat Abläufe verbessert

Es gelte, Infekte so gering wie möglich zu halten und so gut vorbereitet zu sein, dass rasch reagiert werden kann, wenn es wieder hochgeht. Das sei der Deal zur schrittweise Ausweitung der Freizügigkeit. Joggerst sieht sich und ihr Team gut gerüstet für einen erneuten Ausbruch. „Wir sind von den Abläufen besser aufgestellt“, beschreibt sie. Wesentlichen Anteil daran habe auch, dass es jetzt eine EDV-Lösung für den Umgang mit Infektionsfällen gibt. Auch Personal, Testsets und Schutzmaterialien gebe es ausreichend.

Der Umgang mit Müller-Fleisch ist erstaunlich gut gegangen
Brigitte Joggerst, Leiterin des Gesundheitsamts Pforzheim-Enzkreis

Als einen Fehler beurteilt die Gesundheitsamtschefin im Rückblick, dass anfangs Leute abgelehnt worden seien, die hätten getestet werden müssen. Hier würde sie jetzt großzügiger agieren. Zufrieden zeigt sie sich mit der Reaktion auf den größten Infektionsherd der Region, der Müller-Fleisch bundesweit in die Schlagzeilen brachte. „Das ist erstaunlich gut gegangen.“ Ob bei der Infektionskette die mittlerweile sattsam bekannten vier Grad in den Produktionsräumen eine Rolle spielen, frage sie sich auch.

Sie nimmt mit, dass „die Fleischindustrie eine besonders gefährdete Branche ist“. Auf das Warum, gebe es aber noch keine Antwort. Anders ist das bei Fragen zum Coronavirus selbst. Das Wissen habe zugenommen. So sei jetzt klar, dass Schmierinfektionen geringere Bedeutung haben, gemeinsames Singen in geschlossen Räumen aber mehr und dass eine Eintrübung von Geschmacks- und Geruchssinn typisch ist. Aber der Erreger „ist nicht harmloser geworden“. Joggerst verweist als Beleg auf weltweit beeindruckende Ausbrüche und Todeszahlen.

Hintergrund

Mit der Corona-Gefahr kam eine Behörde ins Zentrum der Aufmerksamkeit, mit der bis dato nur wenige Menschen etwas anzufangen wussten: das Gesundheitsamt. Es ist zuständig, wenn ein Amtsarzt gebraucht wird, überwacht hygienische Vorschriften in Betrieben, Heimen und Schulen, macht Schuleingangsuntersuchungen und sorgt eben dafür, dass das Infektionsschutzgesetz nicht nur auf dem Papier steht.

Letzteres zeigte sich bislang vor allem in Zusammenhang mit Aids einer breiteren Öffentlichkeit. Auch Impfungen zählen zu diesen Bereich. Außerdem gehören neben einigem mehr auch Präventionsaufgaben in allen Aspekten bis hin zur Zahngesundheit zu den Aufgaben.

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