„Wir haben dazu keine Daten gesammelt; es gibt nur schulinterne Erhebungen“, berichtet der stellvertretende Leiter des Schulamts Rastatt, Franz Veith. Wo Lehrer den Eindruck hatten, dass etwas nicht stimmt, hätten sie die Familien zu Hause besucht, sagt Veith.
Die Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder stellen sich erst später heraus.Miguel Rodriguez, Leiter der Kommunalen Sozialarbeit in Rastatt
Miguel Rodriguez, Kundenbereichsleiter der „Kommunalen Sozialarbeit“, hat festgestellt, dass Kinder und Eltern ganz gut durch diese Zeit gekommen sind. „Jeder hat erwartet, dass innerfamiliäre Konflikte und häusliche Gewalt zunehmen. Das können wir bislang nicht bestätigen.“ Wie sich die Zeit auf das Verhalten der Kinder ausgewirkt hat, sei noch nicht zu sagen, „das stellt sich erst später heraus“.
Es gebe Verlierer und Gewinner. „Familien, in denen sich die Eltern nicht ausreichend um die Kinder kümmern konnten, weil sie tagsüber arbeiten mussten oder selbst Probleme hatten, waren schlechter dran als jene mit mehr Zeit oder solche, die schon vorher auf feste Alltagsstrukturen und die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung ihrer Kinder Wert gelegt haben.“
Spielangebote für Kids entlasteten die Eltern in Rastatt
Ihre Schützlinge nicht aus den Augen verloren hat auch die städtische Kinderbetreuung. Deren Leiter, Jörg Böhmer, berichtet von regelmäßigen Telefonkontakten und diversen Spiel- und Bastelangeboten, die für Entlastung der Eltern sorgten. „Denn diese waren es ja nicht gewohnt, sich so lange mit ihren Kindern beschäftigen zu müssen. Die Kinder selbst fühlten sich oft einsam, vermissten die Freunde oder die Erzieherinnen und hatten auch Angst.“
Belastend sei die Situation für jene Eltern gewesen, die nicht in die Notbetreuung kamen und manchmal erst nachts im Homeoffice arbeiten konnten. Wo der begründete Verdacht auf Kindeswohlgefährdung bestand („wir hatten einige Fälle“), wurde das Jugendamt eingeschaltet.
Drei Tage pro Woche bin ich in die Rolle der Lehrerin unserer Tochter geschlüpft.Tina Lenecke, Bankkauffrau
Und wie haben die Familien diese Zeit erlebt? „Unser Alltag hat sich komplett verändert. Drei Tage pro Woche bin ich als Bankkauffrau in die Rolle der Lehrerin unserer zehnjährigen Tochter geschlüpft“, erzählt Tina Lenecke aus Bietigheim. „Das war anfangs eine Herausforderung, dann lief es aber recht gut.“
Die restlichen zwei Tage kümmerte sich Vater Ralf, Vertriebsmitarbeiter bei einem IT-Dienstleister, um Aileen und arbeitete dann im Homeoffice, was für ihn vor allem dann nicht einfach war, „wenn ich gerade eine Telefonkonferenz hatte und die Kleine gerade jemanden brauchte.“
Homeschooling war für Viertklässlerin am Anfang eine tolle Erfahrung
Für die Viertklässlerin selbst war das Homeschooling „am Anfang komisch, dann eine tolle Erfahrung, aber am Ende habe ich mich richtig auf die Schule gefreut“. Nach dem Lernen habe sie immer mit dem Nachbarmädchen im Garten spielen dürfen. „Und weil das Wetter so schön war, haben wir tolle Familienausflüge und Radtouren unternommen“, erzählt das Mädchen.
Das gab es immer vieles zu koordinieren und unter einen Hut zu bringen.Fabian Mundt, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Monja Santner-Mundt, Lehrerin in Mutterschutz, und ihr Ehemann Fabian Mundt, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Karlsruhe tätig ist, haben die Zeit als durchaus anstrengend erlebt. „Das gab es immer vieles zu koordinieren und unter einen Hut zu bringen“, berichten die Rastatter, die eine zehn Monate alte Tochter und einen dreijährigen Sohn haben. Danach gefragt, ob es ihm zu Hause gefallen hat, antwortet der Knirps hart aber herzlich: „Nein!“.
Aus dem Archiv:Eine fünfköpfige Familie aus Rastatt, die lieber anonym bleiben möchte, sagt, dass es bei drei Kindern im Alter von acht, elf und 14 Jahren wichtig gewesen sei, eine klare Struktur in den Alltag zu bringen. „Via Smartphone und Skype blieben die Kinder in Kontakt mit ihren Freunden, die später auch einzeln zu Besuch kommen durften.“ Der Unterricht zu Hause habe ganz gut geklappt.
Zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung
Eine andere Mutter, deren Mann im Geschäft unabkömmlich ist, erzählt, dass sie die Betreuung der achtjährigen Tochter bei gleichzeitigem Homeoffice in Teilzeit oft an ihre Grenzen gebracht habe.
Ab und an gab’s Zoff. Auch ihre Tochter sei überfordert gewesen. „Ihr hat das alles Angst gemacht. Sie hat ihr gewohntes Umfeld und ihre bisherigen Aktivitäten vermisst. Bei uns hat sich das Leben unter der Woche mehr oder weniger in der Wohnung abgespielt.“
Nach Aussage des Deutschen Kinderhilfswerks wurden Kinder und Jugendliche in der Corona-Krise insofern stark vernachlässigt, als ihre Bedürfnisse gerade von Seiten der Politik eine „grundlegende Geringschätzung“ erfuhren. In Entscheidungsprozesse seien die jungen Menschen nicht einbezogen worden.
Zur selben Einschätzung gelangt auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ). In deren Stellungnahme heißt es, dass Kinder und Jugendlichen nicht gefragt wurden, was sie benötigen und vermissen. Ihre Perspektive sei nicht berücksichtigt worden, „alle beschlossenen Regelungen wurden primär aus der Perspektive der Erwachsenen gedacht“.
Landeselternbeirat zu Corona-Krise: Stimme der Eltern wurde konsequent ignoriert
Bei einer Umfrage des Deutschen Jugend-Instituts (DJI) berichtete ein Drittel der befragten Eltern, dass ihr Kind Schwierigkeiten gehabt habe, mit der Corona-Situation zurechtzukommen. Familien in schwierigen Lebenslagen schätzten demnach die Belastung ihrer Kinder höher ein als jene, die ihre Lage positiver beurteilten.
Kritik an der baden-württembergischen Landesregierung übte erst jüngst der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Carsten T. Rees.
Sein Vorwurf: „Bei allen Planungen und Entscheidungen rund um Corona und Schule, die ja besonders unsere Kinder und die Familien betreffen, wurde die Stimme der Eltern konsequent ignoriert.“ Über die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse der Eltern und Kinder sei hinwegregiert worden, so Rees.