Etwa 350 Besucher sind am Samstagabend zu der Diskussionsveranstaltung „Gesetzgebung in Europa – wie die nationalen Parlamente entmachtet werden“ in die Festhalle im Baden-Badener Stadteil Oos gekommen. Veranstalter war die Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) im Europäischen Parlament, zu der auch die AfD gehört. Zu einer Gegenkundgebung nur wenige Meter entfernt kamen ebenfalls rund 350 Menschen.
Von unserem Mitarbeiter Ulrich PhilippAls erster Redner in der Festhalle kritisierte der AfD-Europaabgeordnete Joachim Kuhs, der auch Stadtrat in Baden-Baden ist, er werde zwar gut bezahlt, in seinem Gehalt sei aber auch viel Schmerzensgeld inbegriffen.
So habe das EU-Parlament nicht einmal das Recht, Gesetze oder Verordnungen einzubringen, das übernähme die EU-Kommission. Sein Anliegen sei es vor allem, gegen die überbordende Bürokratie vorzugehen.
Auf über 50 Seiten sei etwa geregelt, wie man in EU-Gewässern fischen dürfe oder wie oft ein Staubsaugerschlauch von rechts nach links bewegt werden können muss, ohne kaputt zu gehen. „Wir sind in einem großen Raumschiff unterwegs in die falsche Richtung“ gab er seine Sicht der Dinge bekannt.
Alice Weidel teilt gegen die SPD aus
Als Hauptrednerin des Abends war die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, angereist. „Diese Partei braucht keiner mehr“, erklärte sie unter dem lautstarken Beifall der Anwesenden aus aktuellem Anlass zu Beginn ihrer Ausführungen mit Blick auf die SPD. Die habe sich durch die Mitgliederentscheidung über den Parteivorsitz selbst beschädigt, weil alle angetretenen Politikerpaare um die 20 Prozent erhalten hätten und jetzt eine Stichwahl stattfinden müsse.
„Alles was aus Brüssel kommt, schädigt die deutsche Wirtschaft“ postulierte Weidel weiter und führte neue, schärfere Schadstoffrichtlinien an. Darunter habe vor allem die deutsche Automobilindustrie zu leiden. Sie widersprach damit denjenigen Wirtschaftsexperten, nach denen in erster Linie das wirtschaftlich starke Deutschland von einem Europa ohne Zollschranken profitiere.
Mehr als 80 Prozent der im Bundestag beschlossenen Gesetze seien EU-Gesetze, so Weidel weiter, daher müsse den Nationalstaaten wieder mehr Souveränität und jeweils eine eigene Leitkultur zugestanden werden. Dieses dann entstehende „Europa der Vaterländer“ sei zudem notwendige Voraussetzung für die Erhaltung kultureller Diversität, die gerade verloren gehe. Denn aktuell solle praktisch von oberster Stelle angeordnet – ein globaler Uniformismus entstehen, zu dem auch gehöre, „dass überall – auch in Limburg – Weltbevölkerung repräsentiert ist“.
Mit dem Hinweis auf die hessische Stadt spielte sie an auf einen vor wenigen Tagen begangenen Mord, der bundesweit für Aufsehen sorgte. Ein deutscher Staatsbürger mit tunesischen Wurzeln hatte dabei seine Frau mit einer Axt auf offener Straße erschlagen .
AfD-Politikerin spricht EU-Parlament die Legitimation ab
Dem EU-Parlament sprach Weidel seine demokratische Legitimation ab, „denn es repräsentiert kein Volk“, sagte die Wirtschaftswissenschaftlerin. Warum ein Parlament jedoch immer nur ein Volk repräsentieren dürfe und nicht mehrere, ließ sie offen.
Die etwa 30 Polizeibeamten die zur Sicherung der Veranstaltung eingesetzt waren, verzeichneten fast keine besonderen Vorkommnisse. „Bis auf eine Anzeige wegen Beleidigung ist alles ruhig geblieben“ erklärte Einsatzleiter Lutz Kirchner.
Bei einer Pro-Europa-Kundgebung in der Ooser Hauptstraße, nur wenige Meter entfernt von der Festhalle, hatte ein AfD-Anhänger die rund 350 Teilnehmer beschimpft.
Gegenkundgebung will Zeichen für Europa setzen
Thomas Gönner, Baden-Badener Stadtrat, und Christian Knäbel, Gemeinderat aus Rheinmünster (beide Bündnis 90 / Die Grünen), hatten kurzfristig zu der Veranstaltung eingeladen, die von mehr als 15 weiteren Gruppen unterstützt wurde, darunter Pulse of Europe, der Arbeitskreis Christlicher Kirchen (ACK) und das Aktionsbündnis „Baden-Baden ist bunt“. Die Kundgebung war eine Reaktion auf die Informationsveranstaltung der ID.
Veranstalter lehnte Einladung der AfD ab
„Wir wollen ein starkes Zeichen für Europa setzen“, betonte Thomas Gönner. Er erklärte, warum er eine Einladung Kuhs’ abgelehnt habe, in der Festhalle mit Weidel und ihm zu diskutieren: „Ich möchte dieser Veranstaltung keine Legitimation und erst recht nicht den Anschein einer völlig normalen bürgerlichen Veranstaltung geben, denn das ist sie nicht.“
Er habe Kuhs aber zugesagt, öffentlich und mit neutraler Moderation über jedes Thema das er sich wünsche, zu diskutieren. Alexander Arpaschi, der Assistent von Kuhs, kündigte später an, das Angebot Gönners anzunehmen.