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Herz statt "S-k-i-n-h-e-a-d"

Ex-Nazi will Tattoos los werden - ein Experte aus Karlsruhe hilft

Ein Aussteiger aus der Nazi-Szene würde sich gerne von seinen Tattoos befreien. Längst wirbt er für Verständnis in der Gesellschaft. Doch um „S-k-i-n-h-e-a-d“ und ein Hakenkreuz entfernen zu lassen, fehlt ihm das Geld. Ein Tattoo-Entferner aus Karlsruhe hilft ihm.

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Laser und 70 Grad: Drei bis vier Sitzungen wird es dauern, ehe „S-k-i-n-h-e-a-d“ von den Fingern Lennart Wagners verschwunden ist. Der Aussteiger aus der Nazi-Szene freut sich, seine Vergangenheit bald auch optisch hinter sich lassen zu können. Foto: Raviol

Das Hakenkreuz-Tattoo auf seinem Oberarm hat ihm ein Kamerad kostenlos gestochen, für „S-k-i-n-h-e-a-d“ auf seinen Fingern zahlte er mit fünf Kippen. Lennart Wagner (Name geändert) ist vor Jahren aus der Nazi-Szene ausgestiegen, doch die Erinnerung bleibt ihm bis heute erhalten.

Die Tattoos wolle er entfernen lassen, sobald er das Geld dafür habe, sagte Wagner. In der Corona-Krise wurde er arbeitslos. Darauf meldete sich Tobias Klein, der in Karlsruhe professionell Tattoos entfernt.

Ein Skinhead holte ihn von der Straße

Ein Treffen. Klein und Wagner sitzen im Innenhof des Tattoo-Studios, weiße Plastikstühle, eine Zigarette. „Ich will dich nicht ausquetschen“, sagt Klein. „Aber ein paar ehrliche Sätze, dass du es bereust.“

Ich war froh über alle, die mir das Gefühl gaben: Du bist nicht allein.
Lennart Wagner, ehemaliger Nazi

Wagner war als junger Erwachsener von daheim ausgezogen, um die Freiheit zu erleben. Er bekam ein Leben auf der Straße und eine Drogenabhängigkeit. Bernd, ein Skinhead, holte ihn von der Straße. „Ich war froh über alle, die mir das Gefühl gaben: Du bist nicht allein“, erzählt Wagner.

Nach seinem Outing als Homosexueller hatte er Freunde verloren. Und so stand Wagner irgendwann Seite an Seite mit Nazis auf Rechtsrockkonzerten, sang gegen Ausländer und Schwule an.

Viele Menschen wollen ihre Tattoos los werden

Bei Sozialstunden in einer Moschee lernte Wagner, Vorurteile abzulegen und jeden Menschen einzeln zu bewerten, wie er sagt. Er ist Atheist und findet am Islam durchaus Kritisches – doch in der Moschee konnte er die Muslime akzeptieren und sie ihn. Dafür wirbt er nun in der Gesellschaft: „Der Hass wird immer schlimmer. Ich habe ihn gelebt und weiß, dass er uns zerstört.“

Der Name des Ex-Partners ist ein Renner, das Arschgeweih oder auch chinesische Zeichen.
Tobias Klein, entfernt in Karlsruhe professionell Tattoos

Klein kennt die Geschichte Wagners aus der Berichterstattung, im Innenhof seines Studios hat er noch ein paar ehrliche Sätze dazu gehört. „Ich war auch nicht immer ein Engel“, sagt Klein. „Aber wenn jemand kapiert hat, was er gemacht hat, finde ich das cool.“

Jeden Tag kommen Menschen zu ihm, die ihr Tattoo entfernen lassen wollen. „Der Name des Ex-Partners ist ein Renner, das Arschgeweih oder auch chinesische Zeichen.“ Klein entfernt Eulen oder Schwerter, ein Hakenkreuz hat er eher selten vor sich.

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„Ich schäme mich für diese Zeit"

Für Wagner sind die Tattoos nach seinem Ausstieg aus der Szene auch ein emotionales Problem. Schwimmbad-Besuche mit seiner Nichte etwa sind nicht möglich, er darf seinen Oberarm in der Öffentlichkeit nicht zeigen. Das alles erzählt er, bevor Klein los legt.

Ich schäme mich für diese Zeit.
Lennart Wagner, ehemaliger Nazi

Wagner sitzt auf dem Behandlungsstuhl, über ihm eine helle Lampe. „Eine neue Lasermethode“, sagt Klein. „Du musst dir keine Sorgen machen.“ Nach der ersten Behandlung verschwinde aber nicht alles, die Stellen werden erst mal nur heller. „Lieber heller, als das drauf stehen zu haben“, sagt Wagner. „Ich schäme mich für diese Zeit.“

Sitzungen bis zum kommenden Jahr

Für ein paar Sekunden sticht es ganz leicht in den Fingern, dann ist die erste Behandlung vorbei.

Beim nächsten Termin kommt der Oberarm dran. „Vielleicht kriegen wir es hin, dass wir dir etwas drüber tätowieren“, sagt Klein. Doch erst einmal muss das alte Tattoo in mehreren Sitzungen ausgeblichen werden.

Schon in ein paar Wochen soll „S-k-i-n-h-e-a-d“ unlesbar und Anfang kommenden Jahres ein neues Tattoo auf dem Oberarm das Hakenkreuz überdecken.

„Selbst ein Riesenherz fände ich nicht schlimm“, sagt Wagner. Bei den Sitzungen wären schnell an die 2.000 Euro Rechnung zusammengekommen. „Das wünsche ich mir schon so lange – ich weiß gar nicht, wie ich danken kann“, sagt Wagner. Als er das Studio verlässt, strahlt er. „Ich weiß jetzt, dass es dauert – aber ich weiß, dass es besser wird.“

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