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Zwischen Coronavirus und Kohl

Wochenmarkt auf dem Pforzheimer Turnplatz bietet ein Stück Normalität

Zwischen Kohlkopf und Mundschutz geht auf dem Pforzheimer Turnplatz ein halbwegs normales Marktgeschehen über die Bühne – trotz Coronavirus. Kunden halten Abstand zueinander, und die Händler haben zum eigenen Schutz eine Plastikwand vor sich aufgebaut. Viele Obst- und Gemüsesorten sind derzeit teurer.

Reges Treiben herrscht am Samstag auf dem Wochenmarkt in Pforzheim.
Reges Treiben herrscht am Samstag auf dem Wochenmarkt in Pforzheim. Foto: Ehmann

Auf dem Weg zum Obst- und Gemüsestand gehen Menschen umständlich große Bögen, um einander nicht zu nahe zu kommen. Viele tragen Mundschutz. Es ist frühlingshaft warm, die Sonne scheint, und auf dem Turnplatz in Pforzheim pulsiert das Leben. Aber das gesamte Markttreiben wirkt, als hätte jemand einen Gang zurückgeschaltet – wegen des Coronavirus.

Ulrich Kalmbach und Tochter Naomi scheinen dennoch guter Dinge zu sein an diesem schönen Samstagmorgen und mit der Situation, in die Corona die ganze Welt gezwängt hat, klarzukommen. „Aber entspannt ist das mit Sicherheit nicht“, sagt der Vater.

Die Kalmbachs haben sich auf dem Wochenmarkt mit Lauch, Pilzen, Karotten und Eissalat eingedeckt. Seine Frau sei der Ansicht gewesen, die 15-jährige Tochter solle lieber zuhause bleiben, erzählt Kalmbach. „Aber ich hab gesagt: Komm’ mit. Das ist ein Stück Normalität.“

Abstandhalten wird wegen Coronavirus zur Normalität

Zu einer neuen Normalität wird allmählich das Abstandsgebot. Ulrich und Naomi Kalmbach stellen fest, dass viele Menschen „erstaunlich diszipliniert“ seien – in Supermärkten noch mehr als hier auf dem Turnplatz.

Das sei auch eine Frage des Alters, glaubt Ulrich Kalmbach: „Je älter, desto egaler.“

Geduldig und mit großem Abstand zueinander wartet eine Menschenschlange vor einem Backwarenstand. Andere wirken angespannt, während sie an den Ständen vorbei steuern.

Jetzt lassen die Kunden ihre Finger von den Waren

„Bei manchen ist der Schuss vor den Bug noch nicht angekommen“, meint der Heidelsheimer Holger Weis. Zusammen mit Frau und Söhnen betreibt er einen Obst- und Gemüsestand. „Anfangs mussten wir schreien, damit Kunden den Mindestabstand einhalten.“ Jetzt ist Weis froh, dass sie „die Finger von den Waren lassen“. Weis vermisst derzeit seine Kundschaft zwischen 70 und 90 Jahren. Aus Angst vor Corona blieben sie zuhause und schickten die Kinder zum Einkaufen.

Erntehelfer fehlen wegen Covid-19

Weis nimmt einen Selleriekopf in die Hand: 2,50 Euro. Letzte Woche kostete er 1,80. Vieles sei 20 bis 25 Prozent teurer geworden. Im Großmarkt bekomme man nicht mehr alles. „Und wenn jetzt Spargel- und Erdbeerzeit ist...es gibt keine Erntehelfer.“ Weis erzählt von seiner Tante, die in Kraichtal Erdbeerfelder hat. Demnächst dürfte sich die Preissteigerung noch deutlicher im Geldbeutel niederschlagen, glaubt er.

Obst und Gemüse sollen teurer sein? Davon hat ein Pforzheimer, der einen vollgeladenen Böllerwagen über den Turnplatz schiebt, nichts bemerkt. Und wenn, „ich kaufe die Sachen so oder so, immer am selben Stand“.

Auch der langjährige Stadtrat Hans-Joachim Bruch glaubt nicht an eine Teuerung. Eher sei manches billiger, weil zuviel bestellt worden sei und die geschlossenen Restaurants nichts abnehmen können. Auch in Coronazeiten will Bruch auf seinen traditionellen Marktbesuch nicht verzichten. „Ich habe ein großes Bedürfnis nach frischen Sachen.“ Das haben auch Jürgen Hörstmann und seine Frau Angela Cuevas, die regelmäßig samstags auf dem Turnplatz einkaufen.

Weil viele Leute jetzt daheim sind, kochen sie mehr. Und wenn sie kochen, wollen sie am liebsten frische, gesunde Sachen.
Jörg Müller, Sprecher der Marktbeschicker Turnplatz

Neben Stammkunden registriert Jörg Müller, Sprecher der Marktbeschicker Turnplatz, seit der Corona-Krise viele neue Gesichter: Er deutet auf einen Mann in Camouflage-Hosen, der seinen riesigen Rucksack voll gepackt hat.

Müller findet plausible Gründe dafür, dass sein Umsatz momentan zwar nicht aufs Doppelte steige, aber doch kräftig. „Weil viele Leute jetzt daheim sind, kochen sie mehr. Und wenn sie kochen, wollen sie am liebsten frische, gesunde Sachen. Die Nachfrage steigt.“

Müller bietet neuerdings frisch gepressten Orangensaft an, der reißenden Absatz findet bei der nach Vitaminen lechzenden Kundschaft. „Viele Kunden entdecken den Markt wieder, oder neu.“

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Mit Mundschutz bedient Holger Weis seine Kunden. Die meisten haben inzwischen begriffen, dass sie Abstand halten müssen. Foto: Ehmann

Anonyme Beschwerden fordern Schließung des Markts

Dass es teurer geworden ist, steht für Müller außer Frage: „Es kommt keine Ware mehr, wenn die Grenzen zu sind.“ Neben Corona beschäftigen ihn und andere Händler Beschwerden, die anonym bei der Stadtverwaltung eingingen und in denen die Schließung des Markts gefordert wird. Der Mindestabstand werde nicht eingehalten, sei etwa behauptet worden.

Müller hat in einem Schreiben an die Stadt dargelegt, dass Einweghandschuhe getragen würden, Schilder zum Abstandhalten aufgestellt und Spuckschutz errichtet worden seien. Marktbesucher sehen die Aussagen bestätigt: „Der Abstand funktioniert hervorragend“, sagt CDU-Bundestagsabgeordneter Gunther Krichbaum. Seine Frau Oana genießt ganz einfach das schnell schwindende Gefühl, „dass das Leben in Ordnung ist, wenn man hier in der Sonne auf dem Marktplatz steht“.

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