Skip to main content

Quarantäne-Bedingungen

Coronavirus bei Müller-Fleisch: Infizierte ziehen ins Pforzheimer Hohenwart Forum ein

Die Corona-Infizierten von Müller-Fleisch in Birkenfeld sollen in zentralen Einrichtungen behandelt werden. Eine davon wird in Pforzheim das Hohenwart-Forum sein. Der Enzkreis kündigt weitere Verschärfungen der Quarantäne-Bedingungen an.

None
Gespräch mit Abstand: Der Enzkreis mit Landrat Bastian Rosenau an der Spitze (Mitte hinten) erläutert erstmals bei einer Pressekonferenz die Corona-Infektions-Lage bei Müller-Fleisch. Foto: Kopf

Mit neuen Facetten im „geschlossenen System“ Müller-Fleisch beim Umgang mit Corona-Infektionen wartet der Enzkreis auf. Ergänzend zur Allgemeinverfügung, die das die Firma mit allen Mitarbeitern unter Quarantäne stellt, soll jetzt unter anderem Fieber gemessen werden an den Eingängen zum Betrieb in Birkenfeld. Außerdem werden alle Personen in Wohnungen erfasst, müssen Ausweise dabeihaben und dürfen nur mit einem Minimum von 1,50 Meter Abstand arbeiten oder in Kleinbussen transportiert werden.

Weiter kündigt Landrat Bastian Rosenau eine zentralisierte Betreuung der mit Coronaviren infizierten Männer und Frauen an. Es werde mit Reha-Kliniken im Landkreis Calw gesprochen, außerdem kündigt die Stadt Pforzheim an, 120 Infizierte im Hohenwart-Forum unterzubringen. Dies erfahren Journalisten bei einem kurzfristig einberaumten Pressetermin erstmals im direkten Gespräch.

Dazu ist laut Landrat auch Müller-Fleisch eingeladen gewesen. Gekommen sind indes nur die Bürgermeister der zumeist betroffenen Enzkreis-Gemeinden Birkenfeld, Engelsbrand und Neuenbürg, die stets „tagesaktuell informiert“ werden über die Zahl der Infizierten. Müller-Fleisch schickte unterdessen eine Pressemitteilung.

Es geht bei den Maßnahmen nicht um die Größe, die Steuerkraft und die Systemrelevanz von Müller-Fleisch
Bastian Rosenau, Enzkreis-Landrat

„Mit der Gesundheit der Menschen macht man keine Politik“, stellt Rosenau der Erörterung voran und wehrt sich damit gegen unzählige Verdächtigungen, bei Müller-Fleisch werde eine Ausnahme gemacht. Der Enzkreis agiere nach Empfehlungen des Kompetenzzentrums Gesundheitsschutz im Landesgesundheitsamt. Die Größe des Unternehmens, dessen Steuerkraft oder Systemrelevanz seien hier nicht leitend.

Geschlossenes System statt unkontrollierbare Einzelquarantäne

Die Kontrollmöglichkeiten der Behörden bei rund 1.100 Mitarbeiter indes schon. Würden diese alle in häusliche Quarantäne geschickt, brächte es diesbezüglich eine Herkulesaufgabe mit sich, erläutert Rosenau.

Außerdem sei wahrscheinlich, dass sich Betroffene aus existenziellen Gründen wegorientierten. „Das bringt die Gefahr neuer unerkannter und nicht steuerbarer Infektionsherde mit sich.“

Der erste Erkrankte hat sich am 7. April gemeldet

Besser den Laden zusammenhalten und den vielen Leiharbeitern das Einkommen sichern statt unüberschaubarer Verhältnisse, lässt sich die Devise des Enzkreises beim Umgang mit Müller-Fleisch auf den Punkt bringen. Hinzu kommt der enorme Aufwand, 1.000 Mitarbeiter zu testen.

Seit dem ersten Fall – ein Mann, der sich „am 7. April an die Polizei gewandt hat, weil es ihm schlecht ging“ – wurden zunächst zwölf Mitbewohner des Betroffenen getestet und dann die ganze Schicht, beschreibt die Chefin des Gesundheitsamts, Brigitte Joggerst, die Entwicklung. Nachdem 80 von 240 Leute als infiziert galten, sei der Betrieb am 16. April unter Quarantäne gestellt worden.

None
Die Leiterin des Gesundheitsamt, Brigitte Joggerst, erläuterte bei der Pressekonferenz des Enzkreises die medizinische Seite der Corona-Infektionen bei Müller-Fleisch. Foto: None

„Es ist von weiteren Fällen auszugehen“, erläutert Joggerst mit Blick auf 230 Infizierte, von denen etwa fünf in Kliniken liegen, einer auf Intensiv. Es seien noch nicht alle Tests ausgewertet. Außerdem lebten in den hinsichtlich einer Ansteckung besonders heiklen Gemeinschaftsunterkünften auch „Beschäftigte aus dem Baugewerbe, der Gastronomie und von Amazon“.

Es gibt Betroffene bei anderen Firmen
Brigitte Joggerst, Leiterin des Enzkreis-Gesundheitsamts

Es gibt Betroffene von anderen Firmen, räumt Joggerst ein. Von weiteren Infektionsketten sei aber nichts bekannt, ergänzt Rosenau und versichert, das Landratsamt werde alles daransetzen, dies zu verhindern. „Wir brauchen kein zweites Müller-Fleisch.“

Klage über mangelnde Kontrollkompetenz bei Kommunen

Dienst vor Ort ist für fünf Enzkreis-Mitarbeiter angesagt, um diese Aufgabe in den Griff zu bekommen. Es gebe eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Wochenanfang, wird von dort gemeldet. Dass die Lage „in den ersten Tagen von Ahnungslosigkeit, Unverständnis“ und Missachtung der Anordnungen geprägt waren, macht Birkenfelds Bürgermeister Martin Steiner deutlich. Dass für infizierte Menschen eine zentrale Quarantäne-Einrichtung gesucht wird, nennt er ein klares Signal das bedeute: „Wir schützen Euch“. Sein Kollege Horst Martin aus Neuenbürg beklagt, Kommunen hätten keinerlei Kompetenzen bei der Überwachung.

Kein Zwangsgeld angedroht

„Von unheimlich dynamischen Objekten“ spricht Rosenau als es darum, warum es so schwierig war, die Wohnorte der Mitarbeiter von Müller-Fleisch ausfindig zu machen. Es habe große Kapazitäten gebraucht, die Listen zusammen zu bekommen. Dass dafür Zwangsgeld habe angedroht werden müssen, gelte für den Enzkreis allerdings nicht.

„Härte” bei der Durchsetzung der Vorschriften

„Die grundsätzliche Erreichbarkeit ist jetzt gegeben“ und etwa zwei Drittel der Personen seien inzwischen auch persönlich erreicht worden, legt Joggerst dar. Sie bezieht sich dabei nicht auf die Testung an sich, sondern auf den weiteren Umgang mit den von der Quarantäne Betroffenen. Zu in der Öffentlichkeit vielfach beklagten Übertretungen von Vorschriften versichert Rosenau, „wir gehen jedem Fall nach und reagieren auch mit voller Härte“.

Kommentar: Nährboden

(eko) „Was draußen geredet wird und was wirklich ist, kann sich sehr unterscheiden.” Da ist der Leiterin des Gesundheitsamts nicht zu widersprechen. Aber was draußen geredet wird, hat viel damit zu tun, was andere nicht reden. Insofern hat der Enzkreis gut daran getan, jetzt endlich der Erörterung von Kritik und Ängsten Raum zu geben, die in Zusammenhang mit Corona und Müller-Fleisch ergeben. Das Misstrauen, es könnte eine Art Lex Müller-Fleisch geben, hatte viel Zeit, sich zu verfestigen. Die Nachricht von der Infektionskette, war schon durchgesickert, bevor die Behörde reagierte, Betrieb und Mitarbeiter unter Quarantäne stellte. Es hatte einen guten Nährboden. Das Großunternehmen ist wegen der vielen Leiharbeiter, und wie sie untergebracht sind, seit Jahren in der Kritik. Das muss nicht heißen, dass alles stimmt, was man sich so erzählt über Wohnverhältnisse und Löhne. Es wirft aber ein Licht darauf, wie der Umgang damit ist. Die Verantwortlichen von Müller-Fleisch hätten gut daran getan, selbst Rede und Antwort zu stehen. Das hätte auch dem Landrat den Rücken gestärkt, dessen Team Enormes leistet, um die Gesundheit zu stärken die der Müller-Mitarbeiter und die aller Anderen im Umfeld des Betriebs.



nach oben Zurück zum Seitenanfang