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Frühere Schüler äußern sich

Erzbischöfliches Studienheim Rastatt: Gab es das "System der Angst" wirklich?

Ein heute 67-jähriger ehemaliger Schüler des erzbischöflichen Studienheims Rastatt hat den BNN von seiner Zeit im Internat und dem System aus Angst berichtet, das dort herrschte. Nun haben sich noch mehr Schüler des Studienheims gemeldet, um von ihren Erlebnissen zu erzählen. Nicht alle haben Negatives zu berichten.

Im Wandel der Zeit: So hat das erzbischöfliche Studienheim in Rastatt früher ausgesehen. Schüler aus der Region wohnten darin und absolvierten am Ludwig-Wilhelm-Gymnasium ihr Abitur. Nach An- und Umbauten dient das Gebäude heute nicht mehr als Internat, sondern als „Bildungshaus St. Bernhard“ für Tagungen und Freizeiten.
Im Wandel der Zeit: So hat das erzbischöfliche Studienheim in Rastatt früher ausgesehen. Schüler aus der Region wohnten darin und absolvierten am Ludwig-Wilhelm-Gymnasium ihr Abitur. Nach An- und Umbauten dient das Gebäude heute nicht mehr als Internat, sondern als „Bildungshaus St. Bernhard“ für Tagungen und Freizeiten. Foto: pr

Ein heute 67-jähriger ehemaliger Schüler des erzbischöflichen Studienheims Rastatt hat den BNN von seiner Zeit im Internat und dem System aus Angst berichtet, das dort herrschte. Die Schilderungen des früheren Schülers haben viele Menschen aufgewühlt. Nun haben sich noch mehr Schüler des Studienheims gemeldet, um von ihren Erlebnissen zu erzählen. Nicht alle berichten Negatives.

„Natürlich waren wir Kinder und haben Blödsinn gemacht“, sagt Josef Bieringer. Die Leitung habe die Schüler im Alter von zehn bis 19 Jahren auch erziehen müssen. „Es war eine schöne Zeit, aber es war hart.“ Je älter die Schüler wurden, desto mehr Freiheiten habe man erhalten. „Wir hatten ein dermaßen gutes Verhältnis“, berichtet Bieringer. Eine Ohrfeige habe er nie bekommen. Dass es Vorfälle gab, wie sie der frühere Schüler zuletzt beschrieb, könne er sich nicht vorstellen. In einem Leserbrief schreibt ein früherer Rektor eines anderen Studienheims gar von einer „Pseudoerinnerung“.

Jedoch gibt es durchaus ehemalige Schüler, die Ähnliches erleben mussten. Joseph Weisbrod war vier Jahre lang in dem Studienheim. Er nennt es im Nachhinein ein „System der Überwachung, Einschüchterung und Vereinnahmung“. Ältere Schüler hätten als „Zensoren“ die jüngeren in Studier- und Schlafsälen sowie in der Freizeit kontrolliert. „Ich habe mehr als einmal schmerzhafte Schläge mit einem Pantoffel auf die dünne Pyjamahose erdulden müssen.“

Wasserentzug als Strafe

Mit Schokolade hätte er sich freikaufen können. Beim Fußballspiel habe er einer Ordensfrau versehentlich die Haube vom Kopf geschossen. Bald darauf sah Weisbrod sie wieder, als er mit Angina und hohem Fieber auf die Krankenstation kam. „Sie strafte mich erbarmungslos vor allem mit Wasserentzug.“

Noch heute, St. Bernhard ist mittlerweile ein Bildungshaus für Tagungen und Freizeiten, gibt die Einrichtung des Erzbistums soziale Verantwortung und Gerechtigkeit als Leitbild aus. „Mit dem Leitbild hatte es damals wenig zu tun“, sagt Weisbrod. Und doch sagt er: „Bei mir überwiegen nicht die negativen, sondern die positiven Erfahrungen.“ Er habe sich behaupten müssen und viel Freude beim Sport, Theater oder im Knabenchor gehabt.

Die Schüler kamen damals aus umliegenden Dörfern nach Rastatt. Über 400 spätere Priester gingen laut der Einrichtung daraus hervor. Am Ludwig-Wilhelm-Gymnasium konnten sie ihr Abitur machen. Dort trafen sie auch auf Mitschüler, die nicht im Studienheim wohnten. Ein früherer Klassenkamerad berichtet, die Schüler aus dem Studienheim seien „eine verschworene Gruppe“ gewesen, „die dicht macht“. Im Spaß habe er ihnen mal gesagt, sie seien im Gefängnis. „Das war nur ein Witz, aber da war Inhalt dahinter.“ Drei Schüler seien aus dem Studienheim geflogen, weil sie sich mit Mädchen anfreundeten. „Sie liefen an ziemlich kurzer Leine, ein konservativer Laden.“

Manche schwärmen von ihrer Zeit am Studienheim

Bei Klassentreffen gebe es immer mal wieder Andeutungen. „Die Älteren haben die Jüngeren bespitzelt und Meldung nach oben machen müssen.“ Ein früherer Internatsschüler habe ihm Vorfälle nach der jüngsten Berichterstattung in den BNN bestätigt. Zwar seien demnach die meisten Schüler „schadlos“ durchgekommen, einige hätten aber „Torturen inklusive zweifelhafter Übergriffe“ über sich ergehen lassen müssen. Dauerhaften Schaden hätten nur einzelne genommen und für die meisten sei es auch die einzige Chance gewesen, Abitur zu machen.

Auch der ehemalige Schüler im ersten Bericht unserer Zeitung erklärte, kein Einzelfall zu sein. So sehe ein früherer Mitschüler heute noch ein verletztes Kind in sich. Ein anderer sei beim Versuch, ein Klassentreffen zu organisieren, auf ungute Erinnerungen gestoßen: „Er ist oft vom Hof gejagt worden. Viele haben gesagt: Komm mir ja nicht damit.“

Doch es gibt auch mehrere ehemalige Schüler, die von ihrer Zeit im Studienheim St. Bernhard schwärmen. Bei einem Klassentreffen in der Einrichtung habe es sich angefühlt, nach Hause zu kommen, sagt Michael Ohlhäuser. „Wir waren eine Jungsgemeinschaft, eine herrliche Zeit“, sagt er. Schläge von Erzieherinnen habe er nie bekommen oder beobachtet – von gleichaltrigen und älteren Schülern hingegen schon. „Aber solche Sachen gibt es bei Heranwachsenden.“

Schläge mit Humor genommen

Auch in den Werkraum sei er von älteren Schülern zitiert worden. Wie man damit umgeht, sei Empfindungssache. Leider sei er dann aus der Einrichtung geflogen, berichtet Ohlhäuser weiter. Trotz dreimaliger Ermahnung suchte er weiter Kontakt zu einem Mädchen aus der Nachbarklasse.

Von einer positiven Zeit in der Einrichtung berichtet auch Ernst Simon – und von kreativen Beschäftigungsmöglichkeiten. „Schwimmbad, Basteln, Tischtennis, Billard; ich habe Klavier- und Orgelspielen gelernt“, zählt Simon auf. Schläge der Zensoren mit dem Hausschuh auf den Hintern habe es gegeben, wenn jemand störte. Aber: „Das wurde in unserer Gruppe mit Humor genommen.“

Das Erzbistum Freiburg hat positive Schilderungen früherer Schüler erhalten, wie Sprecher Michael Hertl sagt. „Wenn Unrecht passiert ist, muss man das anerkennen. Wir bestreiten nicht, dass Menschen etwas Negatives erlebt haben.“ Belege für ein System gebe es nicht ausreichend. „Eine groß angelegte Untersuchung wäre deswegen zu viel.“

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